Bunte Schutzäcker für mehr Vielfalt

Blog-Beitrag zum Deutschen Umweltpreis

Früher blühten Ackerwildkräuter auf beinahe jedem Feld, heute sind sie fast verschwunden. Durch die Auszeichnung von Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese mit dem Deutschen Umweltpreis 2021 macht die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) auf eine der größten Herausforderungen unserer Zeit aufmerksam: Den Rückgang der Biodiversität.

Ein seltenes Flammen-Adonisröschen. Foto: © Stefan Meyer

Die Ökologin Böhning-Gaese wies nach, dass die Bestände von Vögeln, die hauptsächlich Insekten fressen, von 1990 bis 2015 in der Europäischen Union durchschnittlich um 13 Prozent sanken. Ein besonders starker Rückgang von Arten fand in der Agrarlandschaft statt: Nicht nur von Vögeln, sondern auch von Ackerwildkräutern und Insekten.

Rund ein Drittel der typischen Arten wie das Flammen-Adonisröschen oder der Acker-Gelbstern stehen in Deutschland auf der Roten Liste gefährdeter Pflanzenarten. Dabei übernehmen diese Pflanzen wichtige Ökosystemfunktionen. Sie sind zum Beispiel Nahrungsquelle für verschiedene Tiere der Agrarlandschaft, erhöhen die Bodenfruchtbarkeit und verringern mit ihrem dichten Wurzelsystem die Bodenerosion.

Doch die intensivere Unkrautbekämpfung und die Aufgabe von Ackerflächen, auf denen zum Beispiel Siedlungen oder Gewerbegebiete entstanden, haben in den vergangenen Jahrzehnten zum Rückgang vieler Arten geführt – ein Rückgang, der sich auch auf die Tierwelt der Ackerlebensräume auswirkt.

Das Ziel: Biodiversität erhöhen

Die Bundesregierung formulierte 2007 das Ziel, bis 2020 die Biodiversität in Agrarökosystemen deutlich zu erhöhen. Da die bisherigen Bemühungen zum Schutz der stark gefährdeten Ackerwildkrautflora nicht zum Erfolg geführt hatten, leitete die DBU entschiedenere Schritte ein. Am Anfang stand eine Machbarkeitsstudie, die das Albrecht-von-Haller-Institut der Georg-August-Universität Göttingen 2007 startete. Das wichtigste Ergebnis: Trotz des drastischen Rückgangs der Ackerwildkräuter gab es zu dem Zeitpunkt noch zahlreiche Vorkommen. Die galt es zu schützen. In dem Folgeprojekt „100 Äcker für die Vielfalt“ der Göttinger Universität wurde mit der Errichtung eines bundesweiten Schutzgebietsnetzes für Ackerwildkräuter begonnen – in der Geschichte des Ackerwildkrautschutzes einmalig. Dabei geht es um besonders wertvolle Flächen mit seltenen Ackerwildkrautvorkommen. Ein Beispiel: Die Breitblättrige Haftdolde (Turgenia latifolia) kommt aktuell nur noch drei Mal in Bayern und Thüringen vor. Zwei dieser Vorkommen werden auf Äckern des Projekts geschützt.

Schutzäcker erhalten seltene Flora

Die ausgewählten Flächen werden als „Schutzäcker“ bezeichnet. Sie können in Privatbesitz, öffentlicher Trägerschaft oder Eigentum eines Naturschutzvereins sein. Sie werden langfristig durch vertragliche Vereinbarungen oder über rechtliche Instrumente wie Agrarumweltprogramme, Eingriffs-Ausgleichs-Regelungen, Flächenankauf oder ähnliches gesichert. Seit 2008 werden auf diesem Weg in ganz Deutschland ausgewählte Flächen, deren Bewirtschaftung und so auch die daran angepasste seltene Flora langfristig erhalten.

Erfolgsfaktor Öffentlichkeitsarbeit

Doch Menge und Größe der Schutzäcker sind nicht alles, was zählt. Ein weiterer Erfolgsfaktor war die Wirkung der sehr breit angelegte Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit der Projektbeteiligten. Sie hat das Konzept der Schutzäcker über Deutschland hinaus bekannt gemacht. Der Begriff ‚Schutzacker‘ ist inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland zu einer Marke geworden. Zahlreiche Initiativen im praktischen Naturschutz richten Schutzäcker ein oder planen, diese zukünftig auszuweisen. Die Etablierung von ‚Schutzäckern‘ zur Erhöhung der Agrobiodiversität ist mittlerweile in jedem praktischen Ratgeber zur Maßnahmenumsetzung vertreten“, berichtet Dr. Stefan Meyer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen.

Durch Vorträge und Publikationen zum Thema Ackerwildkrautflora sorgten die verschiedenen Projektbeteiligten (siehe Kasten) für zunehmendes Interesse in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein 2019 neu angelaufenes DBU-gefördertes Vorhaben mit Dr. Meyer als Projektleiter zielt darauf ab, gefährdete Ackerwildkräuter und die ackertypischen Vertreter der Tierwelt in Deutschland nachhaltig zu schützen und die verschiedenen Akteure noch stärker miteinander zu vernetzen.



Die Projektbeteiligten:

Ein großer Erfolgsfaktor: Die engagierten Akteurinnen und Akteure sowie Institutionen vor Ort. Das Team der Initiative „100 Äcker für die Vielfalt“ setzte sich zusammen aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Georg-August-Universität Göttingen und der Universität Kassel-Witzenhausen, dem Deutschen Verband für Landespflege (DVL) e. V. und vier langjährig an der Schnittstelle Naturschutz-Landwirtschaft tätigen Regionalkoordinatoren, die flächendeckend die Betreuung von Initiativen in Deutschland sicherstellten. Außerdem waren Stiftungen, Landgesellschaften und Landschaftspflegeverbände als Kooperationspartner vor Ort eingebunden. Im Vorhaben wirkten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Landschaftspflege- und Naturschutzverbände, Naturschutz- und Bauernverbandstiftungen sowie die Naturschutzverwaltungen der Bundesländer interdisziplinär zusammen, um ein bundesweites, langfristiges Konzept zum Ackerwildkrautschutz zu realisieren.

Text: Kerstin Heemann, Titelbild: © Stefan Meyer