Projekt 26663/01

Lebensraumanalyse von Wiesenweihen-Jungvögeln mit Hilfe der Satellitentelemetrie

Projektdurchführung

Institut für Vogelforschung (IfV)Vogelwarte Helgoland
An der Vogelwarte 21
26386 Wilhelmshaven

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Die Brutbestände der Wiesenweihe Circus pygargus nahmen in Mitteleuropa ab Mitte des 20. Jahrhunderts in Folge großflächiger Lebensraumzerstörungen, hoher Brutausfälle und direkter menschlicher Verfolgung drastisch ab. Die Wiesenweihe ist ein typischer Langstreckenzieher. NW-europäische Vögel verbringen den größten Teil des Jahres auf dem Zug bzw. in ihren westafrikanischen Winterquartieren. Auf dem Zug wie auch in den Winterquartieren sind sie durch großräumige Lebensraumzerstörungen, direkte menschliche Verfolgung und Pestizideinsätze gefährdet. Die Lage der Zugrouten und Winterquartiere der Altvögel wurde jüngst mit Hilfe satellitentelemetrischer Studien aufgeklärt, so dass ein erstes staatenübergreifendes Schutzkonzept erstellt werden konnte. Mehr oder weniger unbekannt war bislang, (1) welche Zugrouten Jungvögel wählen und ob sie unabhängig von ihren Eltern ziehen; (2) wo sich noch nicht brutreife Jungvögel in den ersten Lebensjahren aufhalten, Wiesenweihen brüten in der Regel erst im 3. Lebensjahr; und (3) wo sie sich später ansiedeln. Damit ist zugleich unbekannt, wann bzw. wo sie einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sind (die Sterblichkeit ist in den ersten Lebensjahren deutlich höher als in späteren Jahren). Ziel der Projekts war die Analyse der Raumnutzungsmuster und Ansiedlung von Jungweihen und der die Raumnutzungsmuster und Ansiedlung bestimmenden Faktoren. Zur Analyse dieser Problemkreise wurden insgesamt 10 junge Wiesenweihen kurz vor dem Ausfliegen mit Satellitensendern markiert und die Raumnutzungsmuster in den ersten beiden Lebensjahren analysiert.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenIm 1. Schritt der Untersuchung wurden die Brutbestände erfasst, die Nester lokalisiert und, sofern notwendig, Nestschutzmaßnahmen eingeleitet. Neben weiteren Altvögeln wurden 10 Jungvögel mit Satellitensendern markiert. Die Vögel wurden bis zum Abzug in die Winterquartiere im Brutgebiet beobachtet. Die Zugrouten, die Lage und Aufenthaltsdauer in den Rast- und Überwinterungsgebieten, allgemein die Raumnutzung in den ersten zwei Lebensjahren wurden an Hand täglicher Peilungen mittels des CLS ARGOS-Satellitensystems ermittelt. Aufbauend auf den aktuellen Peilungen wurden in den Wintermonaten (Januar/Februar) Expeditionen in die afrikanischen Winterquartiere bzw. die Aufenthaltsgebiete der Vögel durchgeführt.


