„Wir müssen zu jeder Zeit sehr wachsam sein, um potentielle Umweltgefahren möglichst frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen“

Träger des Umweltpreises 1994 der Bundesstiftung Umwelt ziehen nach eineinhalb Jahren Bilanz - Preisträger 1995 stehen Dienstag fest
Osnabrück. Mit der Vergabe des Deutschen Umweltpreises will die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (Osnabrück) Leistungen auszeichnen, die vorbildlich zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Umwelt beigetragen haben oder in Zukunft für eine deutliche Umweltentlastung sorgen werden. Die Auszeichnung soll andere "anstiften", Umweltprobleme rechtzeitig zu erkennen und schon im Vorfeld zu entschärfen. 1994 wurden das ökologische Musterdorf Wulkow in Brandenburg, die Umweltinitiativen der ostwestfälischen Wirtschaft sowie die Ozonforscher Professor Dr. Paul J. Crutzen und Dr. Frank Arnold mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. Wenige Tage, bevor die Stiftung am 19. September in Bonn die neuen Preisträger präsentieren wird, zogen ihre Vorgänger Bilanz. Was hat er ihnen, ihrer Arbeit, ihren Zielen gebracht, dieser mit einer Million Mark höchstdotierte Umweltpreis Europas?



"Motivationsschub" und Sogwirkung"Dr. Bernhard von Schubert, Sprecher der Umweltinitiativen der ostwestfälischen Wirtschaft, spricht von einer "Sogwirkung" als Folge der Preisverleihung. Bundesweit seien die Initiativen eingeladen worden, Ideen und Konzepte zu präsentieren. Bei den Mitarbeitern habe der Preis einen "Motivationsschub" ausgelöst. Das sei sehr wichtig, denn nur mit engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ließen sich innovative Ideen entwickeln, könnten Umweltbelastungen verringert werden. Die Reaktionen in der Wirtschaft insgesamt seien konstruktiv gewesen. Die fünf ostwestfälischen Initiativen, zum Zeitpunkt der Preisverleihung 157 Unternehmen, seien inzwischen um weitere 17 gewachsen. Von Schubert: "Das alleine beweist, daß die Idee, Umweltschutz in Eigeninitiative zu realisieren, immer konsensfähiger wird und damit mehr zu erreichen ist als durch staatliche Bevormundungen."

"Gerade im Umweltbereich sind Arbeitsplätze entstanden."

Ein Unternehmen jedenfalls, das den Umweltschutz nicht als festen Bestandteil seines Handelns begreife, sei auf Dauer nicht wettbewerbsfähig. Kunden und Partner verlangten einen hohen Umweltschutzstandard der Produkte. Erfülle man diese Erwartungen nicht, seien sehr schnell Wettbewerbsnachteile die Folge. Zwar seien zunächst Investitionen notwendig, um den Umweltstandard zu heben, mittel- und langfristig seien dann aber Kostenvorteile zu erzielen. Und wenn auch die Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht allein mit der Rolle des Umweltschutzes zu lösen sei, sei es doch "Fakt, daß gerade im Umweltbereich eine Vielzahl neuer, innovativer Berufszweige und dadurch auch Arbeitsplätze entstanden sind." Zahlreiche Schritte hin zu einer umweltgerechten Entwicklung seien gegangen worden, weitere noch nötig. Von Schubert: "Es ist notwendig, sich Tag für Tag den dynamischen Anforderungen des vorbeugenden Umweltschutzes zu stellen, um den Status quo Stück für Stück weiterzuentwickeln."

Mit Preisgeld regionale Umweltstiftung gegründet

Ein weiteres Signal in diese Richtung gaben die Umweltinitiativen der Wirtschaft in Ostwestfalen selbst: Das Preisgeld der Stiftung floß in eine Ende August gegründete "Umweltstiftung der ostwestfälischen Wirtschaft", die sich das Ziel gesetzt habe, regionale, umweltrelevante Projekte des Umwelt- und Naturschutzes zu fördern "und somit den Umweltschutzgedanken in der Region Ostwestfalen fest zu verankern".

"Zu jeder Zeit wachsam sein, um potentielle Umweltgefahren zu erkennen und zu bekämpfen".

Für Professor Dr. Paul J. Crutzen und Dr. Frank Arnold bedeutet die Preisverleihung einen zusätzlichen Ansporn für ihre weiteren, wissenschaftlichen Tätigkeiten. Mahnend weist Crutzen darauf hin, daß im Juni dieses Jahres die seit Anfang der Meßreihe geringsten stratosphärischen Ozonmengen überhaupt zu dieser Jahreszeit gemessen worden seien. Dieser Prozeß werde sich noch bis zur Jahrhundertwende fortsetzen, da der jeweilige Zustand der Stratosphäre den eingeleiteten Gegenmaßnahmen "hinterherhinke". "Glücklicherweise" zeigten internationale Maßnahmen zur erheblichen Reduzierung der weltweiten Ausstöße von Fluorchlorkohlenwasserstoffen "inzwischen deutlich ihre Wirkung". Crutzen: "Nach diesem Jahr kann eine, allerdings sehr langsame, Abnahme der FCKW erwartet werden." Es sehe danach aus, daß die internationalen Maßnahmen "noch gerade rechtzeitig getroffen" worden seien, "um eine Katastrophe zu verhindern". Das zeige aber auch, so Arnold, "daß wir zu jeder Zeit sehr wachsam sein müssen, um potentielle Umweltgefahren möglichst frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen".

