Universität Stuttgart
Institut für Umformtechnik
Holzgartenstr. 17
70174 Stuttgart
In diesem Forschungsvorhaben soll ein neuartiges, recyceltes Aktivmaterial aus einer Stahllegierung für elektrische Maschinen (EMn) mithilfe eines innovativen, nachhaltigen Herstellungsverfahrens entwickelt werden. Die Grundidee des Projekts besteht darin, eine Recyclingroute für Blechpakete aus ausgemusterten Statoren und Rotoren von EMn sowie für den bei der Herstellung neuer Blechpakete anfallenden Blechschrott zu etablieren. Diese neue Recyclingroute zeichnet sich dadurch aus, dass die für neue EMn benötigten Statoren und Rotoren durch das Verpressen von Metallspänen hergestellt werden – anstelle des üblichen Weges über Verschrottung, Einschmelzen, Stranggießen sowie anschließendes Warm- und Kaltwalzen. Die Antragsteller verfolgen das Konzept, sämtlichen Schrott zu zerkleinern, die entstehenden Späne chemisch zu beschichten und anschließend durch ein Umformverfahren in die finale Geometrie von Stator- und/oder Rotorbauteilen zu verpressen. Das gepresste Bauteil kann dann als Aktivmaterial oder als Teil davon, z. B. in einem EM oder in Transformatoren, eingesetzt werden
Das Projekt besteht aus vier Hauptarbeitspaketen. AP 1.1 umfasst die Konstruktion und Optimierung von Werkzeugen zum Kompaktieren würfelförmiger Probenkörper, die für elektromagnetische Analysen benötigt werden. Mithilfe von FE-Simulationen in DEFORM® 3D wird eine segmentierte Matrizengeometrie entwickelt. AP 1.2 fokussiert die Simulation des elektromagnetischen Verhaltens des Verbundmaterials auf Mikroebene, um den Einfluss von Span-Geometrie und -Orientierung zu bewerten. Mithilfe von COMSOL Multiphysics® werden vereinfachte Spanmodelle analysiert, um die Auswirkungen von Größe, Dicke, Isolierung und Material auf Wirbelstromverluste und magnetische Eigenschaften zu untersuchen. AP 1.3 zielt darauf ab, mechanische und magnetische Leistungsanforderungen für das Verbundmaterial festzulegen, basierend auf Rückmeldungen von Industriepartnern. AP 1.4 beinhaltet die Beschaffung, Zerkleinerung und Vorbereitung von Elektroblechen für CCMC-Testproben. Basierend auf den Erkenntnissen aus AP 1.3 werden geeignete Materialien und Spanabmessungen ausgewählt und von einem Projektpartner zerkleinert. AP 2.1 beinhaltet die Konstruktion und Herstellung von Werkzeugen für die experimentelle Herstellung der würfelförmigen Probenkörper. Die Werkzeugkomponenten werden je nach Möglichkeiten teilweise intern oder extern gefertigt. AP 2.2 umfasst die Herstellung der würfelförmigen Probekörper mithilfe des in AP 2.1 entwickelten Werkzeugs. AP 2.3 beinhalten die Anpassung und Inbetriebnahme eines Prüfstands zur Messung der elektromagnetischen Eigenschaften der würfelförmigen Probenkörper. Der Versuchsaufbau ermöglicht die Prüfung der Proben in unterschiedlicher Orientierung, um so den Einfluss der Spanorientierung auf die magnetischen Eigenschaften zu ermitteln. AP 3.1 umfasst die Charakterisierung der in AP 2.2 hergestellten Probenkörper. Druck- und Scherversuche werden durchgeführt, um richtungsabhängige Druck- und Scherfestigkeiten zu ermitteln, die Belastungsszenarien für Statoren und Rotoren simulieren. AP 3.2 beinhaltet die Durchführung elektromagnetischer Messungen an den in AP 2.2 hergestellten Probekörpern zur Validierung der Simulationen. Wichtige Eigenschaften wie die magnetische Leitfähigkeit, Sättigungsflussdichte, Eisenverluste und elektrische Leitfähigkeit werden mithilfe der in AP 2.3 entwickelten Prüfstände ermittelt. Zuletzt erfolgt in AP 4 die Dokumentation und Verbreitung der Projektergebnisse.
