Bodensee-Stiftung
Internationale Stiftung für Natur und Kultur
Fritz-Reichle-Ring 4
78315 Radolfzell
Die erste globale Studie über den weltweiten Rückgang von Insekten – basierend auf 73 Studien aus den USA und Europa – kommt zu dem Schluss, dass 40 % der Insektenarten bedroht sind. Der dramatische Rückgang der Insekten wird vor allem auf die Ausweitung der intensiven Landwirtschaft und den Klimawandel zurückgeführt.
In Deutschland beträgt der Biomasseverlust bei Insekten bis zu 76,7 %. 90 % der Untersuchungsgebiete haben eine intensive Landwirtschaft in der Umgebung und sind damit typisch für Schutzgebiete in Deutschland.
Der Rückgang der Insektenpopulationen ist ein Phänomen, das laut Fachliteratur vor allem durch vier Ursachenkomplexe ausgelöst wird:
• Veränderungen der Lebensräume
• Fragmentierung der Lebensräume
• Zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft
• Umweltbelastungen durch Stoffeinträge wie Pflanzenschutzmittel oder Düngemittel
Der Insektenschwund hat negative Folgen. Neben einer zunehmenden allgemeinen Artenarmut und einem Rückgang der Biodiversität kommt es dadurch zu einem Rückgang der Bestäubungsleistung. Zum anderen sind Insekten eine wichtige Nahrungsquelle für eine Vielzahl von Vögeln, Fledermäusen, anderen Kleinsäugern und Amphibien. Die Populationsentwicklung vieler Vogelarten hängt direkt vom Vorkommen geeigneter Nahrungsinsekten ab. Insekten leisten als Gegenspieler von Schädlingen in landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Kulturen wichtige Beiträge im System des integrierten Pflanzenschutzes. Sie übernehmen damit zentrale Ökosystemdienstleistungen und sind für das Funktionieren der Ökosysteme unverzichtbar.
Mit der „Insektenfördernden Region Nördlicher Oberrhein“ werden folgende Ziele verfolgt:
• Verbesserung der Qualität und Quantität von Insektenpopulationen durch mehr ökologisches Potenzial (Schaffung neuer Lebensräume für Insekten in der Landwirtschaft und in weiteren Landnutzungsformen), Verbesserung der Qualität bestehender Lebensräume, geringere stoffliche Belastungen (Verringerung des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln), mehr Innovation (bislang wenig verbreitete Maßnahmen testen und verbreiten).
• Die Schaffung einer regionalen Allianz für Insektenförderung und die Gewinnung möglichst vieler Landnutzungsakteure sollen die Insektenförderung dauerhaft auf eine breite gesellschaftliche Basis stellen.
• Insektenschutz marktorientiert in Wert setzen, indem Verbraucher durch neu entwickelte Vermarktungskonzepte für insektenfördernde Produkte sensibilisiert werden.
A – Erarbeitung eines Biodiversity Action Plan (BAP) auf regionaler Ebene
Der BAP auf regionaler Ebene wird auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen und Daten erstellt. Im Rahmen des regionalen BAP werden in der IFR landwirtschaftliche Schwerpunktmaßnahmen für unterschiedliche Betriebstypen entwickelt. Dazu zählen sowohl sogenannte In-Crop-Maßnahmen als auch Maßnahmen zur Strukturanreicherung.
B – Umsetzung des regionalen Biodiversity Action Plan (BAP) durch Implementierung von Maßnahmen auf der betrieblichen/lokalen Ebene
Anwendung des Biodiversity Performance Tool (BPT) auf zehn für die Region typischen Demonstrationsbetrieben. Hiernach erfolgt die Ableitung und Umsetzung der BAPs auf Betriebsebene.
Dadurch dokumentieren die Demonstrationsbetriebe Maßnahmen, tragen Informationen zum Monitoring bei und sind in das Trainingsprogramm für Landwirte in der Region involviert.