Die Hauptverantwortung liegt bei den Industrienationen

Die globalen Ausstöße der Treibhausgase müßten jedenfalls insgesamt reduziert werden, damit Risiken katastrophaler Klimaveränderungen erheblich vermindert werden könnten, betonen Crutzen und Arnold. Dabei liege die Hauptverantwortung bei den Industrieländern. Einige seien sich der Verantwortung inzwischen bewußt. Crutzen: "Andere Länder, besonders die USA, nehmen eher eine abwartende Haltung ein." Die nächsten Jahre bis zum Klimagipfel in Japan, auf dem eine Verpflichtung der Länder festgeschrieben werden solle, seien deshalb von größter Bedeutung. Zwar begriffen zunehmend mehr Menschen die fundamentale Bedeutung einer Lösung der ökologischen Frage im ausgehenden Jahrhundert, politisch habe sich das bisher allerdings "nur in geringem Maße und noch nicht wirklich durchgesetzt". Arnold: "Allerdings sind singuläre, positive Ansätze in dieser Richtung erkennbar."

"Langsames Wachstum ist gesundes Wachstum"

Auch Marianne und Bernhard Schmidt, die den Umweltpreis für Gemeinde und Verein Ökospeicher Wulkow in Empfang nahmen, sehen diese positiven Ansätze, die nach ihrer Auffassung stetig an Kraft gewinnen. Zwar brauche ein neuer Gedanke Zeit für die Bewußtseinsbildung und schnelle, große Veränderungen seien nicht zu erwarten, doch sei eben "langsames Wachstum auch gesundes Wachstum".

"Ständig wachsender Strom von Besuchern"

Die Preisverleihung 1994 habe einen ständig wachsenden Strom von Besuchern nach sich gezogen, der die Kräfte der aktiven Vereinsmitglieder bis an die Grenze der Belastbarkeit gefordert habe. Alle hätten sich an Ort und Stelle von den Aktivitäten im Dorf ein eigenes Bild machen wollen. Damit seien selbstverständlich auch positive wirtschaftliche Auswirkungen eingetreten, auch wenn sich die Zahl der öko-logisch ausgerichteten Betriebe und die Zahl der Einwohner in Wulkow nicht verändert habe. Marianne Schmidt: "Die allgemeine Auftragslage der Betriebe läßt sich nun einmal nicht von der allgemeinen Wirtschaftslage abkoppeln."

Neue ökologische Investitionen

Die Preisverleihung habe nicht nur zu neuer Motivation etwa bei den Jugendlichen im Dorf geführt, die sich "stärker als je zuvor" engagierten. Sie habe auch neue ökologische Investitionen nach sich gezogen. So habe der Verein seinen Anteil am Preisgeld zum Ausbau des Niedrigenergie-Vereinshauses "Domespace" für den Seminarbetrieb verwendet wie für den Bau einer Pflanzenkläranlage, die nun das Abwasser des Vereinsheims reinige. Mit eigenen, zusätzlichen Mitteln habe der Verein ein Hackschnitzelheizwerk fertiggestellt und eine Biodiesel- und Energietankstelle eingeweiht, an der Nutzer von Elektrofahrzeugen mit einer Plastikcard tanken können. Was die Gemeinde angehe, habe sie ihren Preissummenanteil noch nicht verwenden können. Das Geld solle zur Mitfinanzierung der Dorferneuerung dienen, doch die Mittel aus dem Dorferneuerungsprogramm seien bis heute nicht geflossen.

Über die Eigendynamik von Umweltprojekten

Der "Wulkower Weg" habe jedenfalls Schule gemacht. Nicht nur, weil national seit diesem Jahr alljährlich bis zum Jahr 2000 in einem Gemeinschaftsprojekt von Deutschem Institut für Urbanistik (Berlin) und Bundesstiftung Umwelt in den neuen Bundesländern nach vielen bisher verborgenen Wulkows "gefahndet" werde und sie für ihre Leistungen ausgezeichnet würden. Erfreulicherweise habe der Preis auch in den Ländern der sogenannten Dritten Welt und in Osteuropa ein sehr großes Echo gefunden. Bernhard Schmidt: "Da die Umweltproblematik eine globale Aufgabe ist, freut uns die große Eigendynamik von Umweltprojekten in diesen Ländern."