Interview mit Professor Dr. Paul J. Crutzen und Dr. Frank Arnold

25381


Frage: Herr Professor Dr. Crutzen, Herr Dr. Arnold, vor etwas mehr als einem Jahr sind Sie mit dem Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ausgezeichnet worden. Professor Dr. Philippe Bourdeau würdigte Ihre Ehrung als Anerkennung für wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der Ozon- und Klimaforschung, die zu wirksamem politischem Handeln in der Welt geführt haben. Was hat Ihnen diese Auszeichnung gebracht?

Crutzen: Selbstverständlich ist diese Anerkennung ein zusätzlicher Ansporn für unseere Forschungsarbeiten und -aufgaben, beispielsweise auf dem Gebiet der Untersuchung der möglichen Auswirkungen des Flugverkehrs auf die Ozonschicht. Dies ist ein besonders schwieriges Thema in der Wissenschaft.

Arnold: Die Auszeichnung betrachte ich als Verpflichtung und Herausforderung, im Rahmen meiner grundlagenforschungsorientierten wissenschaftlichen Arbeit Umweltgesichtspunkte noch stärker als bisher zu berücksichtigen. Frage: Sie haben damals Ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß uns die schlimmsten Folgen des Eingriffs des Menschen in natürliche Kreisläufe - Professor Bourdeau sprach vom "Herumpfuschen an funktionierenden Ökosystemen unserer Erde" - "noch gerade eben erspart bleiben". Hat diese Hoffnung in den Monaten seitdem neue Nahrung bekommen oder sind Sie heute pessimistischer? Wie bewerten Sie nationale Initiativen wie beispielsweise in Deutschland das Sommersmogfahrverbot mit seinen Grenzwerten?

Crutzen: Nach Informationen des Deutschen Wetterdienstes sind im letzten Juni seit Anfang der Meßreihe über West-Europa die geringsten je gemessenen stratosphärischen Ozonmengen überhaupt zu dieser Jahreszeit aufgetreten. Es ist wahrscheinlich, daß die FCKW-Ausstöße der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag dazu geliefert haben. Glücklicherweise zeigen internationale Maßnahmen zur erheblichen Reduzierung der weltweiten FCKW-Ausstöße inzwischen deutlich ihre Wirkung, indem eine starke Abschwächung der atmosphärischen Zunahmen beobachtet wurde und nach diesem Jahr eine, allerdings sehr langsame, Abnahme der FCKW erwartet werden kann. Da die Stratosphäre "hinterherhinkt", wird dort erst zum Jahrhundertwechsel das Maximum des ozonzerstörenden Chlors erreicht sein. Dies bedeutet, daß in den nächsten fünf Jahren noch weitere stratosphärische Ozonabnahmen möglich sind, die allerdings auch von anderen Faktoren, wie z.B. meteorologischen Prozessen, Vulkanausbrüchen und Sonnenaktivität beeinflußt werden. Ich bin aber weiterhin der Ansicht, daß die internationalen Maßnahmen zur Reduzierung der FCKW-Produktion noch gerade rechtzeitig getroffen wurden, um eine Katastrophe zu verhindern. Wir haben eben Glück gehabt und sollten unseren britischen Kollegen dankbar sein, daß sie über so viele Jahre die Messungen in der Antarktis kompetent durchgeführt haben. Der Sommersmog hat mit dem stratosphärischen Ozonabbau nur wenig zu tun. Es handelt sich hier um ein gesamteuropäisches Problem. Allerdings habe ich mich mit diesem Thema bisher nur wenig befaßt.

Arnold: Heute bin ich weder optimistischer noch pessimistischer. Ich bin überzeugt, daß wir zu jeder Zeit sehr wachsam sein müssen, um potentielle Umweltgefahren möglichst frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen. Das Ozonloch ist hierfür ein bemerkenswertes Beispiel.

