Projekt 24583/01

Modellhafte Anwendung innovativer Restaurierungsmaterialien und -methoden zur Sicherung craquelierter Glasmalereien am Beispiel eines Bestandes umweltgeschädigter Glasfenster des Kölner Doms (Weltkulturerbe)

Projektträger

Prof. Dr. Barbara Schock-Werner
50667 Köln

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Das Schadensphänomen „Craquelé“ stellt in der Glasmalereirestaurierung ein bislang ungelöstes Problem dar. Vor allem Gläser aus der Zeit des 19. Jahrhunderts, insbesondere bernsteinfarbene, sind davon betroffen. Sie zeigen verschiedene Rissmuster in Form von oberflächlichen Risslagen mit Schollenbildung bis hin zu Tiefenrissen, die das Glas in der gesamten Stärke durchziehen. Je nach Ausprägung führen die Risssysteme zu deutlich verminderter Stabilität der Scheiben und zu veränderter Transparenz. Zur Behandlung craquelierter Gläser gibt es bislang keine tragfähigen Konzepte. Unklar ist auch, welche Ursachen das Schadensbild auslösen. Unter anderem kommt schadstoffbelastete Luft als ein gewichtiger Faktor in Frage.
Hauptgegenstand der Untersuchungen war das Jesus-Sirach-Fenster, ein großes Fenster aus dem „Welterzyklus“, des Kölner Domes. Weitere craquelierte Einzelgläser aus anderen Glasmalereibeständen des späten 19. Jahrhunderts wurden in die Untersuchungen einbezogen. Anhand originaler Gläser sollte eine Charakterisierung des Schadensbildes Craquelé erfolgen. Als reproduzierbares Probenmaterial sollten künstlich craquelierte Modellgläser entwickelt werden, um Untersuchungen zu Schadensursachen und konservatorische Versuchsreihen durchführen zu können.
Als Konservierungsmaterial sollte der Einsatz eines im Kompetenzfeld „Anorganische Materialien aus flüssigen Vorstufen“ des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung (ISC) entwickelten, hydroaktiven Gels (Laborbezeichnung „A18“) getestet und an die Erfordernisse zur Sicherung craquelierter Gläser angepasst werden. Das neue Festi-gungsmaterial, ein nanomolekular strukturierter, organisch-anorganischer Aluminiumkomplex mit glasähnlichem Brechungsindex, weist prinzipiell gute Eigenschaften für die Festigung feinster Spaltsysteme, v. a. die langen engen Risssysteme von Tiefenrissen, auf. Mit reinem Ethanol verdünnt und als niedrigviskose Lösung infiltriert, polymerisiert das Sol-Gel in den Spalten zu einem anorganischen silicatischen Gerüst und stabilisiert sie von innen her. Parallel zum Einsatz von A18 sollte auch die Verwendung von Glasfasergeweben und -vliesen als quasi unsichtbare Kaschierung craquelierter Gläser geprüft und durch die Auswahl geeigneter Materialien in Kombination mit möglichen Klebematerialien optimiert werden.



Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenIm Labor des ISC wurden Modellgläser entwickelt, die nach gezielter Schädigung im Klimaschrank ein Schadens-bild zeigten, das den komplexen Rissnetzphänomenen originaler Gläser ähnlich ist. An craquelierten Originalen und Modellgläsern wurden Untersuchungen zur Charakterisierung, zu Ursachen und zum Verlauf des Schadensbildes vorgenommen. Folgende Analysemethoden kamen zum Einsatz: Lichtmikroskopie, Rasterelektronenmikroskopie, Transmissionselektronenmikroskopie in Verbindung mit energiedispersiver Elementanalyse und spannungsoptische Messungen. Die Probenpräparationsverfahren umfassten Querbruch, Querschliff, Elektronentransparente Lamelle und Ionenböschung durch Materialabtrag mittels Argon-Ionenstrahlung. Auch Einflussfaktoren auf die Schadensausprägung wurden untersucht.
In einem weiteren Schritt wurde die Festigung craquelégeschädigter Gläser mit A18 getestet. Neben Modellgläsern wurden auch einzelne Originalgläser in die Laborversuche einbezogen. Parallel wurde im Labor des ISC eine Auswahl verschiedener Glasfasergewebe und -vliese im Hinblick auf Lösemittelbeständigkeit, Applikationseigenschaften sowie Vortränkungseignung untersucht. Auch wurden sie im Klimaschrank künstlich bewittert.
Nach Abschluss der Laborversuche im ISC erfolgten in der Glasrestaurierungswerkstatt der Kölner Dombauhütte praktische Tests zur Anwendung von A18 sowie des bestgeeigneten Glasfasergewebes, zunächst an Modellglä-sern. Die Tränkungstests mit A18 wurden im Hinblick auf die Handhabung nach folgenden Kriterien ausgewertet: Applikationstechnik, geeignete Materialkonzentrationen, Zahl der Aufträge, Zwischentrocknung, Zwischenreinigung, Kombination mit Sprungklebungen, Stabilität nach dem Abbinden. Versuchsweise wurde die A18-Behandlung auch an einem craquelierten Originalglas durchgeführt. Die Praxistests zur Hinterlegung craquelierter Gläser mit einem Glasfasergewebe wurden zunächst an Modellgläsern, danach an zwei Originalgläsern vorgenommen, wobei mit Ormocer®-G und Paraloid® B72 zwei in der Glasrestaurierung etablierte Klebstoffe zum Einsatz kamen. Fragen der optimalen Handhabung bei Auftragstechnik und Applikation standen im Mittelpunkt der Versuche.



