Projekt 35250/01

Vorgehensweise für Kunststoffverarbeiter zur Bewertung von Sekundär-CO-Äquivalenten beim Einsatz von Rezyklaten

Projektträger

Kunststoff-Institut für die mittelständische Wirtschaft NRW GmbH K.I.M.W.
Karolinenstr. 8
58507 Lüdenscheid
Telefon: +49 2351 1064 191

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Mit der CSR-Richtlinie (Corporate Social Responsibility) steigt der Druck auf große Unternehmen eine CO2 Bilanz für eigene Produkte auszustellen. Damit stehen jedoch auch die Zulieferer in der Pflicht, denn für eine CO2-Bilanzierung mit den Systemgrenzen „cradle to gate“ müssen auch Vorprodukte ent-lang der Lieferkette berücksichtigt werden. Mit einem Fokus auf Bauteile aus dem Spritzguss wird im Projekt SekÄqui eine ökologische Optimierung des Fertigungsprozesses durch den Einsatz von Se-kundär-rohstoffen untersucht. Hierzu wird das Treibhauspotential der Produktion über eine Berechnung der CO2 Äquivalente von Rezyklaten aus prozessbedingten Industrieabfällen wie Angussteilen be-stimmt. Anhand des mechanischen Recyclings der Firma Kunststofferzeugnisse Occhipinti sollen Handlungs-empfehlungen erarbeitet werden, welche auf andere Prozesse übertragbar sind. Diese wer-den in einem Handlungsleitfaden zusammengefasst, so dass am Kunststoff-Institut Lüdenscheid Unter-nehmen darin geschult werden können, die firmeninternen Abläufe eigenständig zu bilanzieren, um Ihre zukünftige Berichtspflicht über den Product Carbon Footprint (PCF) zu erfüllen.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenZu Beginn wurde ein Standardprozess entwickelt, welcher eine Kreislaufwirtschaft abbilden konnte, in-dem stufenweise neuwertige Rohstoffe durch Rezyklate ersetzt wurden. Stellvertretend für die Produk-tion kunststoffverarbeitender Betriebe wurde das Spritzgießen eines Zugstabes gemäß den Vorgaben aus DIN EN ISO 527-2 für das Normteil Typ 1A ausgewählt.
Mit der Definition von Mess- und Wirkgrößen auf diesen Standardprozess wurde eine Versuchsmatrix erstellt, welche daraufhin als Grundlage für die Versuchsdurchführung einschließlich der Berechnung des PCF nach DIN EN ISO 14067 diente. Zur Optimierung des Energiebedarfs nach Euromap 60.2 wurde der Stromverbrauch für das Spritzgießen des Normteiles auf einer voll-hydraulischen Spritz-gießmaschine mit einer rein elektrisch arbeitenden Spritzgießmaschine verglichen und in Bezug zum gesamten PCF des Zugstabes gesetzt. Als Abschneidekriterium für die zu bilanzierenden Prozessin-puts und -outputs wurde eine Masse von 1 % bezogen auf die kumulierte Masse aus allen Stoffströmen des Produktsystems gesetzt. Für die Berechnung des PCF wurde die Ökobilanzierungssoftware Um-berto LCA+ von iPoint-systems sowie die Stoffdatenbanken Ecoinvent 3.8 und GaBi SP40 2020 ver-wendet. Für den Einsatz von Sekundärrohstoffen wurde das mechanische Recycling von Industrieabfäl-len am Werk des Projektpartner Kunststofferzeugnisse Occhipinti analysiert, um den PCF bezogen auf 1 kg Mahlgut der technischen Kunststoffe Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer (ABS), Polyamid 6.6 mit 30 % Glasfaser-anteil (PA66GF30), Polycarbonat (PC) und Polyoxymethylen (POM) zu berechnen. Zudem wurde über den Projektumfang hinaus das mechanische Recycling der aufgeführten techni-schen Kunststoffe auch mittels einer Beistellmühle in einem Inline-Recycling zur Produktionslinie er-fasst. Mit dem Einsatz von Rezyklaten in dem entworfenen Standardprozess zur Fertigung eines Zug-stabes, durchlief der Materialstrom mehrere Produktsysteme, so dass die Multifunktionalität des Re-cyclings auch in Bezug auf die CO2-Bilanzierung eines Produktes der betroffenen Systeme über Alloka-tionsverfahren für ein Recycling im offenen Kreislauf zugeordnet werden musste. Daher wurde der Ein-fluss des jeweiligen Allokationsverfahrens in Form der 100:0, 50:50, und 0:100-Regel auf den PCF über eine detaillierte Darstellung der Gutschriften und Belastungen auf die Produktlebenszyklusphasen der Rohstoffgewinnung, des Recyclings sowie der Entsorgung bestimmt. Die Erkenntnisse aus der Trans-formation einer linearen Produktionskette in eine Kreislaufwirtschaft innerhalb des definierten Standard-prozess des Spritzgießens wurden in einem Handlungsleitfaden zusammengefasst, welcher die Grund-lage für eine Schulung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) am Kunststoff-Institut Lüden-scheid bildete. Eine Pilotschulung fand bereits am 21. Juni 2022 im Rahmen des Projektkonsortiums unter Einbeziehung aller Projektpartner statt, wobei vor allem die Firma Kunststofferzeugnisse Occhi-pinti als KMU der Zielgruppe dieser Schulung entsprach. Initialisiert durch das erste Feedback basie-rend auf dieser Politschulung durchlief der Handlungsleitfaden bis Projektende einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess.


