Projekt 24672/01

Schutz NW-deutscher Wiesenweihen durch Satellitentelemetrie

Projektträger

Institut für Vogelforschung (IfV) "Vogelwarte Helgoland"
An der Vogelwarte 21
26386 Wilhelmshaven
Telefon: 04421-9689-0

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Die Brutbestände der Wiesenweihe Circus pygargus nahmen in Mitteleuropa ab Mitte des 20. Jahrhunderts infolge großflächiger Lebensraumzerstörungen, hoher Brutausfälle und direkter menschlicher Verfolgung drastisch ab. Wiesenweihen stehen heute in mehreren europäischen Ländern auf nationalen Roten Listen als im Bestand abnehmend bzw. stark gefährdet. Die ursprünglichen Bruthabitate waren Heiden, Moore, Dünen und Heuwiesen. Seit den 1990er Jahren brüten Wiesenweihen vorwiegend auf ackerbaulich genutzten Flächen. Das Brüten auf Getreideäckern birgt aber immense Gefahren, bspw. das Ausmähen von Gelegen bzw. Jungvögeln. Durch erfolgreiche Kooperationsprojekte von Ornithologen und Landwirten, insbesondere verschiedene Nestschutzmaßnahmen, brüten Wiesenweihen in vielen Gebieten dennoch erfolgreich. Ein umfassender Schutz kann aber nur durch Maßnahmen gewährleistet werden, die auch die Zugwege und Winterquartiere mit einbeziehen. Die Wiesenweihe ist ein typischer Langstreckenzieher. NW-europäische Vögel verbringen den Winter - gut ½ Jahr - in Westafrika, wohl vornehmlich in der Sahelzone. Wie auch unsere jüngsten Studien zeigen, sind sie dort auch heute noch intensiver menschlicher Verfolgung ausgesetzt, darüber hinaus sind sie durch Lebensraumzerstörungen und großflächige Pestizideinsätze im Zuge der Heuschreckenbekämpfung gefährdet. Die Kennt-nisse der Zugwege, wie auch die Lage der Winterquartiere, stützten sich trotz intensiver Beringung bisher aber nur auf anekdotische Beobachtungen. Genau hier setzt das DBU-Projekt an: Zur Analyse der Zugwege und der Raumnutzungsmuster im Winterhalbjahr wurden NW- und NO-europäische Brutvögel mit Satellitensendern markiert. Aufbauend darauf soll ein staatenübergreifendes Schutzkonzept erstellt werden.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenIm 1. Schritt wurden die Brutbestände erfasst und, sofern notwendig, Nestschutzmaßnahmen eingeleitet. Kurz vor dem Ausfliegen der Jungvögel wurden insgesamt 30 adulte Wiesenweihen (20 NW-europäische und 10 NO-europäische Brutvögel) gefangen und mit 12 g leichten Solar-Satellitensendern markiert. Die Aufenthaltsorte der Vögel wurden anhand 1- bzw. 2-tägiger Peilungen mittels des CLS ARGOS-Systems bestimmt. Aufbauend auf den Peilungen wurden die Zugrouten, die Lage und Aufenthaltsdauer in den Rastgebieten wie auch Winterquartiere bestimmt. Zur Analyse der Habitatnutzung in den Winterquartieren wurden im Januar 2008 und 2009 Expeditionen in die afrikanischen Winterquartiere unternommen.


