Pestizide schaden Artenvielfalt – selbst in Schutzgebieten

KI-Modelle und Managementsystem sollen Abhilfe schaffen

Kaiserslautern/Landau/Leipzig. Der Rückgang der Artenvielfalt schreitet voran und macht selbst vor Schutzgebieten nicht Halt. Zu den Ursachen dürfte Forschenden zufolge der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen zählen. Mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) wurde zum einen der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln untersucht und zum anderen eine Webanwendung entwickelt, mit deren Hilfe negative Effekte auf Schutzgebiete etwa für Wasserressourcen oder Artenvielfalt verringert werden können. Die DBU-Fördersumme der Vorhaben beträgt insgesamt rund 700.000 Euro.

Landwirtschaftlich beeinflusstes Gewässer im Wasserschutzgebiet.
© J. Wolfram/RPTU

Pflanzenschutzmittel schaden Ökosystemen

Der weltweite Arten- und Lebensraumverlust schreitet vor allem in intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaften voran. Die Ursachen: neben Monokulturen und Nährstoffüberschüssen schadet laut Umweltbundesamt der übermäßige chemische Pflanzenschutz den Ökosystemen. Zudem ist einer Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zufolge die biologische Vielfalt selbst in Naturschutzgebieten stark zurückgegangen. „Wir sehen die Notwendigkeit, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu reduzieren, um Ökosysteme wie etwa Bäche, Flüsse und Grundwasser zu entlasten und damit der Biodiversitätskrise entgegenzuwirken“, sagt Dr. Maximilian Hempel, DBU-Abteilungsleiter Umweltforschung. Speziell Schutzgebiete für Wasserressourcen oder Artenvielfalt sollten Hempel zufolge ein Refugium sein, wo negative Einflüsse auf die Ökosysteme so gering wie möglich bleiben. „Als Innovationsförderer bringen wir Projekte und Verfahren auf den Weg, die Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz bieten.“

Pestizide stammen von landwirtschaftlichen Nutzflächen außerhalb der Schutzgebiete

Das Institut für Umweltwissenschaften der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) hat mit DBU-Mitteln beispielhaft das Biosphärenreservat Pfälzer Wald und Naturschutzgebiete im Bundesland Sachsen untersucht. Das Ergebnis: „Die Natur ist in Schutzgebieten ähnlich dramatischen Risiken durch Pestizide ausgesetzt wie in nicht geschützten Gebieten“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Ralf Schulz. Die Chemikalien gelangen wahrscheinlich über einfließende Gewässer oder durch Wind in die Schutzgebiete. „Wir konnten nachweisen, dass die Pestizide von landwirtschaftlichen Nutzflächen außerhalb der Schutzgebiete stammen“, so Schulz. Die Forschenden schlagen daher pflanzenschutzmittelfreie Pufferzonen rund um sensible Schutzgebiete vor. „Es ist darüber hinaus wichtig, den Anteil von Pestizidwirkstoffen mit hoher Toxizität zu verringern“, so Schulz. Weitere Infos zum Projekt gibt’s hier.

Ein Forschungsteam von Prof. Dr. Matthias Liess (2. v. r.) untersucht Wasserproben des Flusses Launzige bei Neichen in Sachsen auf Pestizidrückstände.
© André Künzelmann/UFZ

Computergestützte Modellierung zeigt Abdrift der Pflanzenschutzmittel

In einem weiteren DBU-geförderten Projekt des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig wurde eine Webanwendung zur Darstellung der Verteilung von Pestiziden in der Umwelt entwickelt. „Über eine Karte wird sichtbar gemacht, wo welche Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden und wohin die Stoffe etwa nach einem Regen über Bäche und Flüsse abfließen“, so Hempel. Projektleiter Prof. Dr. Matthias Liess: „Chemische Pflanzenschutzmittel können über Fließgewässersysteme große Distanzen zurücklegen und die Natur weit entfernter Schutzgebiete belasten.“ Das schädigt ihm zufolge dauerhaft die Populationen vieler Wasserorganismen. „Mit unserer GIS-basierten Webanwendung lassen sich die Einträge der eingesetzten Pestizide räumlich verfolgen“, so der Projektleiter. Dadurch ließen sich Empfehlungen für optimierte Pestizidanwendungen ableiten.

Landnutzung anpassen kommt Schutzgebieten zugute

In der Praxis sieht das so aus, sagt Liess: „Anwenderinnen und Anwender können auf einer interaktiven Karte einen Ort in einem Wasserschutzgebiet auswählen und sich die umliegenden landwirtschaftlichen Nutzflächen anzeigen lassen.“ Nach Auswählen eines Nutzungsszenarios ließen sich die jeweiligen Auswirkungen auf umliegende Gewässer berechnen. So werden Flächen erkannt, deren Schadstoffaustrag Schutzgebiete beeinflussen, so Liess. Mehr noch: Indem die Effekte unterschiedlicher Produkte, Wirkstoffe und Techniken angezeigt und verglichen werden, können dem Projektleiter zufolge Szenarien zum Verringern der eingesetzten Pflanzenschutzmittel entwickelt werden. Dies hätte einen positiven Effekt auf die biologische Vielfalt in den jeweiligen Schutzgebieten. Das sogenannte Pestizid-Schutzgebiet-Management (PuMa) wird derzeit in einem DBU-geförderten Folgeprojekt vom UFZ-Team erweitert. Mehr dazu hier.

Rund drei Millionen Euro für DBU-Förderinitiative „Pestizidvermeidung“ investiert

Mit insgesamt rund drei Millionen Euro fördert die DBU bundesweit Projekte innerhalb der seit 2020 laufenden DBU-Förderinitiative „Vermeidung und Verminderung von Pestiziden in der Umwelt“. Hempel: „Die Nachfrage nach alternativen Pflanzenschutzmaßnahmen ist da, es sind jedoch kaum praxiserprobte Alternativen verfügbar.“ Die umgesetzten Projekt-Ideen zeigen ganz unterschiedliche innovative Herangehensweisen, wie etwa das gezielte Einsetzen von Nützlingen, das Unterdrücken von Beikräutern ohne Pestizide oder auch den Einsatz von Vorhersagemodellen, um einem möglichen Befall zuvorzukommen. „Solche Ansätze verringern negative Auswirkungen auf Ökosysteme und bieten echte Alternativen für die landwirtschaftliche Anwendung“, so Hempel.

Kontakt bei fachlichen Fragen (AZ 35919/01 + 38154/01): Prof. Dr. Ralf Schulz, Tel. +49 634 1280 31327

Kontakt bei fachlichen Fragen (AZ 35922/01 + 38813/01): Prof. Dr. Matthias Liess, Tel. +49 341 6025 1578

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