Projekt 12599/01

Modellhafte Evaluierung der Auswirkungen einer Hydrazinbehandlung bei umweltgeschädigten stark verbräunten Glasfenstern am Beispiel der mittelalterlichen Fensterpartien im Kloster Marienstern/Sachsen

Projektträger

Berlin-Brandenburgische Akademie der WissenschaftenArbeitsstelle für Glasmalereiforschung des CVMA
Am Neuen Markt 8
14467 Potsdam
Telefon: 0331/2796-113

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

An vier Objekten wurden im Zeitraum von 1981 bis 1991 Aufhellungen von stark verbräunten mittelalterlichen Glasmalereien mit Hilfe einer chemischen Behandlungsmethode vorgenommen. Die Auswirkungen der dabei ablaufenden Prozesse können teilweise erst nach Jahren zuverlässig beurteilt werden. Insbesondere ist der eventuelle Wiederverbräunungseffekt nach mehrjähriger Exposition in situ von Interesse, aber auch die langfristigen Einflüsse der Behandlung auf das Erscheinungsbild spielen eine Rolle. Beides wird in den Untersuchungen, die in einer Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaftlern, Kunsthistorikern und Restauratoren durchgeführt werden, auch im Hinblick auf noch zu ergänzende Konservierungsschritte und auf eine grundlegende Beurteilung der Behandlungsmethode (das sogenannte Hydrazinverfahren) zu ermitteln sein.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDie für die Untersuchungen auszuwählenden Testfelder werden bei Ortsterminen gemeinsam von Gutachtern, Restauratoren und Naturwissenschaftlern festgelegt. Einzelne Glassegmente werden für Untersuchungen aus den Testfeldern ausgebleit. Die Untersuchungen erstrecken sich auf die wesentlichen Glassorten, deren Aufhellung dokumentarisch belegt ist. Hierzu gehören neben fotografischen Aufnahmen auch Lichttransmissionsmessungen, die vor und nach der Hydrazinbehandlung an Testsegmenten durchgeführt wurden. Zur Charakterisierung des Transmissionsverhaltens werden wiederum eine einfache Lichtdurchgangsmessung durchgeführt und zusätzlich die Spektren im sichtbaren Bereich erfasst.
Die in den Oberflächenschichten der Gläser sowie in den Malschichten erfolgten Veränderungen im Verlauf der zehn bis fast zwanzig Jahre nach der Hydrazinbehandlung werden mit elektronenmikroskopischen, röntgendiffraktometrischen und infrarotspektroskopischen Messungen erfasst und ausgewertet. Vor allem ist aus den morphologischen Befunden der Gelschichten auf den Glasoberflächen eine Beurteilung unterschiedlicher Konservierungsverfahren vorzunehmen.
Sowohl der Ausbau und Wiedereinbau der Testfelder als auch das Ausbleien und Wiedereinbleien der Glassegmente werden von den Glaswerkstätten Lehmann durchgeführt. Dabei werden die Aktionen so organisiert, dass die Fachrestauratoren die Termine für ihre Untersuchungen nutzen können. An nachgeschmolzenen und künstlich im Klimaschrank verbräunten Modellgläsern werden die Konservierungsvarianten auf Langzeitwirksamkeit getestet.
Aus den Untersuchungsergebnissen und dem Gesamteindruck einer eingehenden gutachterlichen Betrachtung der Testscheiben werden Empfehlungen für die weitere Anwendung oder gegebenenfalls Nichtverwendung der Hydrazinmethode abgeleitet.


Ergebnisse und Diskussion

Die Untersuchungen an den Testfeldern konnten wie vorgesehen durchgeführt werden. Sie gaben den erwarteten Aufschluss über die materialtechnischen Veränderungen während der und nach den Behandlungen vor 15 Jahren.

Die auf der Außenseite der Glasmalereien vorgenommenen Behandlungen mit Hydrazin- und anschließend mit Ameisensäurelösung sowie mit Wasser zum Abwaschen der Lösungsrückstände haben - abgesehen von der Ablösung der Korrosionsproduktschichten (Wetterstein) - keine merklichen materialtechnischen Veränderungen ergeben. Eventuell noch vorhanden gewesene Spuren einer ehemaligen Außenbemalung sind dabei verloren gegangen. Es ist aber eine Illusion, auf eine langfristige Erhaltung dieser Spuren zu hoffen, da es sich stets ausschließlich um die Zersetzungsprodukte (Salze) ehemaliger Malschichtsubstanzen handelt, die nicht rückführbar sind.

Die im Fall des Fensters nII aus dem Kloster Marienstern notwendige Behandlung der Innenseite der Glasmalereien im Tauchbad der Lösungen hat ebenfalls nicht zu merklichen Materialveränderungen geführt. Sehr geringfügige Unterschiede an einigen wenigen Stellen der Bemalung sind nicht mit Sicherheit der Behandlungsprozedur zuzuordnen. Von vergleichbaren mittelalterlichen Objekten ist bekannt, dass sich innerhalb eines Zeitraums von mehr als einem Jahrzehnt oft weitaus größere Verluste ergeben können.

