Projekt 34488/01

Beta-Diversität experimentell für nachhaltige Waldbewirtschaftung in Mitteleuropa

Projektträger

Julius-Maximilians-Universität Würzburg Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie Ökologische Station Fabrikschleichach Nationalpark Bayerischer Wald
Glashüttenstr. 5
96181 Rauhenebrach
Telefon: +49 931 31 83378

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Im Universitätsforstamt Sailershausen (Universität Würzburg) wurde 2018 ein Before-After-Control-Impact (BACI) Experiment zur Weiterentwicklung der Waldbewirtschaftung und zur Ausbildung aller gesellschaftlich relevanten Personenkreise (Forstpraktiker*innen, Naturschutzpraktiker*innen, Behörden, Studierende) eingerichtet. Es soll Antwort darauf geben, wie durch eine Erhöhung der Strukturvielfalt mit den zwei Größen Licht und Totholz die Beta-Diversität und die Ökosystemleistungen in Wirtschaftswäldern verbessert werden können. Durch den Before-After Ansatz können bereits nach zwei Jahren erste Erkenntnisse zu Strukturveränderungen sowie zur Reaktion mobiler Artengruppen mit kurzer Reaktionszeit auf Veränderung im Wald gewonnen werden.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten Methoden2018 wurden in vier ausgewählten Waldbeständen jeweils 15 quadratische Plots mit einer Abmessung von 50m x 50m eingerichtet, auf denen umfangreiche Daten zur Artenausstattung, zu Ökosystemleistungen und zur Bestandsstruktur bereits im Ausgangszustand (Before) erhoben wurden. Im darauffolgenden Winter wurden drei dieser Bestände nach der Vorgabe des experimentellen Designs behandelt. Dabei wurden folgende unterschiedliche Totholzstrukturen geschaffen:
1. Variante R Bäume wurden vollständig, samt Wurzelstöcken entfernt.
2. Variante W Bäume wurden entfernt, Wurzelstöcke verblieben im Bestand.
3. Variante K Stämme wurden entfernt, Wurzelstöcke und Kronen verblieben im Bestand.
4. Variante L Kronen wurden entfernt, Wurzelstöcke und die liegenden Stämme verblieben im Bestand.
5. Variante S Bäume wurden in ca. 5m Höhe „geköpft“, die Kronen wurden entfernt.
6. Variante S/L Die Hälfte der Bäume wurde wie in Variante S und die andere wie in Variante L behandelt.
7. Variante H Bäume wurden durch unterschiedliche Verletzungen zu künstlichen Habitatbäumen gemacht.
Um unterschiedliche Lichtverhältnisse zu schaffen, erfolgte die Maßnahme einmal wie bei einer Durchforstung über die Fläche verteilt (D) und einmal aggregiert (A) auf einer kreisrunden Fläche von 30m Durchmesser in der Mitte der Plotfläche.
Der vierte Bestand und ein weiterer, neu ausgewiesener, ebenfalls mit 15 Plots, wurden regulär durchforstet.
Der Mittelpunkt jedes Plots wurde durch einen eingeschlagenen Magneten dauerhaft markiert. Für alle Aufnahmen wurde ein einheitliches Kennzeichnungsschema mit fünf Subplots festgelegt. An jedem Plot wurden Datalogger zur Messung von Temperatur und Feuchtigkeit der Luft und des Bodens installiert.
Folgende Zielgrößen von Ökosystemstrukturen wurden erhoben:
Waldstrukturen
Auf allen Plots wurden 2018 terrestrische Laserscans im laubfreien und belaubten Zustand durchgeführt, 2019 nur im laubfreien. Darüber hinaus wurden die Flächen in beiden Jahren auch mit einem flugzeuggetragenen Scanner aus der Luft erfasst. Nach dem Eingriff wurden alle Bäume auf den Plots eingemessen und die Baumart sowie der Brusthöhendurchmesser aufgenommen. Der ausgeschiedene Bestand wurde über die Wurzelstöcke erfasst. Baumartenzusammensetzung, Holzvorrat und Bestockungsgrad wurden mit diesen Daten unter Zuhilfenahme der Baumarten-Altersklassen-Durchmesser-Tabelle aus der aktuellen Betriebsinventur berechnet.
Baumverjüngung