Ergebnisse und Diskussion

Ausgehend von dem definierten Standardprozess zur Fertigung eines Zugstabes mittels der hydrauli-schen Spritzgießmaschine Krauss Maffei CX 130/380 D30 wurde gezeigt, dass die rein elektrisch ar-beitende Spritzgießmaschine Sumitomo Demag IntElect 130/520-250 D30 durch eine erhöhte Energie-effizienz denselben Prozess bei etwa der Hälfte des ursprünglichen Stromverbrauches abbilden konnte. Somit wurden alle folgenden Versuchsreihen gemäß der erstellten Versuchsmatrix auf der rein elektrisch arbeitenden Spritzgießmaschine durchgeführt. Aufgrund der scherverdünnenden Eigenschaf-ten der Kunststoffschmelze als strukturviskoses Fluid wurde als Einstellgröße auf den Spritzgießpro-zess die Fließfrontgeschwindigkeit stufenweise von 100 mm/s auf 300 mm/s erhöht. Entgegen den Er-wartungen zeigte der gemessene Stromverbrauch bei der Verarbeitung des neuwertigen Granulats je-doch keine signifikante Abhängigkeit von der Fließfrontgeschwindigkeit. Ausschließlich bei dem Ein-satz von 100 % Rezyklat wurde in der Versuchsreihe des Kunststoffs PA66GF30 eine geringe Abnah-me des spezifischen Energiebedarfs um etwa 2,5 % sichtbar. Dagegen führte die Substitution des Pri-märmaterials durch Rezyklat in Form von Mahlgut je nach betrachteter Kunststoffsorte zu einer gering-fügigen Verbesserung der Energieeffizienz beim Spritzgießen der Zugstäbe. Die Abnahme des Ener-giebedarfs könnte die Folge einer geringeren Viskosität der Kunststoffschmelze sein, welche durch ei-ne Verkürzung der Polymerkettenlänge bei dem mechanischen Recycling hervorgerufen wurde. Um die Auswirkungen des eingesetzten Rezyklats auf die Produktqualität zu überprüfen, wurden Zugversuche an den hergestellten Zugstäben der jeweiligen Versuchsreihen durchgeführt. Die gemessene Zugfes-tigkeit des Mahlgutes zeigte für die reinen Polymere aus ABS, PC und POM jedoch keine Abnahme der Zugfestigkeit gegenüber dem Primärrohstoff. Dagegen belegte die Versuchsreihe von PA66GF30 eine Abnahme der Zugfestigkeit um 15 %, so dass bereits das einmalige mechanische Recycling ggf. über eine Verkürzung der Glasfaserlänge unmittelbare Auswirkungen auf die Zugfestigkeit des Mahlguts zur Folge hatte. Je nach den zu erfüllenden Anforderungen an das Produkt kann der Primärrohstoff somit nur anteilig durch Mahlgut ersetzt werden, wobei ein Anteil an Rezyklat von bis zu 20 % in der Praxis für die meisten Produkte umsetzbar ist. Mittels einer Skalierung der aktuellen Verarbeitungsquote an Rezyklat aus „post industrial waste“ von 6,4 % auf 20 % wurde anhand der berechneten CO2-Äquivalente für Kunststoffmahlgut dargestellt, dass sich selbst aus dieser anteiligen Substitution von neuwertigem Granulat durch Mahlgut ein Einsparpotential von etwa 8,77 Mio. Tonnen CO2e ergibt.
Somit kann das mechanische Recycling einen wichtigen Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemis-sionen auf maximal 118 Mio. Tonnen CO2e laut Bundesklimaschutzgesetz im Jahr 2030 leisten. Für die untersuchten Kunststoffe ABS, PA66GF30, PC und POM konnte gezeigt werden, dass der berechnete PCF von Kunststoffmahlgut mindestens um den Faktor 20 geringer ist als für das entsprechende Gra-nulat aus Primärrohstoff. Die durchgeführten Sensitivitätsanalysen belegten darüber hinaus ein hohes Optimierungspotential zur Verringerung des Treibhauspotentials durch eine Reduktion des beim Mahlen anfallenden Kunststoffstaubes sowie durch den Einsatz von Strom aus regenerativen Energien. Für zu-künftige Untersuchungen bietet sich somit eine Analyse zur Verringerung des Staubanteils im Mahlgut an. Zudem führten Messungen für den Kunststoff PA66GF30 zu noch keinen eindeutigen Ergebnissen in dem spezifischen Energieverbrauch bei dem Inline-Recycling über eine Schneidmühle, so dass fort-führende Untersuchungen über die Auswirkungen des Glasfaseranteils auf das mechanische Recycling der reinen Polymere systematisch durchgeführt werden sollten. Darüber hinaus wurde in einem Modell zum offenen Recyclingkreislauf gezeigt, dass die Abnahme des PCF durch den Einsatz des bilanzierten Mahlgutes stark von dem angewendeten Allokationsverfahren abhängig ist.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurde an der THM eine Website zu dem Forschungsprojekt „Se-kÄqui“ (https://www.thm.de/wi/forschung/projekte/sekaequi) eingerichtet. Daraufhin wurde in ver-schiedensten Veranstaltungen der Technischen Hochschule Mittelhessen von den Hochschulinformati-onstagen über Vorlesungen im Gebiet Life Cycle Management bis hin zu der Bearbeitung von Fallstu-dien und Abschlussarbeiten auf das Forschungsprojekt „SekÄqui“ verwiesen. Die Projektergebnisse über die Berechnung des PCF von Mahlgut am Werk des Projektpartners Kunststofferzeugnisse Oc-chipinti wurden von der THM online auf der „Ökobilanzwerkstatt 2022“ (https://www.oekobilanzwerkstatt.tu-darmstadt.de/oekobilanzwerkstatt_oebw/index.de.jsp) vom 21. bis 22 September im Format einer wissenschaftlichen Tagung an der TU Darmstadt präsentiert. Zugleich wurden die auf diese Weise verteidigten Projektergebnisse der CO2-Äquivalente von ABS, PA66GF30, PC und POM als Sekundärrohstoffe in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Waste“ des Herausge-bers MDPI als „open access“ unter dem Titel „Carbon Footprint of Mechanical Recycling of Post-Industrial Plastic Waste: Study of ABS, PA66GF30, PC and POM Regrinds“ (https://www.mdpi.com/2813-0391/1/1/10) veröffentlicht. Zudem wurden auf der „International Con-ference on Resource Sustainability 2022“ (icRS) (https://www.icrsconf.com/icrs_2022.html), gehosted von der „University of Michigan”, am 01.08.2022 die Projektergebnisse über den Einfluss des gewähl-ten Allokationsverfahrens auf den Product Carbon Footprint präsentiert. Hierzu durchläuft eine weitere Veröffentlichung in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Resources, Conservation & Recycling Ad-vances“ des Herausgebers Elsevier den peer-review Prozess. Darüber hinaus wurden die dargestellten Projektergebnisse in einer Schulung über die Erstellung einer CO2-Bilanz für Kunststoffverarbeiter am 17. November 2022 unter dem Titel „CO2-Bilanz für Kunststoffverarbeiter“ am Kunststoff-Institut Lüden-scheid vor projektexternen Teilnehmern präsentiert.