Der gegenwärtige Zustand aller vier Objekte fällt in keiner Weise aus dem durchschnittlichen Rahmen. Dem eingegangenen Wagnis - das durch entsprechende Laborversuche vorsorglich minimiert worden war - und dem dennoch verbliebenen Belastungsrisiko stehen eine gegenüber dem Vorzustand um Größenordnungen verbesserte Transparenz und die damit wieder gewonnene Lesbarkeit der Malereien gegenüber. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, dass die künftige Entwicklung des Korrosionsfortschritts unbeeinflusst von den erfolgten Behandlungen verlaufen wird und nur durch die klimatischen Bedingungen am Aufbewahrungsort, das heißt im Fenster hinter den Außenschutzverglasungen bzw. im Museumsraum bestimmt wird, wie an jedem beliebigen anderen Fenster auch. Es gibt keine Notwendigkeit, an irgendeinem der vier behandelten Objekte weitere Maßnahmen vorzunehmen. Das trifft auch auf die geringfügige teilweise Wiederverbräunung zu.

Die Beschichtung mit einer dünnen ORMOCER-Schicht hat sich als nicht ausreichend zur Verhinderung der Wiederverbräunung erwiesen. Diese und ähnliche Stabilisierungsmaßnahmen können künftig unterbleiben. Jeder Kunstharzfilm lässt vermutlich ausreichende Mengen an oxidativen Gasen durch, um das Mangan in den Gelschichten wieder zu oxidieren. Große Bedeutung wird dagegen den klimatischen Bedingungen zukommen. Deshalb muss dringend empfohlen werden, in den Kirchen solche Verhältnisse herzustellen, dass eine relative Luftfeuchte von etwa 60 % nicht überschritten wird.

Die fehlende Luftzirkulation im Fensterspalt in den Kirchen von Kirchstück und Basse sowie die offenbar sehr feuchte Innenatmosphäre in der gesamten Klosterkirche Marienstern, die bewirkt, dass trotz Luftzirkulation im Spalt die relativen Feuchten außergewöhnlich hoch sind, stellen völlig unabhängig von der Hydrazinbehandlung ein hohes Risiko dar, unter dem auch weniger empfindliche Materialien leiden würden.

Deshalb ist es nahezu unglaublich, dass die infolge ihrer chemischen Zusammensetzung äußerst gefährdeten mittelalterlichen Gläser so wenig Veränderungen nach dem Wiedereinsetzen zeigen. Es lässt fast vermuten, dass die Behandlungen, bei denen ja durch Hydrazin- und Ameisensäurelösungen nicht nur das Mangan, sondern auch zahlreiche Schadstoffe von den Oberflächen entfernt worden sind, eher eine konservierende als die befürchtete schädigende Wirkung gehabt haben. Damit wäre ein weiteres Mal bestätigt, dass die meisten Schäden an Kunstwerken nicht durch getroffene Maßnahme, sondern durch Unterlassungen entstehen.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Die Ergebnisse der Untersuchungen an den originalen Testscheiben wurden in einer ausführlichen Publikation, die im Verlag Edition Leipzig im März 2002 bereits erschienen ist, detailliert dargestellt und aus-gewertet. Eine weitere Publikation wird in der Fachzeitschrift CV-Newsletter erscheinen. Hier sollen insbesondere die grundlegenden Fragen der Verbräunung und ihrer Behandlung beschrieben werden, die mit Hilfe von Modellgläsern experimentell beantwortet werden konnten. Vor einer Verbreitung der Ergebnisse in der verkürzten Form eines Informationsblattes, das ursprünglich vorgesehen war, hat der Fachbeirat des Projekts gewarnt, da eine unsachgemäße Anwendung durch nicht ausreichend qualifizierte Werkstätten nicht ausgeschlossen werden kann. Von dieser Form der Präsentation wurde deshalb Abstand genommen.


Fazit

In jedem Fall ist vor einer unkritischen, nicht von ausreichenden naturwissenschaftlich-technischen Vor- und Begleituntersuchungen flankierten Anwendung eindringlich zu warnen. Die in allen materialtechnischen Aspekten als befriedigend bis ausgezeichnet zu bewertenden Ergebnisse der exemplarischen Konservierungsversuche mit Hydrazin- und Ameisensäurelösungen dürfen nicht dazu verleiten, in naher Zukunft eine gängige Werkstattmethode auf der Basis dieses ersten Experiments zu erwarten. Abgesehen von den unbedingt erforderlichen besonderen Arbeitsschutzmaßnahmen beim Umgang mit dem als krebserregend eingestuften Hydrazin, können in anderen Glasoberflächen völlig konträre Materialcharakteristika vorliegen, die jeden Versuch zu einem gefährlichen Risiko machen. Dieses lässt sich aber be-herrschen, indem geringe Mengen an originalem Probematerial für Vorversuche bereitgestellt wird, die nunmehr unter Nutzung der Erkenntnisse aus dem gegenwärtigen Projekt mit weit größerer Sicherheit als noch vor zwei Jahrzehnten zur Entscheidung über die Maßnahmen herangezogen werden können.

Übersicht

Fördersumme

196.232,80 €

Förderzeitraum

24.03.2000 - 24.03.2002

Bundesland

Sachsen

Schlagwörter

Kulturgüter
Umwelttechnik