Projekt 15018/01

Förderschwerpunkt Bioabfallverwertung: Entwicklung eines Bioindikators für mikrobielle Umweltbelastungen

Projektträger

Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC)
Neunerplatz 2
97082 Würzburg
Telefon: 0931/4100-300

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Die mikrobielle Gesamtbelastung spielt nicht zuletzt in der Abfallbeseitigungs- und Recyclingindustrie durch ständig steigende Abfallmengen eine zunehmende Rolle. Besonders im Bereich der stofflichen Wiederverwertung und Wertstoffsortierung werden hohe Keimzahlen in der Luft gemessen. Die Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Inhalation der Bioaerosole reichen von Allergien bis hin zu schweren Erkrankungen. Eine verlässliche Beurteilung des möglichen Gefahrenpotentials durch luftgetragene Organismen erfordert allerdings die möglichst umfassende Kenntnis der Keimmengen und Keimarten, die in den verschiedenen Bereichen vorkommen.
Die Messung der Luftkeimkonzentration ist das heute übliche Verfahren zur Ermittlung der mikrobiellen Umweltbelastung. Hierbei wird ausschließlich der Zeitpunkt erfasst, in welchem Messungen stattgefunden haben und Luftproben genommen wurden, sodass das Verfahren lediglich ein punktuelles Bild der Situation wiedergibt. Aus methodischen Gründen ist es notwendig, die kurzfristige punktuelle Messung durch eine kontinuierliche integrative Erfassung der mikrobiellen Belastung zu ergänzen, da letztere eine Objektivierung der Messdaten und eine abgesicherte Dosis-Wirkung-Beziehung gewährleistet, aus der sich die geeigneten Präventivmaßnahmen ableiten lassen.
Die integrative Erfassung mikrobieller Umweltbelastungen mit einer unmittelbaren Signalisierung gesundheitsgefährdender Konzentrationen ist jedoch zur Zeit weder aus technischen noch ökonomischen Gründen möglich.
Zielsetzung dieses Forschungsprojektes war die Erarbeitung eines neuartigen Systems zur Erfassung mikrobieller Luftbelastung unter Verwendung des Materials Glas, das abhängig von Zusammensetzung und Oberflächenmodifikation sehr unterschiedliche Eigenschaften annimmt und damit ein Material ist, das die komplexe Aufgabe der Luftkeimsammlung als Passivsammler übernehmen kann.
Spezialgläser, die in keimbelasteter Umgebung langfristig exponiert werden, sollen eine integrative Sammelphase bilden, durch die eine Aussage über die durchschnittliche mikrobielle Belastung gegeben werden kann. Im Weiteren ist die Entwicklung des Grundkörpers Glas in seiner Funktion als integrative Sammeleinheit zu einem bioindikativen High-Tech-Glas geplant. Dies erfordert eine spezielle Ausstattung der Glasoberfläche mit signalgebenden Komponenten. Ein vielschichtiges System aus unterschiedlich modifizierten und ausgestatteten Gläsern sollte in seiner Sensitivität so eingestellt werden, dass es in so unterschiedlich belasteten Bereichen wie der Abfallwirtschaft, geschlossenen Depoträumen und Kliniken einzusetzen ist.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDie Zusammensetzung der Gläser wurde entsprechend bereits bestehender Erfahrungen auf dem Arbeitsgebiet Biofilme und Mikroorganismen auf Glas ausgerichtet. Im Mittelpunkt stand hierbei der systematische Einbau von Alkali-, Erdalkalimetallen sowie von Übergangsmetallen in einer silicatischen Glasmatrix. Weil die Wertigkeit von Eisen und Mangan hierbei eine zentrale Rolle spielt, wurden die silicatischen Gläser sowohl oxidierend als auch reduzierend geschmolzen. Neben den Silicatgläsern kamen Phosphatgläser zum Einsatz, mit denen es bislang noch keine Erfahrung hinsichtlich der Wechselwirkung mit Mikroorganismen gab. Den Phosphatgläsern wurden ebenfalls Alkali- und Erdalkalimetalle in unterschiedlichen Konzentrationen beigemischt. In neuartigen Phosphatgläsern konnte das stabilisierende Zink durch Calcium ersetzt werden.
Die Oberflächen der Gläser waren in ersten Feldversuchen sägerau belassen worden, in den nachfolgenden Versuchen erhielten sie zur Verbesserung der Auswertung eine Feuerpolitur.
Die Charakterisierung der Gläser wurde mit FT-IR (Fourier-Transformations-Infrarot)-Spektroskopie, Raman-Spektroskopie, Licht- und Rasterelektronenmikroskopie vorgenommen.
Die mikrobielle Besiedelung der Gläser geschah zunächst in Feldversuchen. Als bevorzugte Orte für die Feldversuche kamen Innenräume mit mikrobieller Belastung und unterschiedlichen Umgebungsbedingungen in Betracht. Standorte waren ein Felsenkeller in der Fränkischen Schweiz, ein Depot im Germanischen Nationalmuseum und eine Abfallrecyclinganlage in Würzburg. Die Keimsammlung auf den Gläsern wurde in den Feldversuchen von aktiver Luftkeimsammlung (Andersen-Methode) begleitet, um das Ergebnis der aktiven Keimsammlung mit der passiven Keimsammlung auf dem Trägermaterial Glas vergleichen zu können.
Für die Auswertung der mikrobiellen Besiedelung auf den Gläsern kamen kultivierungstechnische Verfahren und optische Methoden wie Licht-, Fluoreszenz- und Rasterelektronenmikroskopie mit gekoppelter energiedispersiver Spektralanalyse (EDS) sowie Ramanspektroskopie zum Einsatz: Durch die kultivierungstechnischen Verfahren wurde die Lebendkeimzahl erfasst, während die Belegung der Glasoberflächen vor allem über optische Methoden beurteilt wurde.