Frage: Sie haben 1994 selbst besonders darauf hingewiesen, daß bei der Ausdünnung des Ozons in der Stratosphäre die Folgen menschlichen Handelns - die Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen - am stärksten in den Gebieten zu spüren sind, die am weitesten von den Emissionsquellen entfernt liegen: in der Antarktis. Umweltschutz darf deshalb nur noch in seiner globalen Dimension begriffen werden. Haben Sie beispielsweise mit Blick auf den kürzlich durchgeführten Weltklimagipfel Grund zu der Annahme, daß sich diese Erkenntnis international durchgesetzt hat? Oder muß noch weitaus entschlossener vorgegangen werden?

Crutzen: Die globalen Ausstöße der Treibhausgase (CO2, N2O, CH4) müssen insgesamt reduziert werden, damit die Risiken katastrophaler Klimaänderungen erheblich vermindert werden können. Die Hauptverantwortung kommt dabei den Industrieländern zu. Einige Länder sind sich dieser Verantwortung inzwischen bewußt, allerdings muß sie politisch durchgesetzt werden. Andere Länder, besonders die USA, nehmen eher eine abwartende Haltung ein. Somit werden die nächsten Jahre bis zur Klimagipfelkonferenz in Japan, wo die Verpflichtungen der Länder festgelegt werden, von größter Bedeutung sein. Unabhängig davon hoffe ich, daß die Bundesrepublik Deutschland ihr Versprechen der Reduzierung von CO2-Ausstößen um 25 - 30 % bis zum Jahre 2005 einhalten wird.

Arnold: Die Erkenntnis, daß FCKW-Gase das Ozonloch verursachen und daß hierbei Aerosolteilchen eine wichtige Katalysatorrolle spielen, hat sich inzwischen weltweit durchgesetzt.

Frage: Eindringlich gewarnt haben Sie vor einer von Menschenhand produzierten Veränderung des Klimasystems. Rasche, unvorhersehbare Änderungen seien auch hier nicht auszuschließen, denn besonders im Umweltbereich könne man nie so sicher sein, "ob man die wichtigsten Zusammenhänge zwischen den zahlreichen, komplexen, unterschiedlich wirksamen Faktoren mit verstärkenden und entgegengesetzten Wirkungen gut versteht". Zwei sogenannte Jahrhunderthochwasser in Deutschland in wenigen Wochen, tropische Sommertemperaturen in eigentlich gemäßigten Zonen - sind das erste Vorboten?

Crutzen: Es ist immer schwierig, dies zu beurteilen. Allerdings deuten nach Beurteilung mehrerer Forschungsgruppen neueste Klimamodellsimulationen und Vergleiche mit Beobachtungen unübersehbar auf den menschlichen Einfluß auf das Klima hin.

Arnold: Das Klimasystem ist zu komplex und noch nicht gut genug bekannt, um zwei sogenannte "Jahrhunderthochwasser" in Deutschland als "Vorboten" einer globalen Klimaveränderung zu identifizieren.

Frage: Sachsens Ministerpräsident Professor Dr. Kurt Biedenkopf hat anläßlich der Preisverleihung ein neues Denken gefordert. Ein Denken, das nicht davon ausgeht, daß unsere Länder nur dann regierbar bleiben, wenn sich die Inanspruchnahme materieller Ressourcen ständig erweitert, sondern das es ermöglicht, zu einer Synthese zwischen Ökologie und Ökonomie zu gelangen, "die uns in einem dynamischen Gleichgewicht erlaubt, in Übereinstimmung mit den Grundgesetzen der Natur zu leben und damit unsere Zukunft zu sichern". Er vergleicht die Bedeutung der Lösung der ökologischen Frage im ausgehenden Jahrhundert mit der Lösung der so-zialen Frage im 19. Jahrhundert. Glauben Sie, daß dieses neue Denken bereits Platz greift?

Crutzen: Ja, zunehmend, aber es hat sich nur noch in geringem Maße politisch durchgesetzt.

Arnold: Nach meiner Auffassung hat dieses "neue Denken" sich noch nicht wirklich durchgesetzt. Allerdings sind singuläre positive Ansätze in dieser Richtung erkennbar.