Ergebnisse und Diskussion

1. Das Schadensbild
Die laboranalytischen Untersuchungen an geschädigten Originalgläsern ergaben neue Einblicke in das Schadensbild Craquelé. Es handelt sich um feinste Risssysteme mit nur wenigen Mikrometern Spaltbreite. Die Spaltbreiten können innerhalb eines Risses variieren und auch mit Korrosionsprodukten gefüllt sein. Neben den Risssystemen waren auch zahlreiche „Gelschichtkanäle“ nachweisbar, Ausläufer aus der Gelschicht in das darunterliegende Kernglas. Visuell sehen diese Gelschichtkanäle wie Risse aus, das Auge nimmt beides unterschiedslos als Schatten wahr. Die Gelschichtkanäle sind jedoch keine Spalte und können demzufolge auch nicht durch Infiltration gefestigt werden. Wie die Risse, bewirken auch die Gelschichtkanäle eine deutliche Verminderung der mechanischen Stabilität. Die künstliche Bewitterung geschädigter Originalgläser erzeugte einen deutlichen Schadensfortschritt.
An einem künstlich bewitterten Modellglas ließen sich die Entstehung und Entwicklung von Craquelé verfolgen: Zunächst bilden sich Gelschichtkanäle, die sich im weiteren Verlauf verbreitern und schließlich einen Spalt bilden. Das an Modellgläsern erzeugte Schadensbild ist dem an Originalgläsern vorgefundenen vergleichbar. Untersu-chungen von Einflussfaktoren auf die Schadensausprägung an Modellgläsern belegten, dass Oberflächenverlet-zungen Auswirkungen auf das Schadensbild haben. Trocknungszeiten zeigten keinen schadensfördernden Ein-fluss. Jedoch steigt mit zunehmender Umgebungsfeuchte die Neigung zur Rissbildung. Für craquelierte Originale gilt daher: Je effektiver die Umgebungsfeuchte in situ reduziert werden kann, umso langsamer wird sich der Schadensprozess fortsetzen. Das Schadensphänomen Craquelé lässt sich im Experiment eindeutig mit Auslaugprozessen in Zusammenhang bringen. Mit spannungsoptischen Messungen ließ sich kein Zusammenhang zwischen der Eigenspannung des Modellglases und dem bewitterungsinduzierten Schadensbild herstellen.
2.1 Konsolidierung craquelierter Modellgläser mit A18
A18 ist als 5%- oder 10-%ige Lösung für die Infiltration geeignet. Einige kurze Spaltabschnitte ließen sich bei den behandelten Proben der Versuchsserie mit A18 tränken, wobei sich nach fünf Applikationsschritten keine Veränderungen mehr ergaben. Ein Großteil der visuell erkennbaren Spaltsysteme konnte mit der Tränkung nicht erreicht werden. Allerdings ist unklar, ob es sich dabei tatsächlich um Spalte handelt, oder aber um Gelschichtkanäle, die nicht zu tränken bzw. füllen sind. Möglich ist auch, dass Korrosionsprodukte die Spaltabschnitte verstopfen und das Eindringen des Festigungsmaterials verhindern. Mit den Klebematerialien Ormocer®-G und Paraloid® B72 scheint A18 kompatibel zu sein, so dass eine Festigung craquelierter Gläser mit A18 auch in Kombination mit der Hinterlegung von Glasfasergewebe vorgenommen werden könnte. Auf einer originalen Glasoberfläche mit Bemalung erwies sich ein Auftrag mit A18 im Laborversuch unter künstlicher Bewitterung als unproblematisch für die bemalten Glasoberflächen.
2.2 Anwendung von A18 in der restauratorischen Praxis
A18 läßt sich gut handhaben und verarbeiten. Je nach Schadensbild lassen sich unterschiedliche Kon-zentrationen zur Tränkung craquelierter Gläser einsetzen. Es verträgt sich mit den derzeit in der Glasrestaurierung gängigen Klebstoffen. Allerdings reagiert A18 auf hohe Luftfeuchtigkeit. Bei über 70% rF wird es instabil. Für Glasmalereien in Kirchenräumen ist A18 daher nicht geeignet, da hier in der Regel keine stabilen Umgebungsbedingungen herrschen. Bei museal gelagerten Gläsern, bei denen eine stabile relative Luftfeuchte unter 60 % gewährleistet werden kann, ist der Einsatz von A18 hingegen möglich.
