Projekt 35404/01

Entwicklung von Erhaltungsstrategien für transparentes Polymethylmethacrylat (PMMA) an national wertvollen Kulturgütern im Außenraum

Projektträger

Technische Universität München (TUM) Fakultät Architektur Neuere Baudenkmalpflege
80333 München
Telefon: +49 89 289 290 60

Zielsetzung

Die materielle Erhaltung von Bauteilen aus Kunststoffen stellt eine aktuelle baudenkmalpflegerische und konservatorisch-restauratorische Herausforderung für die Bewahrung des Bauerbes der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts dar.
Zahlreiche historisch wertvolle Bauwerke und kulturelle Artefakte aus dem letzten Jahrhundert haben Bauteile aus transparentem Acrylglas. Besonders die Kulturgüter im Außenbereich sind von erhöhter UV-Strahlung, Abgase, Ruß und Schadgasen, Graffiti und Vandalismus betroffen, die das Erscheinungsbild und die Substanz der ehemals transparenten Acrylgläser schädigen. Statt Entfernung und Ersatz von Originalsubstanz sollte historisches Acrylglas an wertvollen Kulturgütern regelmäßig gepflegt werden, um die Lebensdauer zu verlängern.
Anders als in der Mitte des letzten Jahrhunderts, als Kunststoffe als effiziente, vielseitige und nicht alternde Materialien galten, wird Plastik heute als problematisch angesehen. An schützenswertem Kulturgut der Nachkriegszeit sind verbaute Kunststoffprodukte jedoch unverzichtbare Originalsubstanz und vielfach gestaltbildend. Sie sind Bedeutungsträger kultureller Werte ebenso wie Träger von Informationen über historische Rezepturen und Herstellungstechniken. Anders als bei konventionelleren historischen Bau- und Werkstoffen liegen für synthetische Materialien wie Acrylglas jedoch noch keine anerkannten und abgesicherten Methoden der substanzpflegenden, nachhaltigen Erhaltung vor. Eine veränderte Anschauung, die Kunststoffe nicht als Wegwerfprodukte, sondern als erhaltenswürdige und erhaltensfähige materielle und kulturelle Ressource ansieht, erhält auch das materielle Erbe der Moderne.

Zielsetzung des Projekts war es, anhand der Untersuchung und Analyse verschiedener Fallstudien und historischen Fragmenten, aber auch anhand von Literatur- und Archivrecherche den Bestand und Zustand historischer Bauteile aus Acrylglas zu charakterisieren. Mittels einer historischen Einordnung und Untersuchungs- und Analysemethoden kann Acrylglas differenziert werden. Sowohl die Art der Produktion also auch der Konstruktion kann Schäden im Acrylglas verursachen. Das Erkennen von teilweise charakteristischen Schäden und ihrer Schadfaktoren ist eine Voraussetzung für die Entwicklung von Erhaltungsmethoden. Mittels Studien zur Reinigung und zum Oberflächenschutz sollten Erhaltungsvorschläge erarbeitet werden, die den Einfluss der Schadfaktoren vermindern und das Acrylglas schützen. Endresultat sind erste Empfehlungen, welche Schritte zu gehen sind um historisches Acrylglas im Außenraum zu erhalten.

Arbeitsschritte

I Differenzierung von Acrylglas
In drei Stufen fanden Quellenstudien statt, mit deren Hilfe der Bestand und die Entwicklung von Bauteilen aus Acrylglas nachvollzogen werden kann. Die verwendeten Quellen waren zum einen Literatur und Archivalien, zum zweiten Fallstudien und zum dritten historische Fragmente, die mittels Analyse- und Untersuchungsmethoden charakterisiert wurden.
1) Mit Hilfe von Archivalien aus dem Archiv Röhm der Evonik Industries GmbH, dem Archiv des DM, und dem Archiv im Olympiapark, wurde die historische Entwicklung der Produktion und Anwendung von Acrylglas im Außenraum nachvollzogen. Bezüglich der Produktion wurden sowohl die Zusammensetzung als auch die Formgebung und Umformung betrachtet. Ebenso wurde betrachtet, wann welche Bauteile Verwendung fanden sowie welche Formen und Konstruktionen üblich waren.
2) An Fallstudien in situ wurden Zusammensetzung, Formgebung und Umformung untersucht. Zur Anwendung kamen die Analyseverfahren FTIR und py-GC/MS, auch mit Mikrowellenextraktion, die eine minimale Probenentnahme erfordern. Auch wurden zerstörungsfreie optische Methoden angewandt, wie Mikroskopie und Bemaßung. Unterstützend dabei war die Recherche zur Historie der Objekte, mit Hilfe von Bauplänen und Literatur.
3) Im Labor des DM wurden historische Fragmente untersucht. Die Beprobung war ausgebaut und ohne Rahmen deutlich einfacher. Im Labor standen mehr Geräte zur optischen Begutachtung zur Verfügung, z.B. Stereoskop, und für FTIR war nicht zwingend eine Probenentnahme erforderlich.

