Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt
Abteilung Waldnaturschutz
Sachgebiet Arten- und Biotopschutz
Prof.-Oelkers-Str. 6
34346 Hann Münden
Charakteristische Restflächen ehemaliger agroforstlicher Nutzungssysteme im Wald, insbesondere Hutewälder, nehmen durch den Wegfall der historischen Nutzung zusammen mit ihrer schützenswerten Biodiversität an spezialisierten Tier- und Pflanzenarten sowie Alt- und Lichtwaldstrukturen immer weiter ab. Dieser Abnahmeprozess ist weitgehend irreversibel, da die meisten Faktoren und Prozesse, die in der historischen Kulturlandschaft zur Entstehung der Hutewälder mit ihrer charakteristischen Biodiversität geführt haben, heute nicht mehr wirksam sind.
In der Forschung ist die agroforstliche Nutzung von Wäldern in Deutschland und anderen Teilen Mitteleuropas im Gegensatz zur agroforstlichen Nutzung von Offenland bislang vernachlässigt worden. An dieser Forschungslücke setzt das Projekt an, das von der Abteilung Waldnaturschutz der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) und dem Fachgebiet sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen der Universität Kassel gemeinsam durchgeführt wird.
Die Re-Etablierung von Beweidungssystemen, die sich an der historischen Nutzung orientieren, stellt unter heutigen Rahmenbedingungen eine große Herausforderung dar. Es finden sich nur vereinzelt erfolgreiche Beispiele hierfür. Eine Wiederaufnahme der Beweidung ist jedoch die einzige Möglichkeit, Hutewälder mit ihren typischen Arten und Strukturen nachhaltig zu sichern und auf Teilflächen – in der Regel im räumlichen Kontext mit bestehenden Hutewäldern – neu zu entwickeln oder bestehende Biotopinseln zu vernetzen.
Dies erfordert aber, die einmal vollzogene Aufgabe der agroforstlichen Nutzung rückgängig zu machen, was aufgrund von rechtlichen Rahmenbedingungen, Vorbehalten der verschiedenen Landnutzer sowie weiteren Hemmnissen als große Herausforderung gilt. Das Projekt zielt darauf ab, zur Überwindung dieser Hindernisse beizutragen, indem es wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse zur Hutewaldbewirtschaftung integriert und Grundlagen für die evidenzbasierte Wiederbelebung von Hutewäldern in einer dafür geeigneten Modellregion schafft. Der Fokus des Projekts liegt dabei auf Nordwestdeutschland.
Zusammenfassend beinhaltet das Projekt diese innovativen Bestandteile:
• Praxisnahe Aufbereitung von Wissen über Hutewälder in Nordwestdeutschland: Vorkommen, Bewirtschaftung und Naturschutz-Werte
• Erstellung einer aktuellen Karte der ehemals und aktiv beweideten Hutewälder Nordwestdeutschlands
• Zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit
• Aufbau einer Hutewald-„Community of Practice“ in einer ausgewählten Modellregion
Das Forschungsprojekt zielt zunächst darauf ab, wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswissen hinsichtlich Vorkommen, Bewirtschaftung und Naturschutz-Werten insbesondere von nordwestdeutschen Hutewäldern systematisch zu sammeln und aufzubereiten (Arbeitspaket 1).
Eine kartographische Zusammenstellung von ehemals oder aktuell beweideten Hutewäldern in Nordwestdeutschland erfolgt im Arbeitspaket 2 auf Basis der im Arbeitspaket 1 verwendeten Quellen, wobei sozial-ökologische Einflussgrößen (z. B. Besitzart) auf diese Vorkommen Berücksichtigung finden. Dies beinhaltet auch eine räumliche Analyse der Wahrscheinlichkeit des Vorkommens weiterer, nicht identifizierter Hutewälder.
Parallel dazu werden Konzepte zur zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel entwickelt und umgesetzt, Bevölkerung und Fachpublikum über Bild und Wort für die Erhaltung und Entwicklung von Hutewäldern zu begeistern (Arbeitspaket 3).
Die Identifizierung einer geeigneten Modellregion in Nordwestdeutschland im Hinblick auf ein umsetzungsorientiertes Folgeprojekt geschieht im Arbeitspaket 4. Neben einer ausführlichen Charakterisierung dieser Modellregion werden Kontakte zu relevanten regionalen und überregionalen Akteuren hergestellt. Daran anschließend soll der Aufbau einer regionalen Hutewald-„Community of Practice“ in der Modellregion mit dem Ziel erfolgen (Arbeitspaket 5), relevante regionale Akteurinnen und Akteure erfolgreich zu identifizieren, zu vernetzen und zu motivieren.