Im Sommer 2019 wurden nach einem definierten Verfahren auf jedem der 75 Plots zwei Flächen von je 6m x 6m festgeleg. Eine davon wurde eingezäunt, um den Verbiss durch Rehwild auszuschließen, die andere bleibt ungezäunt. Im Sommer 2020 wurde die Naturverjüngung aufgenommen.
Totholzstrukturen
Das Totholzvolumen auf den Plotflächen wurde nach Länge und Mittendurchmesser ermittelt und nach Baumart und Struktur (Wurzelstock, Kronenholz, liegendes Stammholz, Hochstümpfe) gesondert aufgenommen.
Habitatbaumstrukturen
Die Habitatbäume wurden nach Art der Behandlung (Schrubben, Kippen, Köpfen über Grünast und künstliche Höhle) und Baumart aufgenommen. Die Volumensberechnung erfolgte durch Vollkluppung.
Folgende Zielgrößen von Ökosystemprozessen und Funktionen wurden erhoben:
Streuabbau
Im Frühjahr 2018 wurden auf jedem Plot je fünf Beutel mit Zellulose, vier mit Buchenblättern sowie fünf Birkenholzstäbchen für eine Vegetationsperiode ausgelegt. Anschließend wurde der Abbau der Biomasse im Labor ermittelt.
Bestäuber
Im Frühjahr 2018 wurden die Bestäuber der Frühjahrsblüher mit farbigen Fangschalen und Kescherfängen erfasst. 2018 und 2019 waren auf jedem Plot zwei Nisthilfen für Wildbienen installiert.
Symbiontengemeinschaft pilzzüchtender Borkenkäfer
Der Bestand der Ambrosiakäfer wurde 2018 mittels Alkoholfallen erfasst.
Samenprädation
Die Samenprädationsrate wurde 2019 durch das Auslegen unterschiedlich großer Samen in Plastikschalen ermittelt.
Reaktion von Dungkäfern
Dungkäfer wurden 2018 und 2019 mittels Bodenfallen erfasst, die mit Dung von Wildschwein, Hausrind und Damhirsch beködert waren.
Folgende Zielgrößen von organismischer Diversität wurden erhoben:
Akustische Diversität und Soundscapes
2018 und 2019 wurden an allen Plots autonome Audiorekorder installiert, die im 10-Minuten-Takt für eine Minute die Umgebungsgeräusche aufzeichnet.
Reaktion hochmobiler Arten
Die Vögel wurden 2018 und 2019 von März bis Juni fünfmal mithilfe der standardisierten Punktstopp-Methode erfasst. Zusätzlich wurde eine standardisierte Auswahl von Hörminuten aus den Aufnahmen der Audiorekorder ausgewählt und ornithologischen Experten zur Bestimmung auf Artniveau vorgelegt.
Die Rufe der Fledermäuse wurden im Zeitraum von Mai bis August mittels Batcorder automatisch aufgezeichnet. Die Aufnahmen erfolgten 2018 in fünf Nächten, 2019 in vier.
2018 und 2019 wurden von Mai bis August zwei Flugfensterfallen und zwei Barberfallen installiert, um die oberirdischen Arthropoden zu erfassen. Alle Fänge wurden auf folgende Gruppen vorsortiert: Käfer, Hautflügler (Ameisen separat), Zikaden, Wanzen, Spinnen, Netzflügler, Sonstige (Schwebfliegen separat). Abschließend bestimmt wurden bisher die Käferfänge der Flugfensterfallen von Mai und Juni aus beiden Fangjahren, sowie vom Juli 2018.
Reaktion der Arthropoden unterirdisch
Um die Nematoden zu erfassen wurden 2018 und 2019 nach einem festen Schema fünf Bodenproben bis 20 cm Tiefe gezogen und ins Labor verbracht.
Veränderung der Vegetation
2018 und 2019 wurden pro Plot auf fünf Kreisflächen mit Radius vier Meter die Strauch-, Kraut- und Moosschicht aufgenommen.
Veränderung der Kryptogamen und Pilze
Vor dem Eingriff wurden pro Plot an mindestens drei Bäumen die epiphytischen Moose und Flechten kartiert und die holzbesiedelnden Pilze durch Bohrmehlproben aus dem Stamm erfasst.
Die Wahrnehmung der Maßnahme wurde durch eine Onlinebefragung ermittelt. Hierzu wurden ca. 600 Personen Fotos von den unterschiedlichen Behandlungsvarianten zur Bewertung vorgelegt.
Zur Vermittlung des Versuchsaufbaus und der Ergebnisse wurde ein Lehrpfad durch einen der behandelten Bestände eingerichtet.