II Schadensphänomene und Schadfaktoren
Die Identifikation der Alterung und des Materialabbaus ist durch optische (Mikroskopie, REM, Polariskopie) und analytische Untersuchung (GPC, py-GC/MS) an den Fallstudien und historischen Fragmenten in drei Schritte erfolgt.
1) Bestands (s.o.): Schon die Zusammensetzung, bestimmte Produktionsverfahren und die Konstruktion können durch chemische und mechanische Prozesse Einfluss auf die Schädigung von Acrylglas nehmen und somit Schadfaktoren beinhalten.
2) Identifikation von sichtbaren Schadens- und Alterungsphänomenen: Worum handelt es sich und wo im Material tritt das Phänomen auf? Die Beschreibung in Wort und Bild hilft dabei, Phänomene klar und einheitlich zu definieren.
3) Im dritten Schritt werden mögliche Schadfaktoren und ihre Wirkmechanismen identifiziert. Grundlage ist eine genaue Kenntnis der Fallstudien.

III Erhaltungsmethoden
Die Entwicklung von substanzerhaltenden Maßnahmen für historisches Acrylglas setzt zwei Stufen voraus. Auf die Erfassung sichtbarer Alterungsphänomene, deren Aussehen und Schweregrad, folgt die Identifikation von Abbaumechanismen und deren ursächlichen Schadfaktoren. Die Schadensursachen zeigen auf, wo mindernd eingegriffen werden sollte und welches die häufigsten und schädlichsten Ursachen sind, die adressiert werden sollten. Der größte Anteil der erhaltenden Maßnahmen sollten nicht invasiv sein, bspw. durch Monitoring. Minimal invasive Maßnahmen bilden den kleineren Teil und stark invasive Maßnahmen sollten den geringsten Raum einnehmen.
Zu den stark invasiven Maßnahmen wurden drei Studien zur Pflege / Reinigung und zum Oberflächenschutz durchgeführt.
1) Eine erste Reinigungsstudie wurde von den Stipendiatinnen des Deutschen Museums (DM) Franziska Schittler mit Hilfe von Veronika Mayr durchgeführt. Sechs Reinigungsmethoden wurden an historischen Fragmenten des Olympiadachs von 1998 im Labor ausgeführt und mittels Untersuchungsmethoden sowohl der Reinigungserfolg als auch das Schädigungspotenzial eruiert mit dem Ziel, Empfehlungen auszusprechen.
2) In einer fortführenden Reinigungsstudie wurden Flächen des Olympiadachs in situ mit den bewährten Methoden aus der ersten Studie gereinigt. Neben Reinigungserfolg und Schädigungspotenzial wurden Effektivität, Effizienz und Praktikabilität der Methoden untersucht.
Die Reinigungsstudien wurden mit Unterstützung der Stadtwerke München (SWM) und weiterer Firmen durchgeführt.
3) In einer Studie zum Oberflächenschutz wurden zuerst mögliche industrielle Produkte recherchiert. Fünf ausgewählte Produkte wurden an neuem Acrylglas getestet, das mit Alterungsphänomenen in Form von Rauigkeit und Kratzern präpariert wurde. Mittels Untersuchungsmethoden wurden ihre Ästhetik und ihre Haftung geprüft sowie, inwiefern Rauigkeit und Kratzer ausgeglichen werden und Wasser abgewiesen werden kann. Ebenso wurde die Praktikabilität der Anwendung und die Kosten untersucht.