Ergebnisse und Diskussion

Ca. ¾ aller NW-europäischen Brutvögel zogen auf dem Herbst- und Frühjahrszug über eine westliche Route über Frankreich/Spanien in ihre Winterquartiere bzw. Brutgebiete, ca. ¼ der Vögel zog über eine zentrale Zugroute über Italien/Sardinien. Ein Schleifenzug wurde für NW-europäische Brutvögel nicht nachgewiesen. Bei NO-europäischen Brutvögeln wurde hingegen ein Schleifenzug beobachtet. Die Herbstzugrouten verliefen über Griechenland/Kreta, die Heimzugrouten über Sardinien/Italien. Wiesenweihen ziehen auf populationsspezifischen Routen, wobei sie auch mehrere Hundert Kilometer über das offene Meer ziehen. Erste mehrjährige Registrierungen der Zugrouten einzelner Individuen deuten dar-auf hin, dass die Individuen offensichtlich über Jahre an den einmal gewählten Zugrouten festhalten.
Die Herbstzugperiode erstreckte sich im Mittel über 42 Tage. Wiesenweihen rasteten während des Herbstzuges durchschnittlich zwei bis drei Mal, die mittlere Rastdauer lag bei 6 - 7 Tagen, so dass sich eine Gesamtrastdauer von im Mittel 14 Tagen ergab. Wiesenweihen verbrachten somit rund ein Drittel der Zugzeit mit Rasten.
Die westliche Brutpopulation nutzte auf ihrem Zug in die Winterquartiere im Wesentlichen sechs Rastgebiete: vor dem eigentlichen Abzug rasteten mehrere Vögel im Großraum Kassel - Braunschweig - Erfurt, während des weiteren Zuges wurden Rastgebiete in der Champagne in Nordfrankreich, in Nord- und Südspanien, im Grenzgebiet von Marokko und Algerien sowie in SW-Marokko aufgesucht. Große Bedeutung dürfte insbesondere den in Nordmarokko gelegenen Rastgebieten zukommen, im Herbst zur Rast und möglicherweise Fettdeposition vor der Wüstenüberquerung und im Frühjahr zur Rast nach der Überquerung der Sahara. Für die NO-europäische Brutpopulation konnten auf Grund geringeren Stichprobenumfangs bisher nur zwei bedeutende Rastgebiete identifiziert werden: die NW-Ukraine sowie das Grenzgebiet von Rumänien und Bulgarien.
Europäische Wiesenweihen überwinterten bevorzugt in der Sahel und Sahel-Sudan-Zone, zwischen etwa 10°N und 17°N. Das Überwinterungsgebiet erstreckte sich vom Senegal, Gambia, Guinea-Bissau und Mauritanien im Westen über Mali und Burkina Faso bis zum Niger, Nigeria und Tschad im Osten. Zugbewegungen im Winterquartier können durch die Hypothese des grünen Gürtels erklärt werden: Wiesenweihen rasten nach der Überquerung der Sahara soweit nördlich wie möglich, im ersten grünen Vegetationsgürtel südlich der Sahara. Mit Fortschreiten der Trockenzeit ziehen sie ca. 500 km weiter nach Süden, lokalen ortsgebundenen Heuschreckenvorkommen folgend. Gewöllanalysen ergaben, dass Wiesenweihen sich im Winterquartier sehr opportunistisch ernähren, ihre Nahrung aber, sofern verfügbar, größtenteils aus ortsgebundenen Heuschrecken (z. B. Acorypha clara, Ornithacris cavroisi) besteht.
Innerhalb des zwischen 10°N und 17°N gelegenen Überwinterungsgebietes fallen einige Konzentrationspunkte ins Auge bspw. im westlichen Senegal, wo u. a. ein Schlafplatz mit ca. 1.500 Weihen nachgewiesen wurde. Weitere bedeutende Überwinterungsgebiete befinden sich in Mauritanien, in der Grenzregion zum Senegal (Djoudj, Podor) bzw. im Dreiländereck Mauritanien/Senegal/Mali. Darüber hinaus dürfte dem Binnendelta des Niger in Mali eine große Bedeutung zukommen. Im Niger finden sich vor allem im Südwesten des Landes geeignete Habitate und im Anschluss daran in NW-Nigeria. Weitere Konzentrationen kommen dann wieder in NO-Nigeria an der Grenze zum Niger sowie in N-Kamerun und der daran anschließenden Region im zentral-westlichen Tschad vor.
In ihren europäischen Brutgebieten werden Wiesenweihen in erster Linie durch großräumige Lebensraumzerstörungen und die Intensivierung der Landwirtschaft gefährdet. Seit den 1990er Jahren brüten Wiesenweihen in NW-Europa vornehmlich auf Ackerflächen, dort besteht die Gefahr des Ausmähens der Gelege, brütender Weibchen und der Jungvögel. Diese Gefahr kann durch Kooperationsprojekte zwischen Ornithologen und Landwirten weitgehend gebannt werden. Neben Nestschutzmaßnahmen sind langfristig vor allem Habitatverbesserungen anzustreben, bspw. der Erhalt kleinräumiger Mosaik-strukturen von Brachflächen sowie die Anlage breiter ungenutzter Ackerrandstreifen.
Auf dem Zug und in ihren afrikanischen Winterquartieren werden Wiesenweihen ebenfalls durch großflächige Lebensraumzerstörungen gefährdet. Es gilt das für die Brutgebiete Gesagte: Einer kleinräumigen Landschaftsstruktur und extensiv genutzten, arten- und individuenreichen Brachflächen kommt überragende Bedeutung zu. Höchste Priorität hat der Schutz großer traditioneller Rastgebiete, die außerhalb des eigentlichen Brut- und Überwinterungsgebietes liegen, bspw. des Naama-Plateaus in Nordmarokko bzw. der mehrere Hundert Individuen umfassenden Überwinterungsgebiete im Senegal. Der Schutz dieser Konzentrationsgebiete ist umso wichtiger, da Wiesenweihen sehr ortstreu sind und offensichtlich über Jahre traditionelle Rast- und Winterquartiere aufsuchen.
Auf dem Zug bzw. in den Winterquartieren werden Greifvögel weiterhin durch Jagd und großflächige Pestizideinsätze im Zuge der Heuschreckenbekämpfung gefährdet. In einem ersten Schritt ist die Überwachung und strikte Einhaltung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie zu fordern (z. B. auf Malta). In den afrikanischen Ländern sind die Öffentlichkeit und die Politiker entsprechend zu informieren. Erste Informationskampagnen wurden im Rahmen der Expeditionen gestartet.
Zur Heuschreckenbekämpfung wird in Afrika weiterhin DDT eingesetzt. Hier ist zu prüfen, ob und inwieweit bspw. DDT durch Biopestizide wie Green Muscle ersetzt werden kann. Erste Einsätze in verschiedenen Sahel-Ländern verliefen erfolgreich.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Das Projekt wurde wiederholt in der lokalen und überregionalen Presse sowie im Rundfunk und Fernsehen vorgestellt, in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und Polen sowie während unserer Expeditionen auch in Afrika (Niger, Senegal, Nigeria). Die aktuellen Peilungen und Zugrouten der markierten Vögel werden auf der Internetseite der Stiftung Wiesenweihe vorgestellt (www.grauwekiekendief.nl). Ebenso sind Artikel zum Projekt auf den Seiten der deutschen (http://www.abu-naturschutz.de/index.html), dänischen (http://www.dof.dk/sider/index.php?option=com_content&task=view&id-=428&Itemid=485) und polnischen (http://bocian.org.pl/blotniak/telemetria) Projektpartner zu finden.
Im Rahmen des Projekts beteiligten wir uns an dem DBU-Projekt Umwelt baut Brücken - Jugendliche im Europäischen Dialog (Veranstaltung eines Recherchetages im April 2007).
Die Ergebnisse wurden mittels Vorträgen und Postern auf verschiedenen nationalen und internationalen Konferenzen vorgestellt: z. B. Niedersächsischer Wiesenweihen Workshop 2006; Französisches Wiesenweihentreffen 2006 sowie 2008; International Ornithological Congress, Hamburg 2006; Kongress der European Ornithological Union, Wien 2007; Pan-African Ornithological Congress, Kapstadt 2008; Jahrestagung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft, Bremen 2008; Ornithologisches Kolloquium IfV, Wilhelmshaven 2005 sowie 2008; Nederlandse Ornithologische Unie Themadag 2005 sowie 2008).

