Artenhilfsprogramme für Libellenarten

Ziel des Projekts ist die Zustandsanalyse der aktuellen Populationen und die darauf aufbauende Planung und Erprobung von Maßnahmen zur Verbesserung der Habitatqualität und des Habitatverbundes dreier gefährdeter Libellenarten

Die Nutzungsintensivierung und Umgestaltung der Landschaft Mitteleuropas führte und führt zu Bestandsrückgängen bei Tier- und Pflanzenarten und dem Verlust von Populationen bis hin zum lokalen oder regionalen Aussterben von Arten. Als Ursachen für den Artenschwund werden in besonderem Maße die Fragmentierung und Isolation geeigneter Lebensräume angesehen. Maßnahmen zur Verbesserung der Habitatqualität sowie Verbundmaßnahmen gelten als essentielle Elemente von Artenhilfsprogrammen und stellen eine Möglichkeit dar, die Populationen gefährdeter und vom Aussterben bedrohter Arten zu entwickeln und dauerhaft zu erhalten. Der Fließgewässerausbau und die Intensivierung der Landnutzung in den letzten Jahrzehnten haben zu einem Verlust vieler typischer Auenlebensräume und Kleingewässer geführt. Dieser Verlust an Primärlebensräumen kann von einer Reihe von Arten durch die Besiedlung von anthropogenen Grabensystemen als Sekundärlebensraum kompensiert werden. Grabensysteme stellen somit für solche Arten, die nur geringe Strömungen ertragen und einen offenen Wasserkörper mit Wasser- und/oder Ufervegetation benötigen, einen neuen Lebensraum dar (Handke 1999).

Von den 81 in Deutschland vorkommenden Libellenarten werden 53 Arten auf der Roten Liste Deutschlands (Ott & Piper 1998) geführt; 11 Arten sind in Anhang II und/oder IV der FFH-Richtlinie genannt (BfN 2010). Die im Rahmen dieses Projekts als Zielarten ausgewählten Libellen Aeshna viridis, Coenagrion mercuriale und Coenagrion ornatum stehen auf der Roten Liste Deutschlands sowie Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens (Altmüller & Clausnitzer 2010; Ott & Piper 1998; Schmidt & Woike 1999). Weiterhin werden die drei Arten in den Anhängen II bzw. IV der FFH-Richtlinie geführt (BfN 2010). Sie sind darüber hinaus in der „Liste der bundesweit bedeutsamen Zielarten für den Biotopverbund“ aufgeführt (Burkhardt et al. 2010).

Weibchen von Aeschna virdis bei der Eiablage

Die Entwicklung und Umsetzung eines Artenhilfsprogramms für Aeshna viridis findet in Grünland-Grabensystemen der Hunte- und Wesermarsch in den Landkreisen Wesermarsch und Oldenburg sowie der Stadt Oldenburg (Niedersachsen) statt. Das Projektgebiet für die Entwicklung und Umsetzung eines Artenhilfsprogramms für Coenagrion mercuriale und Coenagrion ornatum findet im Mindener Flachland des Landkreises Minden-Lübbecke (Nordrhein-Westfalen) statt.

Das Projekt „Artenhilfsprogramme für ausgewählte FFH-Libellenarten“ wird federführend von der Arbeitsgruppe Vegetationskunde und Naturschutz der Universität Oldenburg in Kooperation mit dem Landkreis Wesermarsch, dem Landkreis Oldenburg, der Stadt Oldenburg, dem Kreis Minden-Lübbecke sowie dem Entwässerungsverband Stedingen, dem Unterhaltungsverband Wüsting und dem Wasserverband Große Aue durchgeführt.

Aeshna viridis (Grüne Mosaikjungfer)                      FFH-Anhang IV; RL D: 1; RL Nds.: 1

Aeshna viridis ist in Nord- und Mitteleuropa an Gewässer mit Vorkommen von Stratiotes aloides (Krebsschere, RL D: 3, Nds.: 3) gebunden (Sternberg 2000). Die Eiablage findet ausschließlich in diese seltene Pflanzenart statt. Die Art besiedelt, sofern dichte Krebsscheren-Bestände vorhanden sind, Fließgewässer mit geringer Strömung sowie Stillgewässer (u. a. Mauersberger et al. 2005). In Deutschland ist Aeshna viridis auf das Norddeutsche Tiefland beschränkt. In Niedersachsen kommt die Art vor allem in den Flusstälern von Aller und Elbe, der Weserniederung um Bremen und der Emsniederung bei Leer vor (NLWKN 2010).

