Leuphana Universität Lüneburg
Institute for Sustainable Development and Learning
Universitätsallee 1
21335 Lüneburg
Für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation in Städten und Kommunen sind individuelle und gesellschaftliche Lernprozesse notwendig. Diese Lernprozesse, die als transdisziplinäres Lernen verstanden und organisiert werden können, sollen Akteur*innen befähigen, Entscheidungen zu treffen und Transformationsprozesse aktiv zu gestalten. Reallabore und Realexperimente bieten hierfür einen geeigneten Rahmen, indem sie eine neue Form der Kooperation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen und als Experimentierraum für innovative Lösungsansätze dienen.
Im kommunalen Kontext wurden u.a. drei zentrale Fragestellungen zu den Potenzialen von Reallaboren und Realexperimenten bisher wenig betrachtet:
• Wie können junge Menschen noch aktiver in Reallabor-Aktivitäten einbezogen werden?
• Wie kann der Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten verschiedener Akteur*innen durch ein aktives Mitwirken in Reallaboren/-experimenten befördert werden?
• Wie können reallabor-ähnliche Ansätze in verschiedenen kulturellen Kontexten verwirklicht werden und wie können Lernprozesse zwischen Kommunen realisiert werden, um von den jeweiligen lokalen Erfahrungen wechselseitig zu profitieren?
Das Projekt zielte darauf ab, diese Fragen in einer internationalen Kooperation zu adressieren. Die Ziele waren:
• Erforschen der Realisierbarkeit von reallabor-ähnlichen Ansätzen in verschiedenen (kulturellen) Kontexten;
• Entwickeln von Ansätzen zum Capacity Mobilizing von lokalen Akteur*innen;
• Stärken der Rolle von jungen Menschen im Rahmen von kommunalen und städtischen Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen;
• Ermöglichen von Lernprozessen zwischen Akteur*innen verschiedener Kommunen und Städte;
• Bereitstellen von Handlungsoptionen und Werkzeugen, die Kommunen die eigenständige Realisierung von Reallaboren und -experimenten ermöglichen.
Das Projekt sollte zur Implementierung der SDGs in den beteiligten Kommunen beitragen. Die Erkenntnisse sollten zudem weiteren Kommunen in Deutschland, dem Baltikum und anderen Ländern zugänglich gemacht werden.
Das Projekt wurde in drei baltischen Partnerstädten und Lüneburg als Referenzkommune durchgeführt. Beteiligte Kommunen waren Viljandi (Estland), Valmiera (Lettland) und Klaipeda (Litauen). Partneruniversitäten waren die Leuphana Universität Lüneburg, die Estonian University of Life Sciences, die University of Latvia und die Klaipeda University.
Aufbauend auf den Erkenntnissen im Reallabor Lüneburg 2030+ wurden in drei baltischen Städten Realexperimente durchgeführt. Das Projekt umfasste dabei sechs eng miteinander verknüpfte Arbeitspakete:
Arbeitspaket 1: Koordination und Management
Das Projekt wurde von der Leuphana Universität Lüneburg koordiniert und durch Partneruniversitäten unterstützt. Die Leuphana stellte die Einhaltung der Zeit- und Projektplanung sicher, bereitete zentrale Entscheidungen vor und begleitete die Umsetzungsprozesse. Öffentlichkeitsarbeit wurde auf Webseiten und Social Media-Kanälen betrieben.
Arbeitspaket 2: Capacity Mobilizing und Training
Capacity Mobilizing- und Trainingsformate wurden für Lehrpersonen und Verwaltungsmitarbeiter:innen entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Ein zentraler Workshop fand im März 2022 statt, um über Reallabor- und Experimentformate zu informieren und zu diskutieren. Exemplarische Experimente aus dem Reallabor Lüneburg 2030+ wurden als Inspiration vorgestellt.
Arbeitspaket 3: Realexperimente
In jeder Partnerkommune wurde ein Realexperiment durchgeführt. Grundlagen wurden u.a. von Studierenden eines Seminars an der Leuphana Universität vorbereitet. Die Experimente wurden von transdisziplinären Projektteams vor Ort weiterentwickelt und durchgeführt. Evaluierungen erfolgten u.a. durch Studierende im Rahmen von Abschlussarbeiten.
Arbeitspaket 4: Austausch
Verschiedene Austauschformate wurden umgesetzt, darunter Wissenschaftsworkshops und Forschungsexkursionen. Ein Austausch zwischen Vertreter*innen der beteiligten Schulen und Kommunalverwaltungen fand online statt. Das Projekt wurde durch einen wissenschaftlichen Fachbeirat begleitet.
Arbeitspaket 5: Begleitforschung
Eine formative Evaluation unterstützte die Prozesse und synthetisierte Erkenntnisse aus methodologischer und BNE-Perspektive. Reflexionsworkshops und strukturierte Case Reports spielten dabei eine wichtige Rolle.
Arbeitspaket 6: Dissemination
Ein projekteigenes Wiki wurde zu Beginn des Projekts aufgesetzt, und später durch die Planung eines Handbuchs ersetzt. Kommunikation zu Workshops und Events erfolgte in verschiedenen Medien. Ergebnisse wurden und werden durch Publikationen und Abschlussarbeiten veröffentlicht.
Zentrale Ergebnisse des Projekts waren die Experimente in den drei Kommunen und die damit verbundenen Lernprozesse. Die Begleitforschung ermöglichte durch Reflexionsworkshops und den strukturierten Vergleich der Experimente generelle Erkenntnisse über Reallabore und deren Gestaltung.