Ergebnisse

Die verfolgten Ziele wurden erreicht. Es wurden Empfehlungen erarbeitet, wie historisches Acrylglas von kulturellem Wert vor anthropogenen Einflüssen geschützt werden kann. Mit diesem Vorgehen wird einem Austausch vorgebeugt, was zur Vermeidung von Müll beiträgt und die Ressourden einer Neuproduktion einspart.
Diese Empfehlungen sollen zukünftig als Handreichung dienen für Denkmalpfleger:innen und Restaurator:innen, aber auch für Besitzer:innen und Nutzer:innen im Umgang mit ihrem historischen und kulturell wertvollen Bestand. Neben der Schaffung eines Verständnisses für die Wertigkeit der Materialien und ihr (Alterungs-)verhalten ist es unabdingbar, alle Akteure und Interessensgruppen in die folgenden Schritte mit einzubeziehen und ein Team von Experten zusammenzustellen. Für die Erfassung des Bestands und Zustands sind nicht nur Recherchen nötig sondern auch Untersuchungen vor Ort und im Labor, auch mit Probennahmen. Der anschließende Erhaltungsplan sollte vor allem nicht invasive Methoden einbeziehen und finanziell abgesichert sein. Ziel ist ein langfristiges Pflegeprogramm, bei dem die Bauteile aus Acrylglas in regelmäßigen Abständen untersucht und die Erkenntnisse dokumentiert werden. Hierzu wurden Vorschläge für eine materialschonende Reinigung erarbeitet sowie eine Methodik, wie ein geeigneter Oberflächenschutz gefunden werden kann.

Abweichungen vom Zeit- und Methodenplan ergaben sich aus Unvorhergesehenheiten, so haben sich manche Untersuchungsmethoden aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse nicht als geeignet erwiesen oder wurden zugunsten anderer vernachlässigt. Zu Anfang der Studie hatten wir pandemiebedingt beschränkten Zugang zu Laboren, Archiven, den Fallstudien und anderen Firmen, weshalb wir verstärkt publiziert haben und die Reihenfolge der Arbeitspakete getauscht wurde. Aufgrund von frühzeitigen Publikationen wurden wir auf eine Fallstudie aufmerksam gemacht und konnten diese in die Untersuchungen einbeziehen. Zum Ende des Projekts haben sowohl die Technische Universität München (TUM) als auch das Deutsche Museum (DM) zusätzliche Arbeitskräfte finanziert, damit die Studien zur Reinigung und zum Oberflächenschutz innerhalb des Zeitplans durchgeführt werden konnten. Die Zusammenarbeit mit den Kooperationspartner:innen, Archiven, Firmen und Laboren lief sehr gut. Es gab eine breite Unterstützung und das Forschungsprojekt stieß auf großes Interesse.

Öffentlichkeitsarbeit

Es ist gelungen, sowohl während der Projektlaufzeit als auch im Anschluss, durch die Untersuchungen an den Objekten, in den Instituten und mit den beteiligten Firmen, aber auch durch Publikation und Bekanntgabe das Interesse für die Fragestellung und die Ergebnisse zu wecken und Unterstützer:innen für das Projekt zu gewinnen.

Publikationen
Publikationen sind in nationalen und internationalen Fachpublikationen erschienen, ein Artikel wird voraussichtlich im Herbst publiziert. Die insgesamt vier Vorträge auf nationalen und internationalen Fachtagungen wurden interessiert angenommen. Es gab zwei Interviews für die interessierte Öffentlichkeit. Weitere Publikationen zu den Studien der Reinigung und des Oberflächenschutzes sind in Planung.

Fachpublikationen
• Brunner, S., Pamplona, M., Putz, A. 2020. ‘Zum Wert von Polymethylmethacrylat. Erhaltungsstrategien für transparentes Acrylglas im Außenraum‘. In Die Denkmalpflege 113(2):155-163.
• Brunner, S. 2021. ‘Preservation of historic acrylics outdoors. Strategies for the conservation of outdoor transparent poly (methyl methacrylate) (PMMA) in architecture and museum objects’. In ICOM-CC Newsletter, Triennium 2021-2023 / Newsletter No 1 / Issue 12 / July 2021, S. 25
• Brunner, S. 2021. ‘Transparent acrylic constructions before and after 1950 – from the 1935 Opel Olympia to the 1972 Olympic roof’. In History of construction cultures Vol. 1, 275-282.
• Brunner, S., Putz, A. 2023. ‚Acrylglas im Bauen – materialgerechte Konstruktion oder konstruktionsgerechtes Material?‘. In Tagungsband der Fünften Jahrestagung vom 10. bis 11. Juni 2021 in Zürich, Gesellschaft für Bautechnikgeschichte (Hg), 2023, S. 241-257.
• Brunner, S. ‚Outdoors! Transparent acrylics in cultural heritage exposed to weather - case studies: degradation phenomena and their possible causes‘ [conference paper]. In Future Talks 021. Publikation vsl. Herbst 2023.