Fazit

Das übergeordnete Ziel der Erarbeitung einer Vorgehensweise für Kunststoffverarbeiter zur Bewertung des Product Carbon Footprint beim Einsatz von Rezyklaten wurde erreicht. Die dargestellten Ergebnis-se und Herausforderungen, welche sich auch aus der Integration von Rezyklaten in der Produktion auf die CO2-Bilanzierung ergeben, konnten in einem Handlungsleitfaden verarbeitet werden. Dieser bildete die Basis für die nun am Kunststoff-Institut angebotenen Schulung „CO2-Bilanzierung für Kunststoffver-arbeiter“, welche neben der erforderlichen Theorie über das normgerechte Vorgehen zur CO2-Bilanzierung auch eine entsprechende Umsetzung mit dem ecocockpit der Effizienz-Agentur NRW ver-mittelt. Eine entsprechende Pilotschulung von kleinen und mittleren Unternehmen zur CO2-Bilanzierung wurde innerhalb der Projektlaufzeit am Kunststoffinstitut durchgeführt. Der eingeführte Standardprozess anhand des Fertigungsverfahrens des Spritzgießens lässt sich hierbei auf andere Fertigungsverfahren übertragen, so dass die Schulungsteilnehmenden auch andere firmeninterne Prozesse und Produkte anhand des gezeigten Vorgehens selbstständig bilanzieren können. Darüber hinaus konnten im Projekt „SekÄqui“ CO2-Äquivalente von Sekundärrohstoffen aus „post industrial waste“ in Form von Mahlgut für die technischen Kunststoffe Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer (ABS), Polyamid 6.6 mit 30 % Glas-faseranteil (PA66GF30), Polycarbonat (PC) und Polyoxymethylen (POM) aus dem Werk des Projekt-partners Kunststofferzeugnisse Occhipinti berechnet werden. Die über Sensitivitätsanalysen validierten Ergebnisse belegen hierbei eine Reduktion des Treibhauspotentials von Mahlgut gegenüber Neuware von mindestens 95 % bezogen auf die im Projekt betrachteten Kunststoffe.

Übersicht

Fördersumme

276.728,00 €

Förderzeitraum

23.09.2020 - 31.12.2022

Bundesland

Nordrhein-Westfalen

Schlagwörter

Umweltkommunikation