3. Hinterlegung craquelierter Gläser mit Glasfasergeweben und -vliesen
Als Glasfasergewebe wurden handelsübliche, in der Restaurierung eingesetzte Produkte ausgewählt, die sich je-weils im Glastyp, der Faserdicke, der Fasermenge sowie der Bindemittelart und -menge unterschieden. Alle aus-gewählten Gewebe und -vliese zeigten sich beständig gegenüber den in der Glasrestaurierung gängigen Lösemitteln und ließen sich prinzipiell gut applizieren. Das optische Erscheinungsbild wird sowohl durch die Struktur des Hinterlegungsmaterials als auch durch den Feststoffgehalt der Applikationslösung bestimmt. Gewebe lassen sich besser handhaben als Vliese, da sie geschmeidiger sind und sich Unebenheiten des Untergrundes besser anpassen. Bei glatten Glasoberflächen empfiehlt sich eine Vortränkung des Gewebes mit dem Klebemittel; diese erleichtert die Handhabung und vermindert die Blasenbildung bei der Applikation. An unebene Oberflächen hingegen legt sich unbehandeltes Gewebe besser an. Für bestmögliche Transparenz war die Verwendung hochkonzentrierter Lösungen vorteilhaft. Das aus Laborversuchen als bestgeeignet hervorgegangene Glasfasergewebe bewährte sich beim Einsatz in der restauratorischen Praxis, sowohl bei Versuchen auf Modellgläsern als auch bei der Anwendung an originalen Gläsern. Für die Beschichtung erwiesen sich sowohl Ormocer®-G und Paraloid® B72 in einer Konzentration von 10 % als gut geeignet. Der Stabilisierungseffekt auf craqueliertes Glas ist groß, die Transparenzminderung durch die Hinterlegung minimal.
Da im begrenzten Zeitrahmen des Projektes keine Langzeiterfahrungen mit A18 gewonnen werden konnten, wur-den zwei Serien von A18-getränkten Modellgläsern an klimatisch höchst unterschiedlichen Orten – im Innenraum des Kölner Domes und in der Glasrestaurierungswerkstatt der Dombauhütte – langfristig exponiert. Gleiches gilt für craquelierte, mit Glasfasergeweben hinterlegte Originalgläser aus dem Jesus Sirach-Fenster.



Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Im Projektzeitraum gab es zwei Publikationen: 1) N. N.: Craquelé-Schäden - das Modellprojekt Kölner Dom (DBU-Modellprojekt „Craquelé-Schäden“), in: Dem Zahn der Zeit zum Trotz - Wie Wissenschaftler mit Hightech unser Kul-turerbe retten – Forschungsallianz Kulturerbe – (Sonderbeilage im Spektrum der Wissenschaft) (2012), S.18 sowie 2) Wittstadt, K.; Bellendorf, P.: Achtung „Zuckerglas“ – Untersuchungen zu Schadenseinflüssen stark fragmentierter, archäologischer Gläser, in: Tagungsband Archäometrie und Denkmalpflege (2012), S. 75-77.
Im Januar 2012 wurden die laufenden Projektarbeiten mit Fachkollegen aus zwei rheinischen Museen mit bedeu-tenden Glassammlungen (Römisch-Germanisches Museum Köln und Rheinisches Landesmuseum Bonn) disku-tiert. Die öffentliche Präsentation der Projektergebnisse fand am 4. Dezember 2012 als interdisziplinärer Workshop in der Glaswerkstatt der Dombauhütte Köln statt. Eingeladen waren museale Restauratoren für archäologische Gläser und Hohlgläser sowie Glasmalereirestauratoren aus dem In- und Ausland. Der Abschlussbericht „Anwendungen innovativer Restaurierungsmaterialien und -methoden zur Sicherung craquelierter Glasmalereien. Modellhafte Anwendung an Glasfenstern des Kölner Domes (Weltkulturerbe)“ - Förderprojekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (AZ 24583-45) ist in der Online-Datenbank des Hornemann Instituts der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen kostenlos abrufbar.