Die Ziele des Projektes wurden vollumfänglich erreicht und damit ein Mehrwert für den Waldnaturschutz geschaffen und eine Wissens- und Bearbeitungslücke gefüllt. Mehrere populärwissenschaftliche und studentische Arbeiten (s. u.) halfen, den Kenntnisstand über historische Hutewaldrelikte deutlich zu verbessern. Die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts bestand aus einer Vielzahl von in Präsenz durchgeführten Veranstaltungen, einer umfassenden Pressearbeit, sowie Onlinebeiträgen und einem Infovideo. In diesem Rahmen wurde dem Projekt ein breites und positives Interesse aus wissenschaftlichen Kreisen, der Öffentlichkeit, Akteuren des Naturschutzes und des Forstes zuteil. Wir ermittelten insgesamt ca. 3700 ha historischer Hutewälder in den Trägerländern der NW-FVA, was etwa dem Doppelten der bisher bekannten Fläche entspricht. Viele dieser Relikte befinden sich jedoch in einem schlechten Erhaltungszustand und es liegen trotz ihrer Naturschutzrelevanz keine oder widersprüchliche Konzepte zu ihrem Erhalt vor. Dies wurde uns insbesondere bei der Detailerfassung der Hutewälder im Reinhardswald bewusst. Im Reinhardswald brachten wir uns daher bereits in die Planung von Wiederherstellungsmaßnahmen für diese Hutewaldrelikte ein.
Den Reinhardswald, sowie umliegende naturräumliche Haupteinheiten in Nordhessen und Südniedersachsen definierten wir aufgrund der Menge der vorgefundenen Relikte historischer Hutewälder als Modellregion für das Anfang 2025 von der DBU bewilligte Folgeprojekt „Nachhaltige Entwicklung historischer Hutewälder durch Waldweide“. Dieses Folgeprojekt erstellt zusammen mit lokalen Akteuren im Zeitraum März 2025 – August 2027 Konzepte zur Wiederbeweidung von Hutewäldern. Wir besitzen aufgrund des durchgeführten Projekts eine gute Vernetzung in der Modellregion und haben die Bevölkerung für den Schutz der Hutewälder ihrer Region sensibilisiert. So haben wir die Grundlage geschaffen, um die Wiederentwicklung von Hutewäldern in der Region zu fördern. Das durch unsere Arbeit gewonnene Praxiswissen soll interessierten Akteuren deutschlandweit im Rahmen des Folgeprojekts als langfristig verfügbarer Leitfaden für die Pflege und Entwicklung bzw. Beweidung historischer Hutewälder an die Hand gegeben werden. Hinzu kommt die Möglichkeit einer Praxisgruppen-orientierten Öffentlichkeitsarbeit in den bereits aktiven Hutewaldflächen der Modellregion.
Der ursprüngliche Zeit- und Arbeitsplan wurde eingehalten, die Kostenkalkulation erwies sich als praktikabel.
Das Projekt stellte seine Ergebnisse in Vorträgen, Exkursionen und Fachkonferenzen vor, darunter die Tagung „Große Weidetiere“ in Jena (2023, 2024). Ein überregionaler und internationaler Austausch erfolgte u.a. mit dem Hutewaldprojekt Hasbruch, mit der Dänischen Naturschutz-Agentur und rumänischen Forschern. Neben Fachartikeln erschienen Online-Beiträge, u. a. auf Waldwissen.net, Deutschlands-Natur.de und Medium.com/People-Nature-Landscapes (s. u.). Ein Highlight war ein mit „Forst erklärt“ produziertes Infovideo, das auf mehreren Plattformen veröffentlicht wurde (s. u.). Informationskonzepte entstanden für eine Waldweidefläche und den Tierpark Sababurg. Die Abschlussveranstaltung im Dezember 2024 stieß auf große Resonanz und führte zur Erstellung eines Mailverteilers. Eine begleitende Pressemitteilung fand breite Medienresonanz, u. a. bei Tagesschau.de, NDR und BR (s. u.). Das Projekt resultierte in zahlreichen Publikationen, die wertvolle Erkenntnisse für den Naturschutz und die nachhaltige Landschaftsentwicklung liefern (siehe Ergebnisse).
Das Projekt findet seine Fortsetzung im Projekt "Nachhaltige Entwicklung historischer Hutewälder durch Waldweide", Projekt 39867/01.
Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) führte ein DBU-Projekt zum Erhalt historischer Hutewälder in Nordwestdeutschland durch. Ziel war es, historisches und aktuelles Wissen zu sammeln, praxisnah aufzubereiten und eine aktuelle Flächenbilanz zu erstellen. Das Projekt schloss eine Wissenslücke und identifizierte durch die Analyse von Geodaten aus Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein die doppelte Hutewaldfläche im Vergleich zum bisherigen Wissensstand.
Ein zentraler Aspekt war die wissenschaftliche Aufarbeitung der Waldweide aus Waldnaturschutzsicht. Die Ergebnisse fanden großes Interesse in Fachkreisen sowie der Öffentlichkeit, da Hutewälder nicht nur ökologisch wertvoll, sondern auch für Erholung und Tourismus bedeutsam sind.
Aufgrund des großen Interesses wurde statt einer einzelnen Abschlussveröffentlichung mehrere Publikationen verfasst. Besonders erfolgreich erwies sich die Entscheidung, statt einer Fotodokumentation ein Informationsvideo über Hutewälder mit „Forst erklärt“ zu produzieren.
Die Arbeitspakete Literaturrecherche (AP1), Kartierung (AP2) und Öffentlichkeitsarbeit (AP3) des Projektes ergänzten sich gut. Die Identifizierung einer Modellregion (AP4) und die Vernetzung (AP5) bildeten die Basis für ein Folgeprojekt (AP6). Die sorgfältige Planung sichert eine erfolgreiche Umsetzung des Folgevorhabens, und das gewonnene Wissen fließt nahtlos in die nächste Projektphase ein.