Ergebnisse und Diskussion

Die Forschungsarbeiten in diesem Projekt haben ergeben, dass silicatische und phosphatische Gläser zur integrativen Passivsammlung von Mikroorganismen geeignet sind, da Mikrobenpopulationen auch bei langfristiger Exposition auf diesen Gläsern zu überleben vermögen. Die mikrobielle Besiedelungsform stabilisiert sich als Biofilm auf der Glasoberfläche und gibt als Integral über die Zeit Auskunft über die durchschnittliche mikrobielle Belastung in einem bestimmten Zeitabschnitt.
Auf den jeweiligen silicatischen und phosphatischen Glassorten entwickelten die Mikroorganismen unterschiedliche Aktivität, deren Ursachen und Folgen resümiert werden sollen:
Bakterien und Schimmelpilze entwickeln unterschiedliche Affinitäten zu Silicat- bzw. Phosphatgläsern, wodurch die Selektion von Mikroorganismengruppen auf dem Material Glas ermöglicht wird.
Die selektive Wirkung des anorganischen Substrats beruht auf dem Oberflächen-pH der Gläser, der vor allem durch die Mobilisierbarkeit von Kalium in der Glasmatrix gesteuert wird. Die mit pH 8 bis 8,5 im ba-sischen Bereich liegenden pH-Werte der modifizierten Silicatgläser sind Ursache für die Dominanz von Bakterien auf den silicatischen Glasoberflächen. Dagegen werden die neutralen Phosphatgläser (pH 7-7,5) bevorzugt von Schimmelpilzen besiedelt. Dieser selektive Effekt wird durch die Wertigkeit der Eisen- und Mangan-Ionen und durch das Verhältnis der Oxidationsstufen in Silicatgläsern gesteuert und verstärkt. Schimmelpilze wachsen im Gegensatz zu Bakterien bevorzugt auf Substraten mit reduzierten Eisen- und Mangan-Komplexionen.
Auch bei Phosphatgläsern ist der Einbau von Alkali- und Erdalkalimetallen bzw. deren Mobilisierbarkeit wesentlich für mikrobielles Wachstum und beeinflusst sowohl die morphologische Ausprägung der Schimmelpilzmycelien wie auch deren Ausbreitung. Im Gegensatz zu Natrium, das sich hemmend auf Schimmelpilzwachstum auswirkt, sind Calcium, Kalium, Mangan und Eisen wachstumsfördernde Elemente.
Dass Zink keine toxische Wirkung auf der Glasoberfläche entwickelt, ist auf die schwere Mobilisierbarkeit des als Netzwerkbildner eingebauten Ions in der Phosphatglasmatrix zurückzuführen.
Durch die Glaszusammensetzung wird nicht nur die gezielte Mobilisierung von Alkali-, Erdalkali- und Übergangsmetallen gesteuert, die als Makro- und Spurenelemente für lebende Zellen essentiell sind: auch das Wasserangebot auf der Glasoberfläche wird durch die Glaskomponenten reguliert.
Eine hohe spezifische Wasseraktivität, die die Wasserrückhaltefähigkeit in der Glasmatrix zahlenmäßig umschreibt, begünstigt das Überleben von Mikroorganismen auf der Glasoberfläche. Vor allem Phosphatgläser verfügen über eine hohe spezifische Wasseraktivität.
Die gewünschten Eigenschaften der Gläser, die durch eine entsprechende Zusammensetzung zu erzielen sind, können durch Beschichtungen modifiziert werden und bewirken u.a. die Veränderung von Ionenaustauschprozessen. Im Falle eines Überzugs mit Schwarzlot kam es zur Diffusion von Kalium aus dem Grundglas eines Kalium-Calcium-Silicatglases in das Schwarzlot, und umgekehrt von Natrium aus der Schwarzlotschicht in das Grundglas. Die Folge war ein veränderter pH-Wert auf der Oberfläche, der sich aus dem basischen in den neutralen Bereich verschob.
Beschichtungen wie Schwarzlot sperren die Glasoberfläche also nicht ab, was sich im Wasserangebot auf der Oberfläche der beschichteten Gläser bestätigt: Abhängig von der spezifischen Wasseraktivität des Glases wird das Wasserangebot auf der Schwarzlotoberfläche aufrecht erhalten.
Neben Glaszusammensetzung und Beschichtungen beeinflusst auch die Oberflächenrauigkeit der Gläser, insbesondere wegen der Adhäsionsmöglichkeiten, die mikrobielle Besiedelung. Mikroraue Oberflächen wie sie sägerau entstehen, bieten Mikroben aufgrund besserer Verankerungsmöglichkeiten, Ausbildung von Mikroklimata in Nischenbereichen und einer großen Oberfläche günstige Bedingungen für ihr Überleben. Die hohe Oberflächenrauigkeit erschwert jedoch die lichtmikroskopische ( erhöhte Lichtstreuung) und kultivierungstechnische (Biofilmadhäsion) Auswertung sehr stark, weshalb in der Folge feuerpolierte Oberflächen eingesetzt wurden.
Die eingesetzten Gläser fungierten als integrative Sammeleinheit, da zum einen die Luftkeimrate mit der Besiedelungsdichte auf den Gläsern korrelierte und zum anderen weitere Einflussgrößen wie Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit, die das Vermehrungspotenzial von Mikroorganismen in Räumen wesentlich bestimmen, in die Keimrate mit eingingen.
Abhängig von der Expositionsdauer, Luftkeimrate und Mikrobenpopulation bildeten sich auf den Gläsern Biofilme aus, die ein Absterben der mikrobiellen Zellen aufgrund ungünstiger klimatischer Bedingungen (z.B. niedrige relative Luftfeuchte) verhinderten und damit die Mikroflora stabilisierten.
Die am Ende der Exposition auf den Gläsern vorgefundene mikrobielle Aktivität gab als integratives Messsystem eine Aussage darüber,
a) inwieweit wachstumsfördernde Bedingungen für Mikroben im gemessenen Zeitraum vorlagen, durch die sich die Mikroflora mehr oder weniger gut auf der Glasoberfläche ausbreiten konnte (Kontaminationspotenzial),
b) welche Mikroorganismengruppen dominierten (Phosphat- oder Silikatgläser) und
c) korrelierend zu a), wie hoch die Belastung durch luftgetragene Mikroorganismen einzuschätzen ist, die sich integrativ über einen Zeitraum auf der Glasoberfläche angesammelt hat.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Ergebnisse konnten erst nach erfolgter Patentanmeldung veröffentlicht werden. Das Patent wurde im Oktober 2000 beim deutschen Patentamt eingereicht. Das laufende Projektvorhaben wurde auf der GLASTEC 2000 in Düsseldorf und im Jahresbericht 2000 des Fraunhofer-Institutes für Silicatforschung der Öffentlichkeit vorgestellt. Weitere Präsentationen im Rahmen wissenschaftlicher Veranstaltungen und Messen sind vorgesehen.