Vorträge
• Putz, A. ‚Acrylglas im Bauen – materialgerechte Konstruktion oder konstruktionsgerechtes Material?‘, Fünfte Jahrestagung der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte, 10.-11.6.2021 in Zürich
• Brunner, S. ‚Outdoors! Transparent acrylics in cultural heritage exposed to weather - case studies: degradation phenomena and their possible causes‘, Future talks Conference, 8.-10.11.2021, online
• Brunner, S.; Putz, A.: ,Präsentation der Projektergebnisse, Erhaltungsstrategien für transparentes Polymethylmethacrylat (PMMA)‘, 15.3.2023, online
• Brunner, S.: ,Erhaltung und Schutz von Acrylglas: Wie kann eine stabile und innovative Schutzschicht aussehen‘, 10. Workshop Inn-O-Kultur Neue Materialien & Fertigungsprozesse, Facetten & Chancen für den Schutz von Kulturgütern, 22.3.2023 in Plauen

Interviews
• Interview von Hellmuth Nordwig zum Thema Kunststoffe im Museum, Hörfunkbeitrag WDR Quarks 1.12.2021: https://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/podcast/weltweit/fsk0/259/2590291/wdr5quarkswissenschaftundmehr_2021-12-01_spritzegegenaidsnarzissmusbeikindernimpfpflicht_wdr5.mp3 (ab min. 57:10)
• Dütsch, K. 2022. ,Kampf gegen trübe Aussichten. Wie kann man das wenige alte Acryl im Münchner Olympiapark retten und neues fit machen für seine transparente Zukunft?‘ In Bayerische Zeitung, Juli/August 2022, Jg. 71, Nr. 7/8, S. 11-15.

Eine Fortführung des Projekts ist in Planung. Die Studie zum Oberflächenschutz soll um Tests zur Langlebigkeit und um den Auftrag auf historischen Oberflächen erweitert werden.
Die erste Anleitung zum Erhalt von historischem Acrylglas soll zeitnah im Fachbereich vorgestellt und über ICOMOS (National Scientific Committee (NSC) Industriedenkmalpflege / Erbe des 20. Jahrhunderts und NSC Konservierung und Restaurierung von Wandmalerei und Architekturoberflächen) und andere Fachverbände sowie den Landesämtern für Denkmalpflege weiterentwickelt und international veröffentlicht werden.

Fazit

Mit der Untersuchung an den exemplarischen Beispielen wurde ein grundsätzliches methodisches Vorgehen für die Erhaltung von historischem Acrylglas entwickelt und erprobt. Es gibt durchaus verschiedene Produktgruppen von Acrylglas, die sich sowohl zeitlich als auch in ihrer Herstellung erschließen lassen und für die unterschiedlichen Erhaltungsmaßnahmen möglich sind. Die konkrete Maßnahme muss jedoch im Einzelfall erprobt werden und hängt von den individuellen Erhaltungszielen ab, welche sich nicht vom einen auf den anderen Fall übertragen lassen. Grundsätzlich sind nicht invasive und präventive Maßnahmen vorzuziehen. Im Einzelfall kann auch die Rückführung von Zuständen möglich sein, die mit stark invasiven Methoden erreicht werden. Jedoch wurden diese im Rahmen des Projekts nicht erprobt, da sie nicht relevant für die konkreten Fälle waren und ausgeschlossen wurden. Bei anderen Fallstudien können z.B. das Abschleifen / die Politur oder das Tempern als invasive konservierende Maßnahme relevant werden.

Übersicht

Fördersumme

125.000,00 €

Förderzeitraum

01.03.2020 - 31.12.2022

Bundesland

Bayern

Schlagwörter

Umweltkommunikation