 

Von Aeshna virdis besiedelte Stratiotes aloides-Graben im Projektgebiet

Coenagrion mercuriale (Helm-Azurjungfer) FFH-Anhang II; RL D: 1; RL NRW: 2

In Mitteleuropa werden von Coenagrion mercuriale am häufigsten kalkhaltige, langsam fließende Gräben und Bäche in Flussauen, Talniederungen und im Hügelland besiedelt (Sternberg et al. 1999). Charakteristisch für die Fließgewässer ist eine Quellnähe und/oder Grundwasserbeeinflussung, damit verbunden ein seltenes oder fehlendes Austrocknen, eine geringe bis mittlere Fließgeschwindigkeit, Eisfreiheit im Winter sowie geringe bis mittlere Nährstoff- und hohe Sauerstoffgehalte (Buchwald 1989, 1994). Das Ausbreitungsverhalten der Art kann als „konservativ“ mit geringen Ausbreitungstendenzen und -distanzen eingestuft werden, allerdings mit gewissen Unterschieden zwischen den einzelnen Regionen ihres Verbreitungsgebiets (Sternberg et al. 1999). Ihren Verbreitungsschwerpunkt hat die Helm-Azurjungfer in Süddeutschland. In Nordrhein-Westfalen kommt die Art ausschließlich im Tiefland vor. Bedeutende Vorkommen liegen im Einzugsbereich von Lippe, Ems und Weser (LANUV NRW 2011a).

Pärchen von Coenagrion mercuriale

Coenagrion ornatum (Vogel-Azurjungfer)     FFH-Anhang II; RL D: 1; RL NRW: 1

Von Coenagrion ornatum werden langsam fließende, besonnte, sommer- und winterwarme, dauerhaft wasserführende Gräben und Bäche in Grünlandgebieten besiedelt (Sternberg 1999). Entscheidend für das Vorkommen der Art sind wie auch bei C. mercuriale (s. o.) ganzjährig eisfreie Gewässer, ausgeprägte Gewässervegetation, eine geringe Fließgeschwindigkeit sowie ein ausreichender Sauerstoffgehalt (Abb. 2). Eine Ausbreitung der Art ist entlang von Fließgewässern als Leitlinie über einige Kilometer möglich (Buchwald 1989; Burbach et al. 1996). Als südosteuropäische Art erreicht die Vogel-Azurjungfer in Norddeutschland ihre nördliche Verbreitungsgrenze. In Nordrhein-Westfalen sind nur kleine Vorkommen im Kreis Minden-Lübbecke bekannt (LANUV NRW 2011b).

Pärchen von Coenagrion ornatum

Im Rahmen des Projekts soll die Verbreitung der drei Libellenarten in den Untersuchungsräumen auf den aktuellen Stand gebracht sowie deren Populationsstruktur und -größe, Habitatnutzung und das Wanderungs- und Ausbreitungsverhalten ermittelt werden (eigene Untersuchungen sowie Auswertung von Literaturangaben). Diese Daten werden dann mit Habitat- und Umgebungsparametern (Vegetation, Nutzung, Wasserchemie) mittels Geographischem Informationssystem (GIS) verschnitten und analysiert.

Darauf aufbauend werden mögliche Maßnahmen zur Habitatoptimierung und -vernetzung besiedelter und potenziell geeigneter Habitate abgeleitet und geplant. Die Ergebnisse sollen u. a. im Rahmen des Projekts in die gezielte Umsetzung von Maßnahmen sowohl zur Habitatverbesserung und Stärkung der betreffenden Libellenpopulationen als auch zu deren Vernetzung münden. Aufgrund von Vorstudien 2011 durch die Universität Oldenburg konnten erste gezielte Maßnahmen (Umsiedlung von Stratiotes aloides; Anpassung der Böschungsmahd in Coenagrion mercuriale- und Coenagrion ornatum-Gräben) zur Verbesserung der Lebensräume schon zu Beginn des Projekts durchgeführt werden.

Die Ergebnisse zu den aktuell besiedelten und den potenziell geeigneten Habitaten sowie die daraus abgeleiteten Maßnahmen und Erfolgskontrollen bündeln sich synoptisch in einem für jede Art spezifischen Artenhilfsprogramm. Mit Hilfe der gewonnenen Erfahrungen lassen sich Handlungsempfehlungen für eine allgemeine Planung und Durchführung von Artenhilfsprogrammen für Libellen in Grabensystemen ableiten.