Fazit

Das Schadensbild „Craquelé“ ist komplexer als bisher bekannt. Es handelt sich nicht nur um Mikrorisse, sondern auch um „Gelschichtkanäle“, kanalartig ausgeprägte Ausläufer aus der oberflächlichen Gelschicht, die sich in das tiefer gelegene Kernglas fortsetzen. Sie scheinen das Ergebnis lokaler Auslaugprozesse zu sein. Sind sie mit Korrosionsprodukten oder anderen Materialien gefüllt, kann kein Material eindringen, auch kein molekular strukturierter Komplex wie A18. Diese nicht infiltrierbaren Gelschichtausläufer und Mikrorisse bleiben bei craquelierten Gläsern nicht zu konsolidierende Schwachstellen. Die künstliche Schädigung von Modellgläsern und originalen Gläsern zeigte, dass die Neigung zur Rissbildung bei craquelierten Gläsern mit zunehmender Umgebungsfeuchte steigt. Damit steht fest, dass craquelierte Gläser stabile, nicht zu feuchte Umgebungsbedingungen brauchen. Für Glasmalereien in situ kann das nur mit einer Schutzverglasung erreicht werden.
Die Erfahrungen mit dem Aluminiumkomplex A18 sind ambivalent. Das Material bewirkt an craquelierten Gläsern fraglos eine deutliche Festigung. Die Infiltration baut im Rissnetz eine physikalische Bindung auf, die zu einer spürbaren Stabilisierung führt. Inwieweit sich die physikalische Stabilisierung durch die prognostizierte Umwandlung in eine chemische Bindung verstärkt, werden erst die Langzeitstudien mit Modellgläsern und getränkten Originalen erweisen können. Problematisch ist die nachlassende Haftfestigkeit von A18 bei sehr niedrigen und sehr hohen Luftfeuchten in der Phase der physikalischen Bindung. A18 kann nur unter Umgebungsbedingungen eingesetzt werden, in denen eine relative Luftfeuchte unter 60% gewährleistet ist Für craquelierte Glasfenster in Kirchenräumen bietet A18 daher keine konservatorische Lösung. Der Einsatz von A18 fokussiert sich auf craquelierte Gläser aus dem musealen Bereich und archäologische Gläser. Bei feuchten Bodenfunden bietet sich als Erstfundbehandlung eine Volltränkung in einem A18-Bad an, was nachweislich eine wirkungsvolle Rissnetzstabilisierung bewirkt. Auch Mosaike, Keramiken und Glasuren sind ein möglicher Anwendungsbereich für A18. Inwieweit der A18-Komplex so modifiziert werden kann, dass eine signifikant höhere Feuchtestabilität gewährleistet ist, müsste durch weitere Forschungen geklärt werden.
Für die craquelégeschädigten Partien des Jesus-Sirach-Fensters wird A18 aufgrund der Empfindlichkeit gegenüber hohen Luftfeuchten nicht zur Konsolidierung eingesetzt. Stattdessen wird auf die betroffenen Glasstücke Ormocer®-G und vorgetränktes Glasfasergewebe appliziert. Der Stabilisierungseffekt ist groß. Zugleich lassen die bisherigen langjährigen positiven Erfahrungen mit Ormocer®-G eine Dauerhaftigkeit dieser Maßnahme von mehreren Jahrzehnten erwarten. Für die von Craquelé betroffenen Fenster des Kölner Domes wurde damit eine praxisorientierte Lösung gefunden, die es erlaubt, die Originale wieder in situ einzusetzen. Dieses Verfahren ist modellhaft auf andere craquelégeschädigte Glasmalereibestände in Kirchenräumen übertragbar.

Übersicht

Fördersumme

120.000,00 €

Förderzeitraum

20.04.2009 - 31.12.2012

Bundesland

Baden-Württemberg

Schlagwörter

Umwelttechnik