Die Experimente in den Partnerkommunen waren:
Litauen – Urban Gardening for Everyone: Ziel war hierbei die Inklusion von Menschen mit Einschränkungen in nachhaltige Stadtentwicklungsprozesse durch Urban Gardening.
Lettland – Sort for Green: Der Fokus lag hier auf (Bio-)Abfalltrennung, um Maßnahmen zur Umsetzung einer neuen nationalen Vorschrift zu testen.
Estland – Celebrating Sustainability: Ziel war die nachhaltige Gestaltung von Schul- und Kulturveranstaltungen.
Die vergleichende Analyse ermöglich einige relevante Einblicke u.a. bzgl.:
Akteur*innen und Rollen: In allen Experimenten waren Akteurinnen aus Wissenschaft, Stadtverwaltungen und Studierende beteiligt. Die Intensität der Beteiligung variierte. In Lettland war die Stadtverwaltung besonders intensiv eingebunden, während in Estland und Litauen Schulen und Schülerinnen stärker involviert waren.
Gesellschaftliche Effekte der Realexperimente: Es gab in allen Experimenten Effekte erster Ordnung (z.B. Lernprozesse, Kapazitätsaufbau und Netzwerkbildung); Effekte zweiter Ordnung (z.B. Verstetigte von Zusammenarbeit und institutionelle Praktiken) und Effekte dritter Ordnung (z.B. Strukturelle Veränderungen, neue Trainingsformate und Schaffen von sozialen Treffpunkte)
Diskussion
Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine stellten Herausforderungen dar, die gewisse Anpassungen im Projekt notwendig machte, welche dank der Flexibilität des Projektteams erfolgreich gemeistert werden konnten. Verzögerungen ergaben sich u.a. durch Veränderungen und unerwartete Entwicklungen im Lüneburger Projektteam. Das ursprünglich geplante Wiki wurde durch die Planung eines Handbuchs ersetzt, das die Erkenntnisse aus dem Projekt und Best Practices zusammenfasst. Auch bei den geplanten Austauschformaten waren Anpassungen notwendig.
Die länderübergreifende Zusammenarbeit profitierte von den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie, wobei persönliche Treffen trotzdem besonders wertvoll waren. Der Austausch mit den wissenschaftlichen Partnern war gewinnbringend und erlaubte es unterschiedliche Entwicklungen und Erkenntnisse in den Experimenten gemeinsam zu reflektieren.
Zu Beginn wurde zudem eine Wiki-Plattform zur Projektkommunikation und -dissemination aufgebaut. Projektaktivitäten wurden auf der ISDL-Website und den Social-Media-Kanälen verbreitet, einschließlich Exkursions- und Forschungsberichte. Zwischenergebnisse wurden ebenfalls auf den Social-Media-Kanälen und Webseiten der Projektpartnerinnen veröffentlicht.
In der Mitte des Projektes wurde ein Projektposter erstellt und auf allen Kanälen sowie durch Konferenzbeiträge verbreitet. Die Projektarbeit wurde bildlich und schriftlich durch Protokolle und Berichte dokumentiert. Die Erkenntnisse aus dem Projekt wurden und werden zudem in wissenschaftlichen Veröffentlichungen publiziert.
Aktuell wird das projektbezogene Handbuch fertiggestellt, das sowohl gedruckt als auch digital verfügbar sein wird. Es enthält Hintergrundinformationen, Impulse, Werkzeuge und Hinweise für die Durchführung von Realexperimenten. Mit den wissenschaftlichen Projektpartner*innen ist geplant, zukünftige Projektanträge zu stellen, die an die bisherigen Arbeiten anknüpfen. Die Reallaborforschung wird u.a. am Karlsruher Institut für Technologie intensiv fortgeführt.
Im Projekt „ESDfor2030 – Lernen für und in resiliente(n) und nachhaltige(n) Kommunen“ wurden verschiedene Formen des wechselseitigen Lernens in reallaborähnlichen Settings realisiert. Besonders bewährt hat sich die Vorgehensweise, die innovative Elemente auf drei Ebenen berücksichtigt und Impulse für Lernprozesse im Rahmen der Nachhaltigkeitstransformation liefert.
Reallabore und -experimente als Settings für Transdisziplinäres Lernen: Durch die Berücksichtigung von Lernprozessen in Reallabor-Settings und die formative Evaluation solcher Prozesse wurde das Potenzial dieses Settings erweitert, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit Herausforderungen bei der lokalen Implementierung der SDGs.
Verschränkung von individuellen und organisationalen Lernprozessen: Das Projekt ermöglichte eine systematische Verschränkung individueller Lernprozesse zum Kompetenzerwerb mit Prozessen des organisationalen und gesellschaftlichen Lernens.
Vergleichendes Vorgehen im internationalen Kontext: Das Projekt als vergleichende Fallstudie zwischen Kommunen in Ost- und Westeuropa identifizierte Hinweise auf Kontextbedingungen und Potenziale der Übertragbarkeit von Erkenntnissen.
Ein nächster Schritt wäre das langfristige Etablieren von Reallaborsettings und die Vernetzung einer größeren Zahl an Reallaboren national und international. Dies würde die Übertragbarkeit von Erkenntnissen erleichtern und lokalen Erfahrungen zur Implementierung der SDGs für andere Kommunen nutzbar machen.