Ergebnisse und Diskussion

Jungvögel aus NW-Europa orientierten sich offenbar öfter als Altvögel zu Beginn ihres ersten Herbstzuges eher in südliche oder südöstliche als in südwestliche Richtung. Im Gegensatz zu Altvögeln querten manche NW-europäische Jungvögel das Mittelmeer während des ersten Herbstzuges an seiner breitesten Stelle, zwischen Frankreich und Algerien. Altvögel nutzten entweder eine Zugroute über Spanien/Gibraltar oder Italien. Die Zugrouten NO-europäischer Jungvögel unterschieden sich offenbar nicht wesentlich von denen der Altvögel. Dies galt auch für alle Jungvögel während des Frühjahrszuges. Der erste Frühjahrszug fand entweder im 2. oder 3. Kalenderjahr (KJ) statt.
Wiesenweihen Jungvögel schlossen sich auf dem ersten Herbstzug nicht den Eltern an. Wahrscheinlich erscheint, dass sie einem genetisch determinierten Zugprogramm folgen. Ob sie sich unterwegs ggf. kleinen Gruppen von Artgenossen anschlossen, bleibt offen. Unwahrscheinlich erscheint, dass die großräumige Zugroutenwahl erblich ist (z. B. bei NW-europäischen Weihen Wahl zwischen einer Zugroute über Spanien oder über Italien).
Jungvögel verließen die Nestumgebung durchschnittlich etwas später als adulte Weibchen, jedoch früher als adulte Männchen. Ein Drittel der besenderten Jungvögel dispergierte vor dem Herbstzug, gegenüber nur 15 % der adulten Weibchen und 0 % der adulten Männchen. Die Dispersion könnte neben einer Verlängerung der Rast und Vorbereitung auf den Zug auch dem Prospektieren künftiger Brutgebiete dienen.
Mit Hilfe der Satellitentelemetrie konnten mehrere bedeutende Rastgebiete und Winterquartiere identifiziert werden. Ein Rastgebiet von überragender Bedeutung liegt in Ost-Marokko. Alt- und Jungvögel überwinterten in der Sahel-Sudanzone, sie konzentrierten sich im Wesentlichen auf acht Gebiete vom Senegal bis in den Tschad. Ein Verschnitt der Ortungen mit remote sensing Daten ergab, dass Jung- und Altvögel mosaikreiche Strukturen präferierten, bspw. ein Mosaik aus offenen Steppen- und Agrarlandschaften. Freilandarbeiten in den Rast- und Überwinterungsgebieten deuten darüber hinaus auf eine Bevorzugung wenig degradierter gegenüber durch Erosion, Überweidung und Feuerholzgewinnung degradierten Habitaten.
Die Mortalität von Jungvögeln liegt weit über der von Altvögeln, ca. 70 % vs. 20 - 40 %. Die im Jahreslauf höchste Mortalität trat bei adulten Wiesenweihen während des Frühjahrszuges auf, die niedrigste zur Zeit des Herbstzuges. Die vergleichsweise hohe Mortalität während des Frühjahrszuges könnte auf ungünstigere Witterungsumstände zur Zugzeit, eventuell kombiniert mit einer schlechteren Körperkondition gegen Ende des Winters zurückzuführen sein. Bei Jungvögeln traten im Geburtsjahr, kurz nach dem Ausfliegen und während des ersten Herbstzuges, relativ gesehen mehr Verluste auf als bei Altvögeln. Ursachen für die erhöhte Sterblichkeit können z. B. mangelhafte Körperkondition beim Ausfliegen aufgrund von Nahrungsmangel oder Prädation nach der Getreideernte sein. Die Übersommerung außerhalb der Brutgebiete dürfte für immature Wiesenweihen von Vorteil sein.