Ergebnisse und Diskussion

Durch den Eingriff wurden Waldstrukturen geschaffen, in denen dauerhaft kleinflächig unterschiedliche Lichtverhältnisse herrschen werden. Dadurch und durch die Anreicherung mit Totholz und Habitatbäumen wurden zahlreiche Prozesse in Gang gesetzt, die zum Teil bereits nach einem Jahr erkennbar sind. Viele angestoßene Entwicklungen werden aber erst in den kommenden Jahren Wirkung zeigen und bieten eine hervorragende Ausgangssituation für weitere Forschungsarbeiten.
Das bisher einzigartige Experiment mit einer umfassenden Datenerhebung vor dem Eingriff hat das Interesse zahlreicher Wissenschaftler*innen geweckt, die sich mit eigenen innovativen Forschungen und Mitteln in das Projekt einbrachten.
Das Ziel, beispielhafte Waldstrukturen zu schaffen, um Naturwald-typische Prozesse im Wirtschaftswald zu initiieren ist voll und ganz gelungen. Die ursprüngliche Kostenkalkulation wurde eingehalten. Mit dem Lehrpfad wurde auch die angestrebte Möglichkeit geschaffen, die Ergebnisse einem interessierten Fachpublikum anschaulich zu vermitteln.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Der Sender Sat1 stellte das Experiment am 27.12.2018 in einer Wissenschaftsreportage im Bayerischen Programm vor.
Beim 3. Wissenschaftlichen Symposium Natur- und Artenschutz bei integrativer Waldbewirtschaftung im Steigerwald-Zentrum in Handthal wurde das Projekt am 04.04.2019 mit einem Vortrag vorgestellt.
In der regionalen Presse wurde das Projekt am 07.06.2018 von den beiden Zeitungen „Bote vom Haßgau“ und „Fränkischer Tag“ und am 18.06.2018 in der „Mainpost“ ausführlich vorgestellt.
Der Bayerische Landesverband der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft besuchte die Flächen bei seiner Jahrestagung am 27.04.2019, ebenso der Lehrstuhl für Waldbau der Universität Wageningen im Rahmen einer Exkursion im Sommer 2019.
Der Lehrpfad bietet eine hervorragende Möglichkeit Studierenden und Praktiker*innen die Ergebnisse des Experiments zu vermitteln.
Erste wissenschaftliche Veröffentlichungen werden in naher Zukunft folgen.


Fazit

Im Rahmen des DBU Projektes konnte der Grundstein für ein vielversprechendes Waldexperiment gelegt werden. Das große Interesse vieler hochkarätiger Wissenschaftler bestätigt die Attraktivität eines solchen Frameworks im Universitätswald. Daneben zeigt die Aufmerksamkeit, die das Projekt bei Forstpraktiker*innen erregt hat, dass experimentelle Ansätze auch hier gefragt sind und Antworten auf Praxisfragen gesucht werden. Schlussendlich zeigt aber auch das hohe Medieninteresse, dass innovative Ansätze auch gesellschaftlich relevant sind.

Übersicht

Fördersumme

122.900,00 €

Förderzeitraum

23.02.2018 - 31.03.2020

Bundesland

Bayern

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz
Ressourcenschonung
Umweltkommunikation
Umwelttechnik