C – Biodiversity Monitoring System
Das Ziel, ein Monitoring für die Region zu implementieren, kann nur mit einem System gelingen, das die Entwicklung der Potenziale für mehr Biodiversität in den Fokus nimmt. Das im Rahmen des DBU- und LIFE-Projekts „Food & Biodiversity“ entwickelte Biodiversity Monitoring System (BMS) wird hierfür verwendet und durch spezifische Kennzahlen und Indikatoren für Insekten ergänzt. Außerdem wird ein „Level 2 Monitoring“ durchgeführt, d. h. das Monitoring von Schlüsselarten (v. a. Wildbienen), die Hinweise auf den Zustand bestimmter Ökosysteme geben.
D.1 – Training für Landwirte und landwirtschaftliche Berater in der IFR
Steigerung der Insektenkompetenz von Landwirten und landwirtschaftlichen Beratern. Dafür werden Schulungsmaterialien und Schulungsmodule ausgearbeitet, angewendet und verbreitet.
D.2 – Verbesserung der Insekten- und Biodiversitätskompetenz in der Lebensmittelbranche
Auch in der Lebensmittelbranche soll die Insekten- und Biodiversitätskompetenz verbessert werden. Nur wenn Einkäufer sowie Produkt- und Qualitätsmanager von Lebensmittelunternehmen verstehen, dass intakte Biodiversität Teil der Produktqualität ist, werden verantwortungsvoll produzierte Produkte ihren Weg in den Markt finden.
E – Citizen-Science-Tool (CST)
Auswahl und Implementierung eines CST zur Beteiligung interessierter Laien am Insektenmonitoring in der IFR.
Maßnahmen mit Wirkungen über die IFR Nördlicher Oberrhein hinaus:
F – Erarbeitung eines „Blueprint“ für ein EU-Agrar-Umweltprogramm zur Unterstützung der Implementierung von IFR
Im Projekt „Insektenfördernde Regionen“ (IFR) wurden die Ist-Situation sowie die Verbesserungspotenziale gemeinsam mit Vertretern wichtiger Akteursgruppen in einen Biodiversity Action Plan (BAP) übersetzt. Konzepte für betriebsspezifische insektenfördernde Maßnahmen entstanden aus dem BAP, den Ergebnissen des BPT (Biodiversity Performance Tool) und aus Beratungsgesprächen.
Neun landwirtschaftliche Pilotbetriebe haben sich bereit erklärt, am Projekt teilzunehmen. Aufbauend auf der Anwendung des BPT und mithilfe von Beratungsgesprächen konnte in diesen Betrieben ein sehr diverses Maßnahmenportfolio etabliert werden.
Für die Projektregion wurde ein Schulungskonzept für Landwirte und Berater entwickelt. Nach anfänglich geringer Nachfrage wurden Inhalte an Zielgruppen angepasst, zusätzliche Materialien erstellt und Schulungen auch für weitere Berufsgruppen angeboten. Bis 06/2025 wurden in der Region und darüber hinaus 527 Personen geschult.
Ein virtuelles Schulungsprogramm für Produkt- und Qualitätsmanager im Lebensmittelsektor wurde entwickelt. Die Module behandeln u. a. Biodiversität in der Lebensmittelproduktion und gesetzliche Anforderungen. Das Schulungsangebot wurde über den Verein Food for Biodiversity bzw. in Kooperation mit Einzelhändlern, Lebensmittelherstellern und Branchenverbänden verbreitet.
Die im Projekt erstellten Schulungsunterlagen wurden fortlaufend aktualisiert und verbreitet. Über 30 „Factsheets“ zu landwirtschaftlichen Maßnahmen für Insektenvielfalt wurden in mehreren Sprachen (Englisch, Französisch, Spanisch) veröffentlicht.
Um die Bevölkerung der Region in das Projekt zu integrieren, wurde iNaturalist als zielführendes Citizen-Science-Programm ausgewählt. Die Nutzung der Anwendung wurde durch Schulungen gefördert.
