Interview mit Marianne und Bernhard Schmidt, Ökospeicher Wulkow e.V.

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Frage: Frau Schmidt, Herr Schmidt, vor etwas mehr als einem Jahr sind Gemeinde und Verein Ökospeicher Wulkow mit dem Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (Osnabrück) ausgezeichnet worden. In seiner Laudatio würdigte damals Professor Dr. Michael Succow Ihre "nicht alltägliche, dörfliche Bürgerinitiative", die sich - dem Gemeinwohl dienend - um den Erhalt ländlicher Strukturen und ländlicher Kultur zukunfts- und damit umweltorientiert verdient gemacht habe. Was hat Ihnen, deren Dorf zu DDR-Zeiten ja eigentlich von der Landkarte verschwinden sollte, diese Auszeichnung gebracht?

Antwort: Mit der Auszeichnung ist ein ständig wachsender Strom von Besuchern zu verzeichnen, die sich an Ort und Stelle von den Aktivitäten im Dorf überzeugen möchten. Damit ist selbstverständlich auch eine positive wirtschaftliche Auswirkung nachzuweisen. Insbesondere profitieren die Gastgeberfamilien durch Erlöse aus Übernachtungen sowie die Gaststätte des Ortes.

Frage: Besonders gewürdigt wurde bei der Preisverleihung die enge Verknüpfung von Sozial- und Umweltverträglichkeit des "Wulkower Weges". In Ihrem Dorf lebten 142 Menschen, von denen 31 in den elf ökologisch ausgerichteten Betrieben in Wulkow Arbeit und Brot fanden. Haben sich diese Zahlen seitdem verändert? Wir hat sich ihre Situation entwickelt?

Antwort: Die Zahlen haben sich nicht geändert, da die allgemeine Auftragslage der Betriebe sich nicht von der allgemeinen Wirtschaftslage abkoppeln läßt. Die hohe Erwartungshaltung durch die Preisverleihung hat uns da eher zu einem gewissen Spagat gezwungen, der die Kräfte der aktiven Vereinsmitglieder bis an die Grenze der Belastbarkeit forderte.

Frage: Sie haben 1994 angekündigt, Ihren Anteil an dem mit einer Million Mark höchstdotierten Umweltpreis Europas für die Dorferneuerung, für den Abschluß begonnener Projekte sowie für eine Verbreitung Ihrer Erfahrungen zu verwenden. Sind neue anwendungsorientierte und funktionsfähige Projekte entstanden, mit denen Sie die ökonomische und ökologische Erneuerung von Wulkow weiter vorantreiben konnten?

Antwort: An dieser Stelle muß man die Arbeit des Vereins und die der Gemeinde trennen. Die Gemeinde möchte die anteilige Preissumme als Kofinanzierung für Mittel der Dorferneuerung einsetzen. Diese Mittel aus dem Dorferneuerungsprogramm sind bis heute nicht geflossen, so daß das Geld im wesentlichen noch auf der Bank liegt. Der Verein hat seinen Anteil wie angekündigt verwendet. Das Domespace wurde ausgestattet und damit für den Seminarbetrieb nutzbar gemacht. Eine Pflanzenkläranlage wurde gebaut und reinigt jetzt das Abwasser unseres Vereinsgebäudes. Außerhalb der Preissumme haben wir als größte Investition das Hackschnitzelheizwerk fertiggestellt. Eine Biodieseltankstelle existiert ebenso wie eine Energietankstelle, die anläßlich des vierten Energietages am 9. September 1995 eingeweiht wurde.

Frage: Sie haben bei der Preisverleihung selbst besonders auf das Engagement der Jugend in Wulkow hingewiesen, die - beispielsweise als Absolventen des Freiwilligen Ökologischen Jahres - einen bedeutenden Anteil an der praktischen Verwirklichung einzelner Projekte gehabt habe. Ist das Engagement der Jungen ungebrochen für Ihre Ideen?

Antwort: Das Engagement der Jugend ist ungebrochen bzw. stärker als je zuvor. Hier haben wir jedoch eindeutig die Grenzen unseres Arbeitsvermögens im ehrenamtlichen Bereich überschritten, was sich nicht gut auf die Betreuung auswirkt. Versuche, hier durch die Einrichtung eines festen Arbeitsplatzes dieses wichtige Problem zu lösen, schlugen fehl, so daß wir die Einsatzstellen wieder auf den Stand von 1994 zurückgesetzt haben.

Frage: Sie selbst sind Mitglied der Jury in einem Wettbewerb, in dem die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und das Deutsche Institut für Urbanistik jährlich bis zum Jahr 2000 ostdeutsche Gemeinden auszeichnen, die sich dem Umweltschutz im besonderem Maße widmen. Wenn Sie die hier gesammelten Erfahrungen, aber auch Ihre eigenen Erfahrungen seit dem Frühjahr '94 zusammenfassen: Hat das Beispiel Wulkow speziell mit Blick auf die Menschen und ihre Gemeinschaften in den neuen Bundesländern Schule gemacht?



Antwort:

Das Beispiel macht Schule, das kann man mit der ersten Auslobung zum "T.A.T.-Ort" eindeutig feststellen. Die Veröffentlichungen der Umweltstiftung für die Preisträger werden diesen Prozeß auch weiter stärken.

Frage: Sachsens Ministerpräsident Professor Dr. Kurt Biedenkopf hat in seinen Grußworten anläßlich der Preisverleihung in der Semperoper in Dresden ein neues Denken gefordert. Ein Denken, das nicht davon ausgeht, daß unsere Länder nur dann regierbar bleiben, wenn sich die Inanspruchnahme materieller Ressourcen ständig erweitert, sondern das es ermöglicht - wie bei der Überwindung der sozialen Frage im 19. Jahrhundert - zu einer Synthese zwischen Ökologie und Ökonomie zu gelangen, "die uns in einem dynamischen Gleichgewicht erlaubt, in Übereinstimmung mit den Grundgesetzen der Natur zu leben und damit unsere Zukunft zu sichern". Glauben Sie, daß dieses neue Denken in Deutschland bereits Platz greift?

Antwort: Ein neuer Gedanke braucht Zeit für die Bewußtseinsbildung. Es sind nicht die schnellen großen Veränderungen zu erwarten, aber es ist festzustellen, daß dieser Prozeß stetig an Kraft gewinnt, denn langsames Wachstum ist auch gesundes Wachstum. Erfreulicherweise gab es auch ein sehr großes Echo aus den Ländern der Dritten Welt und in Osteuropa. Da die Umweltproblematik eine globale Aufgabe ist, freut uns die große Eigendynamik von Umweltprojekten in diesen Ländern.