Fazit

In diesem Forschungsprojekt konnten die Voraussetzungen für die Entwicklung einer bioindikativen Glassonde geschaffen werden, indem der grundlegenden Frage nachgegangen wurde, welche Wechselwirkungen zwischen Glas und luftgetragenen Mikroorganismen bestehen. Die prinzipielle Eignung des Materials Glas wurde aufgezeigt: Das anorganische Material Glas kann in seiner Stabilität so eingestellt werden, dass es einerseits beständig genug ist, als Langzeit-Sammelphase aggressiven Luftschadstof-fen und austrocknenden Faktoren in der Luft entgegenzustehen und organische Bestandteile der Luft wie Mikroorganismen zu sammeln, andererseits ist es in der Lage, Ionenaustauschprozesse zuzulassen und damit mikrobielles Wachstum und selektive Prozesse zu steuern. Damit kann als erwiesen gelten, dass Glas das Basismaterial für eine integrative Sammelphase ist.
Die biogene Besiedelung der Glasoberflächen entspricht einem integrativen Wert über die Zeit und über die Umgebungsbedingungen und gibt damit eine Aussage über das in diesem Zeitraum vorhandene mikrobielle Verbreitungspotenzial unter Einbeziehung der klimatischen Bedingungen. Anders als bei der aktiven Sammlung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt wird und in einer Momentaufnahme einen konkreten Messwert in KBE/m³ (Koloniebildende Einheiten pro Kubikmeter Luft) liefert, gehen bei dieser passiven integrativen Sammlung umgebungsbedingte Parameter ein, die in ihrer Auswirkung auf mikrobielles Wachstum ausschließlich über die Zeit erfasst werden können. Folglich ist der Messwert relativ und zeigt quantitativ und qualitativ das angesammelte Mikroben- und somit das mikrobielle Gefahrenpotenzial an, das in Innenräumen kontinuierlich besteht.

Übersicht

Fördersumme

86.408,33 €

Förderzeitraum

01.01.2000 - 25.07.2001

Bundesland

Bayern

Schlagwörter

Ressourcenschonung
Umwelttechnik