Projekttitel Artenhilfsprogramme für die FFH-Libellenarten Aeshna viridis, Coenagrion mercuriale und Coenagrion ornatum in NW-Deutschland - wissenschaftliche Grundlagen und Maßnahmen zur Verbesserung der Habitatqualität und des Habitatverbundes
Aktenzeichen 29355-33/2
Projektträger Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU)
AG Vegetationskunde und Naturschutz
Ammerländer Heerstr. 114 - 118
26129 Oldenburg
Ansprechpartner Prof. Dr. Rainer Buchwald
Telefon 0441/798-4717
E-Mail rainer.buchwald[at]uni-oldenburg.de
Kooperationspartner - Landkreis Wesermarsch
- Landkreis Oldenburg
- Stadt Oldenburg
- Kreis Minden-Lübbecke
- Entwässerungsverband Stedingen
- Unterhaltungsverband Wüsting
- Wasserverband Große Aue
Internet www.uni-oldenburg.de/ibu/vegetationskunde/forschung/projekte/ffh-libellenarten

Altmüller, R. & Clausnitzer, H.-J. (2010): Rote Liste der Libellen Niedersachsens und Bremens.
2. Fassung, Stand: 2007. – Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 30(4): 211–238.

BfN (Bundesamt für Naturschutz) (2010): Liste der in Deutschland vorkommenden Arten der Anhänge II, IV, V der FFH-Richtlinie (92/43/EWG) Stand 10.08.2010. – Bonn. 8 S. unveröffentlicht.

Buchwald, R. (1989): Die Bedeutung der Vegetation für die Habitatbindung einiger Libellenarten der Quellmoore und Fließgewässer. – Phytocoenologia 17(3): 307–448.

Buchwald, R. (1994): Zur Bedeutung der Artenzusammensetzung und Struktur von Fließgewässer-Vegetation für die Libellenart Coenagrion mercuriale mit Bemerkungen zur Untersuchungsmethodik. – Berichte der Reinhold-Tüxen-Gesellschaft 6: 61–81.

Burbach, K., Feltin, I., Königsdorfer, M., Krach, E. & Winterholler, M. (1996): Coenagrion ornatum (SELYS) in Bayern (Zygoptera: Coenagrionidae). – Libellula 15(3/4): 131–168.

Burkhardt, R., Finck, P., Liegl, A., Riecken, U., Sachteleben, J., Steiof, K. & Ullrich, K. (2010): Bundesweit bedeutsame Zielarten für den Biotopverbund. zweite, fortgeschriebene Fassung. – Natur und Landschaft 85(11): 460–469.

Handke, K. (1999): Gräben. – In: Konold, W., Böcker, R. & Hampicke, U. [Hrsg.]: Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften Teil XIII-7152. ecomed. Landsberg. 1–15.

LANUV NRW (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen) (2011a): Helm-Azurjungfer (Coenagrion mercuriale (CHARP., 1840)). – Internetseite www.naturschutz-fachinformationssysteme-nrw.de/ffh-arten/de/arten/gruppe/libellen/kurzbeschreibung/6886 Zugriff Januar 2011.

LANUV NRW (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen) (2011b): Vogel-Azurjungfer (Coenagrion ornatum (SELYS, 1850)). – Internetseite www.naturschutz-fachinformationssysteme-nrw.de/ffh-arten/de/arten/gruppe/libellen/kurzbeschreibung/6887 Zugriff Januar 2011.

Mauersberger, R., Bauhus, S. & Salm, P. (2005): Zum Vorkommen der Grünen Mosaikjungfer (Aeshna viridis EVERSMANN) im Nordosten Brandenburgs (Odonata: Aeshnidae). – Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 14(1): 17–24.

NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) (2010): Vollzugshinweise zum Schutz von Wirbellosenarten in Niedersachsen. Teil 3: Wirbellosenarten des Anhangs IV der FFH-Richtlinie mit höchster Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen – Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis). – Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz. Hannover. 8 S. unveröffentlicht.

Ott, J. & Piper, W. (1998): Rote Liste der Libellen (Odonata). – Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 55: 261–267.

Schmidt, E. & Woike, M. (1999): Rote Liste der gefährdeten Libellen (Odonata) in Nordrhein-Westfalen. 3. Fassung (Stand 1.10.1998). – LÖBF Schriftenreihe 17: 507–521.

Sternberg, K. (1999): Coenagrion ornatum. – In: Sternberg, K. & Buchwald, R. [Hrsg.]: Die Libellen Baden-Württembergs 1: Allgemeiner Teil, Kleinlibellen (Zygoptera). Ulmer. Stuttgart. 270–278.

Sternberg, K. (2000): Aeshna viridis. – In: Sternberg, K. & Buchwald, R. [Hrsg.]: Die Libellen Baden-Württembergs Band 2: Großlibellen (Anisoptera), Literatur. Ulmer. Stuttgart. 110–114.

Sternberg, K., Buchwald, R. & Röske, W. (1999): Coenagrion mercuriale. – In: Sternberg, K. & Buchwald, R. [Hrsg.]: Die Libellen Baden-Württembergs 1: Allgemeiner Teil, Kleinlibellen (Zygoptera). Ulmer. Stuttgart. 255–270.