Mit dem Ziel der Entwicklung des Aktivmaterials für EMn aus recyceltem Blechabfall könnten die Materialflüsse in einer zukünftigen Modellfabrik wie folgt gestaltet werden: Das für das Recycling benötigte Blechmaterial kann aus alten, verschlissenen oder defekten EMn oder aus Produktionsabfällen stammen, die beim Stanzen oder Beschneiden von Elektroblechen anfallen. Für EMn mit geringen Anforderungen - bzw. wenn auch niedrigere Wirkungsgrade toleriert werden - kann auch konventioneller Stahlschrott verwendet werden, der beispielsweise direkt in Form von Spänen in jeglichen Zerspanungsprozessen oder in Form von Blechresten/-abschnitten bei der Produktion von Fahrzeugkarosserien entsteht. Diese Abfälle werden in der Modellfabrik gesammelt, sortiert und gezielt zu kleinen Spänen zerkleinert. Die zerkleinerten Späne werden anschließend gereinigt und in einer handelsüblichen Phosphatieranlage beschichtet bzw. isoliert. Die isolierten Späne werden gravimetrisch dosiert und in einem ein- oder zweistufigen Umformverfahren in die gewünschte Bauteilgeometrie gepresst. Die gepressten Bauteile können anschließend beispielsweise als Segmente für Statoren von EMn eingesetzt und mit Kupferdraht bewickelt werden. Für solche aus recyceltem Blechabfall hergestellten EMn wird ein hohes Vertriebspotenzial insbesondere im Bereich kleiner industrieller Motoren prognostiziert. Das bedeutet, dass sie branchenübergreifend in großen Stückzahlen eingesetzt werden könnten, was durch den ressourcenschonenden Herstellungsprozess zu einer Verringerung der Umweltbelastung beitragen kann.
Die Ergebnisse werden während und nach dem Projekt auf Konferenzen sowie in Fachzeitschriften veröffentlicht, wie bereits in der folgenden Publikation geschehen:
Weiß, A., Weiß, A., Waldhof, M., et al., 2022, New design approach of an electromagnetic composite material for electrical machines based on compacted recycled sheet metal scrap, Forming Technology Forum 2022. Darüber hinaus werden die Projektergebnisse in die Lehre des Instituts eingebunden. Dies ermöglicht jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Zugang zu aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Studierenden, sich im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten mit dem Projektthema auseinanderzusetzen und grundlegende Forschungsfragen zu bearbeiten. Die enge Zusammenarbeit mit den Projektpartnern gewährleistet zudem eine direkte Weitergabe der Ergebnisse an die Industrie, was die Integration der Projektergebnisse in die industrielle Landschaft zusätzlich fördert.
Das gepresste Bauteil kann anschließend als Aktivmaterial oder als Teil davon verwendet werden, z. B. in einer elektrischen Maschine (EM) oder in Transformatoren. Der daraus resultierende neuartige Werkstoff „Compacted Chip Magnetic Composite“ (CCMC) besteht aus recycelten, isolierten Blechspänen und ähnelt damit den heute bekannten weichmagnetischen Pulververbundwerkstoffen (SMC – Soft Magnetic Composites). Zur Validierung dieser Idee wird der Einfluss verschiedener Spangeometrien, deren Isolierung sowie weiterer Prozess- und Systemparameter im Herstellungsprozess untersucht. Die Ergebnisse dieser Forschung sollen dazu beitragen, den Einsatz von recyceltem Blechschrott in der Elektromobilität und anderen Anwendungen (z. B. Transformatoren und/oder andere elektrische Maschinen zur Magnetfeldinduktion) zu verbessern und die Nachhaltigkeit von EMn zu erhöhen. Gelingt es, den Energiebedarf für das Recycling von EMn deutlich zu senken, kann dies einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung des CO₂-Fußabdrucks zukünftiger elektrischer Maschinen leisten. Die in den Kreislauf zurückgeführten Motorkomponenten helfen dabei, den Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe sowie den Energiebedarf, die CO₂-Emissionen und den Wasserverbrauch zu verringern.