Über die „Insektenfördernde Region Nördlicher Oberrhein“ hinaus sollte ein Förderkonzept (Agrarumweltprogramm) für den europäischen Agrarsektor entwickelt werden, das den spezifischen Kontext und die Interessengruppen einzelner Landschaften berücksichtigt. Basierend auf Erfahrungen aus insgesamt sieben verschiedenen IFR wurde eine Konzeptskizze für ein insektenförderndes Agrarumweltprogramm (AUP) erarbeitet.
Es wurde eine Kommunikations- und Marketingstrategie für eine insektenfördernde Landwirtschaft entwickelt. Aufgrund fehlender Zertifizierungssysteme konnte jedoch kein eigener Standard eingeführt werden, und die Vermarktung „insektenfördernder Regionen“ wurde zurückgestellt.
Im Februar 2021 ging insect-responsible.org, die offizielle Projektwebsite, online. Auf beiden Sprachversionen informiert eine Pinnwand über die Ziele, Maßnahmen und aktuellen Entwicklungen des Projekts. Bis einschließlich Juni 2025 verzeichnete die Website insgesamt 53.367 Aufrufe. Darüber hinaus haben von Februar 2021 bis Ende Juni 2025 insgesamt 12.728 Nutzer:innen die Website besucht.
Seit dem Projektstart im September 2020 informierten wir über IFR auf Social-Media-Kanälen (Facebook, LinkedIn, Instagram). Im Januar 2021 ging der projekteigene Kanal bei Twitter/X (@LIFE_IFR) online. Insgesamt wurden über den Kanal 172 Postings mit fast 34.000 Impressions veröffentlicht. Über die Partnerkanäle wurden mehr als 185.000 Menschen erreicht.
Insgesamt wurden 843 Artikel (digital und print) über das Projekt veröffentlicht (Printmedien, Audio, Video, Online) – mit einer Reichweite von mehr als 30 Mio. Menschen (u. a. Die Welt, Topagrar, Saarländischer Rundfunk).
Bis Ende Juni 2025 nahmen wir an insgesamt 113 Veranstaltungen teil und erreichten so mehr als 23.000 Akteure. Einen Höhepunkt bildete die Konferenz des IFR-Projekts im Mai 2025 in Frankfurt a. M.
Das Projekt IFR Oberrhein erzielte wichtige Fortschritte, auch wenn nicht alle Ziele erreicht wurden. Trotz pandemiebedingter Verzögerungen konnten zahlreiche Maßnahmen umgesetzt werden: Neun Pilotbetriebe und regionale Partner erprobten vielfältige Ansätze – von Agroforst und Blühstreifen bis zu biodiversitätsfördernden Maßnahmen im Wald und urbanen Räumen. Das weiterentwickelte Biodiversity Monitoring System lieferte erstmals belastbare Daten und wurde erfolgreich mit dem BPT verknüpft. Ergänzende Wildbienenerhebungen bereicherten die Fachwelt.
Besonders hervorzuheben ist die Qualifizierung: Über 500 regionale sowie mehr als 1.000 europäische Teilnehmende wurden geschult, und ein virtuelles Trainingsprogramm stärkte die Rolle der Biodiversität in Lieferketten. Durch iNaturalist wurde zudem die breite Öffentlichkeit einbezogen.
Gleichzeitig zeigte das Projekt strukturelle Herausforderungen auf. Die Vielzahl bestehender Netzwerke und fehlende ökonomische Anreize erschwerten die dauerhafte Nutzung digitaler Werkzeuge und die Verstetigung der IFR. Die beteiligten Akteure verfügen meist nicht über ausreichende Ressourcen, um Netzwerkstrukturen nach Projektende fortzuführen. Insgesamt belegt das Projekt das Potenzial kooperativer Ansätze, macht aber auch deutlich, dass langfristige Finanzierung, klare Zuständigkeiten und attraktive Anreize entscheidend für nachhaltige Wirkungen sind.