Publikationen aus dem Projekt
DBU (Hrsg) 2008. Satellitenüberwachung für weitreisende Wiesenweihen. DBU-aktuell 10-2008: 2.
Koks, B. 2008. Project Grauwe Kiekendief: Hightech zenders om beschermingsknelpunten te ontrafelen. Mens & Vogel 2008: 40-51
Krupi?ski, D. 2007: B?otniak ??kowy - elegancki w?adca pól. Ptaki Polski 2007: 16-19
Trierweiler, C., Brouwer, J., Koks, B., Smits, L., Harouna, A. & Moussa, K. 2007b. Montagus Harrier Expedition to Niger, Benin and Burkina Faso. Scheemda: Stichting Werkgroep Grauwe Kiekendief.
Trierweiler, C., Drent, R.H., Komdeur, J., Exo K.-M., Bairlein, F. & Koks, B.J. 2008. De jaarlijkse cyclus van Grauwe Kiekendieven - gedreven door woelmuizen en sprinkhanen? Limosa 81: 107-115
Trierweiler, C., Koks, B., Harouna, A., Issaka, H. & Brouwer, J. 2006a. Montagus Harrier research in the Sahel 2006-2007: aims, findings, methods used and plans for the future. SWGK, Scheemda.
Trierweiler, C., Koks, B.J., Bairlein, F., Exo, K.-M., Komdeur, J. & Dijkstra, C. 2006c. Zugstrategien und Schutz NW-europäischer Wiesenweihen (Circus pygargus). Jahresbericht Institut für Vogelforschung 7: 12.
Trierweiler, C., Koks, B.J., Drent, R.H., Exo, K.-M., Komdeur, J., Dijkstra, C. & Bairlein, F. 2007a. Satellite tracking of two Montagus Harriers (Circus pygargus): dual pathways during autumn migration. Journal of Ornithology 148: 513-516.
Trierweiler, C., Komdeur, J., Drent, R.H., Exo, K.-M., Bairlein, F. & Koks, B.J. 2007. Tracking migratory routes of Montagus harriers. In: CEES: Progress report 2006: 29-32. Groningen.
Trierweiler, C., Visser, E.G. Arisz, J. & B.J. Koks 2008: Habitatgebruik van Grauwe Kiekendieven Circus pygargus in het agrarisch landschap 2003-2006 onderzocht m.b.v. radiotelemetrie. SWGK, Scheemda


