PostmĂŒnster/NĂŒrnberg. Die Erfolgsgeschichte der Sumpfpflanze Rohrkolben begann vor 18 Jahren mit ihrem Anbau in Niedermooren. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) offenbarte ein Modellprojekt die Ăkovorteile der Pflanze: Da fĂŒr ihren Anbau hohe WasserstĂ€nde nötig sind, können sich die seit Jahrhunderten fĂŒr die Landwirtschaft trockengelegten Niedermoore wieder erholen. AuĂerdem reinigt sie das Wasser und speichert groĂe Mengen Kohlendioxid. Dabei wurde die Pflanze eigentlich fĂŒr das Herstellen von Baumaterial aus nachwachsenden Rohstoffen angebaut. Auch dies ist nun in einem an den Rohrkolbenanbau anknĂŒpfenden DBU-Projekt gelungen. Das BĂŒro fĂŒr Denkmalpflege und Baustoffentwicklung aus PostmĂŒnster entwickelte aus der Wasserpflanze ein zugleich dĂ€mmendes und tragendes Baumaterial, das sich besonders fĂŒr die Sanierung historischer FachwerkhĂ€user sehr gut eignet. âWenn sich aus einem Naturschutzprojekt Perspektiven fĂŒr weitere Entwicklungen etwa im ökologischen Bauen ergeben, ist das der Idealfall einer erfolgreichen Förderungâ, sagte DBU-GeneralsekretĂ€r Dr. Heinrich Bottermann.
Rohrkolben: Von der kohlendioxidspeichernden Bio-KlĂ€ranlage zum Ăko-Baustoff
Die Rohrkolben funktionierten wie eine natĂŒrliche KlĂ€ranlage, erlĂ€uterte DBU-Referent Dr. Reinhard Stock. Sie kĂ€men sehr gut mit teils aus der Landwirtschaft stammendem nĂ€hrstoffbelastetem Wasser zurecht und reinigten es. âZudem binden die Pflanzen Kohlendioxid, die vernĂ€ssten AnbauflĂ€chen verhindern die Freisetzung von Treibhausgasen und sind gleichzeitig Lebensraum fĂŒr daran angepasste Tier- und Pflanzenartenâ, so Stock. Aufbauend auf dem 1996 begonnenen DBU-Projekt von Werner Theuerkorn vom BĂŒro fĂŒr Denkmalpflege und Baustoffentwicklung sowie der Technischen UniversitĂ€t MĂŒnchen zur schonenden WiedervernĂ€ssung von Mooren im bayerischen Donaumoos liege nun das Endergebnis vor: Baustoffplatten aus Rohrkolben fĂŒr das AusfĂŒllen von FachwerkgefĂŒgen. Besonders die energiearme Produktion des Baustoffs und die Tatsache, dass das Produkt wieder in den Stoffkreislauf zurĂŒckgefĂŒhrt werden könne, sprechen fĂŒr die neuartigen Platten.
Massives, aber schlankes DĂ€mmmaterial fĂŒr energetisches Sanieren von Altbauten
âWir haben zusammen mit dem Fraunhofer Institut fĂŒr Bauphysik aus den BlĂ€ttern von Rohrkolben ein massives DĂ€mmmaterial hergestellt, das auch bei schlanker Bauweise die Vorgaben der Energieeinsparverordnung von 2009 erfĂŒllen und den Anforderungen beim energetischen Sanieren von Altbauten gerecht werden kannâ, so Projektleiter Theuerkorn. Bei der DĂ€mmung im Gefach mit zusĂ€tzlicher InnendĂ€mmung konnte trotz einer relativ geringen WandstĂ€rke von 20 Zentimetern mit einem WĂ€rmedurchgangskoeffizienten (U-Wert) von 0,35 (Watt pro Quadratmeter und Kelvin) ein DĂ€mmstandard wie bei einem durchschnittlichen Wandaufbau mit konventionellen DĂ€mmstoffen erreicht werden. Theuerkorn: âWenn man die Fachwerk-Fassade erhalten oder freilegen möchte, kann man nur nach innen dĂ€mmen und verliert so wertvollen Platz. Durch den schlanken Baustoff aus Rohrkolben hat man dieses Problem in deutlich geringerem Umfang.â
Ohne chemische ZusÀtze - vertrÀglich mit der Umwelt und historischen Materialen
AuĂerdem ĂŒberzeuge die VertrĂ€glichkeit mit den historischen Materialien Holz, Flechtwerk und Lehm. Dadurch könne möglichst viel der originalen Bausubstanz erhalten werden. Die biologisch abbaubaren Rohrkolben-Platten leiteten auch sehr gut die Feuchtigkeit ab und seien durch die enthaltenen Gerbstoffe schimmelresistent, was chemische ZusĂ€tze ĂŒberflĂŒssig mache. Mit knapp 75.000 Euro förderte die DBU das Erproben des neuen Baustoffs an einem denkmalgeschĂŒtzten Haus in NĂŒrnberg, das im Kern aus dem 15. Jahrhundert stammt und dessen Fachwerkfassade im spĂ€ten 17. Jahrhundert erbaut wurde.
Vereinbarkeit von Denkmalschutz und energetischer Sanierung
Gleichwohl stelle sich zurzeit noch das âHenne-Ei-Problemâ, so Theuerkorn: Eine erfolgreiche Vermarktung funktioniere nur, wenn die Landwirtschaft die Rohrkolben anbaue. Doch dafĂŒr brauche sie eine Kauf-Garantie von Produzenten und Handel. Gefragt sei der schlanke, ökologische und denkmalgerechte Baustoff allemal: âDie Firma Typha Technik und Naturbaustoffe konnte einen Naturbaustoff entwickeln, der eine denkmalgerechte und nachhaltige GebĂ€udesanierung ermöglicht. Damit wurde die Vereinbarkeit von Denkmalschutz und energetischer NachrĂŒstung nachgewiesenâ, betonte Dr. Paul Bellendorf, DBU-Referent fĂŒr Umwelt und KulturgĂŒter.
Ansprechpartner fĂŒr Fragen zu den Projekten (AZ 27918 und 10628): Dipl.-Ing. (TU) Werner Theuerkorn, BĂŒro fĂŒr Denkmalpflege und Baustoffentwicklung in PostmĂŒnster, Telefon: 08561/6696