Aufbauend auf den o. g. Ergebnissen werden u. a. folgende Schutzmaßnahmen empfohlen:
Nestschutz für Bruten auf ackerbaulich genutzten Flächen, um Verluste durch Mahd und Prädation zu reduzieren und damit die Reproduktionsrate zu erhöhen;
Agrar-Umweltmaßnahmen (Extensivierung und Anlage von ungenutzten Ackerrandstreifen) in vorwiegend ackerbaulich genutzten Brutgebieten, um eine gute Körperkondition der Jungvögel zum Zeitpunkt des Ausfliegens zu gewährleisten und damit auch die Überlebenschancen für den ersten Herbstzug zu verbessern;
Erhalt naturnaher strukturreicher Habitate und damit auch der Nahrungsquellen in den hier identifizierten Rastgebieten Europas und Nordafrikas, um die Überlebenschancen während der Zugperioden zu erhöhen;
Erhalt naturnaher strukturreicher Habitate und damit der Nahrungsquellen, Ausschluss toxischer Insektizide und Bekämpfung der Wilderei in den hier identifizierten Überwinterungsgebieten übergeordneter Bedeutung in der Sahelzone, um die Überwinterung und den Überlebensvorteil der Übersommerung für Jungvögel zu gewährleisten.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Das Projekt wurde regelmäßig in der lokalen und überregionalen Presse sowie im Rundfunk und Fernsehen vorgestellt, in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und Polen sowie während unserer Afrika-Expeditionen im Niger, Senegal, Nigeria und in Marokko. Die aktuellen Peilungen und Zugrouten der markierten Vögel werden auf der Internetseite der Stiftung Wiesenweihe vorgestellt (www.werkgroepgrauwekiekendief.nl). Artikel zum Projekt sind darüber hinaus z. B. auf den Internetseiten der dänischen und polnischen Projektpartner zu finden. Die Ergebnisse wurden bisher auf mehr als 10 nationalen und internationalen Konferenzen vorgestellt, darüber hinaus erschien eine Vielzahl an Publikationen.
Trierweiler, C. 2010. Travels to feed and food to breed - the annual cycle of a migratory raptor, Montagus harrier, in a modern world. PhD thesis. Groningen: University of Groningen, Wilhelmshaven: Institute of Avian Research Vogelwarte Helgoland
Exo, K.-M., Trierweiler, C., Bairlein, F., Komdeur, J. & Koks, B.J. 2010. Zugstrategien und Schutz europäischer Wiesenweihen Circus pygargus. In: Bairlein, F. & Becker, P. (Hrsg): 100 Jahre Institut für Vogelforschung Vogelwarte Helgoland. Wiebelsheim: Aula. S. 121-126
Exo, K.-M., Trierweiler, C., Koks, B.J., Komdeur, J. & Bairlein, F. 2010. Zugstrategien europäischer Wiesenweihen Circus pygargus. Jahresbericht Institut Vogelforschung 9: 9-10
Trierweiler, C., Exo, K.-M., Komdeur, J., Bairlein, F. & B. Koks (2010): Migration and wintering strategies of European Montagus harriers. CEES progress report. Groningen: Centre for Ecological and Evolutionary Studies (CEES). S. 25-28
Trierweiler, C. & Exo, K.-M. 2009. Zugstrategien und Schutz NW-europäischer Wiesenweihen Circus pygargus durch Satellitentelemetrie. Abschlußbericht DBU-Projekt 24672-33/2, 2006-2008. Wilhelmshaven: Institut für Vogelforschung Vogelwarte Helgoland, Scheemda: Stichting Werkgroep Grauwe Kiekendief, Haren: University of Groningen
Trierweiler, C. & Koks, B.J. 2009. Montagus Harrier Circus pygargus. In: Zwarts, L., Bijlsma, R.G., Van der Kamp, J. & Wymenga, E. (Hrsg.) Living on the edge. Birds and wetlands in a changing Sahel. Zeist: KNNV Uitgeverij. S. 312-327
Trierweiler, C., Exo K.-M., Komdeur, J., Bairlein, F., Smits, L., Koks, B.J. 2009. Ein Langstreckenzieher auf der Jagd nach Heuschrecken: Weltreisende Wiesenweihen. Der Falke 56: 249-255
Trierweiler, C., Drent, R.H., Komdeur, J., Exo, K.-M., Bairlein, F. & Koks, B.J. 2008. De jaarlijkse cyclus van Grauwe Kiekendieven - gedreven door woelmuizen en sprinkhanen? Limosa 81: 107-115
Trierweiler, C., Brouwer, J., Koks, B., Smits, L., Harouna, A. & Moussa, K. 2007. Montagus Harrier Expedition to Niger, Benin and Burkina Faso. Report to BirdLife Netherlands. Scheemda: Stichting Werkgroep Grauwe Kiekendief
Trierweiler, C., Koks, B.J., Drent, R.H., Exo, K.-M., Komdeur, J., Dijkstra, C. & Bairlein, F. 2007. Satellite tracking of two Montagus Harriers (Circus pygargus): dual pathways during autumn migration. Journal of Ornithology 148: 513 - 516
Trierweiler, C., Komdeur, J., Drent, R.H., Exo, K.-M., Bairlein, F. & Koks, B.J. 2007. Tracking migratory routes of Montagus harriers. In: CEES: Progress report 2006. Groningen: Centre for Ecological and Evolutionary Studies (CEES). S. 29-32
Trierweiler, C., Koks, B., Harouna, A., Issaka, H. & Brouwer, J. 2006. Montagus Harrier research in the Sahel 2006-2007: aims, findings, methods used and plans for the future. Report to BirdLife Netherlands. Scheemda: Stichting Werkgroep Grauwe Kiekendief
Trierweiler, C., Koks, B.J., Bairlein, F., Exo, K.-M., Komdeur, J. & Dijkstra, C. 2006. Zugstrategien und Schutz NW-europäischer Wiesenweihen (Circus pygargus). Jahresbericht Institut für Vogelforschung 7: 12


Fazit

Mit den auf ökologischen Erkenntnissen basierenden Empfehlungen zum Artenschutz konnte mit Hilfe der Satellitentelemetrie, in Kombination mit remote sensing Daten und Freilandarbeit, ein wichtiger Beitrag zu umfassenden und effektiven Strategien des Artenschutzes bei der Wiesenweihe geleistet werden. Neben den bereits laufenden Studien/Monitoring und Schutzmaßnahmen werden hierauf aufbauend weitere Detailstudien und konkrete Schutzmaßnahmen eingeleitet. Der Einsatz der Satellitentelemetrie für den Artenschutz in diesem Projekt ist damit beispielhaft. Das Projekt kann als Vorbild für Artenschutzprogramme an anderen Arten dienen.

Übersicht

Fördersumme

40.000,00 €

Förderzeitraum

01.05.2008 - 30.04.2011

Bundesland

Niedersachsen

Schlagwörter

Internationale Aktivitäten
Landnutzung
Naturschutz