Fazit

Die Kenntnisse der Zugwege und Lage der Winterquartiere von Wiesenweihen stützten sich bislang trotz jahrzehntelanger Beringung nur auf anekdotische Beobachtungen. Mit Hilfe der vorgestellten satellitentelemetrischen Studien konnten sowohl die Lage der Zugrouten wie auch der Rastgebiete und Winterquartiere für verschiedene europäische Brutpopulationen innerhalb von nur gut zwei Jahren m.o.w. vollständig ermittelt werden. Dies wäre mit konventionellen Markierungsmethoden in den nächsten Jahrzehnten so nicht möglich gewesen. Die Satellitentelemetrie ermöglichte zugleich Aussagen zum jahreszeitlichen Auftreten der Mortalität, den Hauptgefährdungszeiträumen und -gebieten und damit indirekt auch den Hauptgefährdungsursachen. Sie liefert damit die Voraussetzung zur Errichtung eines effektiven Schutzgebietssystems. Die Peilungen wurden bereits genutzt, um geeignete Gebiete für den Biopestizideinsatz im Senegal zu identifizieren, wovon tausende überwinternder Wiesenweihen und andere Heuschreckenkonsumenten profitierten. Die ermittelten Daten belegen, dass die Satellitentelemetrie ein ganz wesentliches und unersetzliches Werkzeug im Artenschutz ist.

Übersicht

Fördersumme

60.000,00 €

Förderzeitraum

17.05.2006 - 31.12.2008

Bundesland

Niedersachsen

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz