Naturschutzzentrum Biologische Station
Hochsauerlandkreis e. V.
Am Rothaarsteig 3
59929 Brilon
Der Lebensstil und die Wirtschaftsweise in Industrieländern führen zu einem Verlust von Lebensräumen und Arten. Bereits im Jahr 1992 wurde daher in Rio im UN-Übereinkommen über die Biologische Vielfalt beschlossen, die Verlustrate der biologischen Vielfalt signifikant zu reduzieren. Für Deutschland wurde 2007 eine entsprechende nationale Strategie zur biologischen Vielfalt entwickelt, die im Jahr 2014 auch in einer speziell auf Nordrhein-Westfalen angepassten Biodiversitätsstrategie aufgearbeitete wurde.
In der Biodiversitätsstrategie werden für verschiedene Bereiche, darunter auch der Artenschutz, Leitbilder, Ziele und Maßnahmen vorgestellt. Auch Indikatoren für die Beobachtung und das Erreichen der formulierten Ziele werden genannt.
Unklar ist jedoch bislang, wie die praktische Umsetzung der Biodiversitätsstrategie erfolgen soll. So mangelt es zum Beispiel an Vorgaben dazu, welche Kriterien beim Erhalt der regionalen Biodiversität zu erfüllen sind und welche Maßnahmen je nach Anzahl und Zustand der verbliebenen Regionalpopulationen zu ergreifen sind. Entsprechende beispielhafte und übertragbare Vorhaben fehlen.
Das Biodiversitätsprojekt soll die Lücke hin zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie des Landes schließen und für die Modellregionen Hochsauerlandkreis und Kreis Soest einen Praxisleitfaden zum Erhalt der regionalen floristischen Artenvielfalt entwickeln, der folgende Fragestellungen abdeckt:
1. Wie kann der Zustand von regionalen Populationen bewertet werden?
2. Wann besteht akuter Handlungsbedarf für eine regional seltene oder gefährdete Art?
3. Welche Maßnahmen müssen in Abhängigkeit vom Zustand der Regionalpopulation ergriffen werden?
4. Wie kann ein langfristiges Monitoringsystem für alle seltenen und gefährdeten Regionalpopulationen eines Kreises aussehen?
Der Hochsauerlandkreis und der Kreis Soest eignen sich aufgrund der vielfältige Ausstattungen mit Lebensraumtypen und des hochwertigen Inventars an seltenen und gefährdeten Pflanzenarten hervorragend als Beispielregion. Der Höhengradient innerhalb des Projektgebietes ist mit einer Differenz von rund 780 Höhenmetern zwischen tiefst- und höchstgelegenem Punkt groß. So können sowohl Arten des Berglandes als auch des Flachlandes berücksichtigt werden. Innerhalb der Modellregion verlaufen die Grenzen der drei Großlandschaften Süderbergland, Weserbergland und Westfälische Bucht / Westfälisches Tiefland.
Für den Erhalt und die Entwicklung der Bestände seltener Pflanzenarten im Hochsauerlandkreis und im Kreis Soest sind die Zusammenführung des aktuellen Kenntnisstandes, die Formulierung von Kriterien für die Artauswahl sowie die Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen notwendig. Dazu werden folgende Arbeitsschritte in enger Zusammenarbeit und Abstimmung beider Projektpartner für die jeweiligen Kreisgebiete durchgeführt:
1) Literaturrecherche und -auswertung zum Thema botanischer Artenschutz:
Eine ausführliche Literaturrecherche ist Grundlage für die Durchführung des Projektes. Darüber hinaus werden auch Fachexpertisen lokaler Botaniker eingeholt.
2) Feststellung des Handlungsbedarfes durch Erarbeitung eines Kriteriensystems zur fundierten Bewertung des Artzustandes in einem Gebiet und bei regionaler Seltenheit der Art zum Zustand von deren regionalen Populationen:
Aufbauend auf den Ergebnissen der Recherchearbeiten wird ein Kriteriensystem entwickelt, welches die nachvollziehbare Auswahl von Pflanzenarten für das Artenschutzkonzept ermöglicht. Für die Arten mit festgestelltem Handlungsbedarf erfolgen aufbauend die Arbeitspakete 3 und 4.
3) Erarbeitung und Beginn der Durchführung eines langfristig ausgelegten Monitoringkonzeptes:
Ein langfristig ausgelegtes Monitoringkonzept soll zeigen, wie die kontinuierliche Überwachung der Vorkommen ausgewählter Arten in Zukunft zu managen ist.
4) Erarbeitung von konkreten, auf die Art abgestimmten Maßnahmen zum Erhalt, Entwicklung und langfristiger Sicherung der Zielarten:
Die Festlegung adäquater Maßnahmen(pakete) für bestimmte Regionalpopulationen erfolgt im Rahmen des Projektes. Die Maßnahmen sollen in der Projektlaufzeit geplant und umgesetzt werden. Die praktische Umsetzung wird von einer Evaluation des Maßnahmenerfolges gefolgt.
5) Projektmanagement und Öffentlichkeitsarbeit:
Eine projektbegleitende Arbeitsgruppe unterstützt das Projektteam durch Fachwissen und Anregungen bei der Umsetzung des Projektes. Durch die Corona-Pandemie können öffentliche Veranstaltungen nur einen kleinen Anteil der Öffentlichkeitsarbeit im Projekt einnehmen. Stattdessen werden einige Citizen-Science-Aktionen durchgeführt, wie beispielsweise Meldeaufrufe für seltene Arten oder Verteilaktionen von nachgezogenen Pflanzen für mehr Vielfalt an heimischen Arten in Gärten. Darüber hinaus ist die Publikation von Arbeitsergebnissen in Fachzeitschriften geplant.
Auf der Grundlage vorhandener Daten wurde eine Florenliste für das Projektgebiet die beiden Kreise Hochsauerland und Soest erstellt. Aus dieser wurden durch Recherche und spätere Überprüfungen 286 Projektarten ermittelt. Davon standen 50 in beiden Kreisen im Fokus, 111 ausschließlich im Hochsauerlandkreis und 125 nur im Kreis Soest. 75 % haben einen bundesweiten und 90 % einen landesweiten Gefährdungsgrad. Der Anteil der FFH-Anhangarten sowie der Verantwortungsarten für Deutschland bzw. NRW an der Projektartenliste ist sehr gering. Für jeweils acht Arten ist Deutschland in hohem oder in besonders hohem Maße verantwortlich.
Für die Projektarten wurden Handlungskategorien erarbeitet, aus denen eine Monitoringstrategie abgeleitet wurde. Für 44% der Projektarten im Gesamtgebiet wird ein aktives Handeln für notwendig erachtet, 18% bedürfen Sofortmaßnahmen, um die Art überhaupt in nennenswerten Populationen zu erhalten. Zwei Drittel der Arten sollen in Zukunft in einem artspezifischen Monitoringsystem regelmäßig untersucht werden, um ständige Sofortmaßnahmen zu minimieren.
In der GIS-Datenbank wurden mehrere tausend Datensätze erfasst, die die Grundlage für das Monitoring bilden.
Im Gelände wurden für eine Vielzahl von Arten habitatverbessernde Maßnahmen durchgeführt. Durch die Zusammenarbeit mit den Botanischen Gärten in Marburg und Osnabrück erfolgten von 14 Projektarten Anzuchten aus Diasporensammlungen von autochthonen Wildvorkommen. 33 % wurden für Bestandsstützungen, 49 % für Wiederansiedlungen und 9 % für Neuansiedlungen eingesetzt. Ein kleiner Teil der Anzuchten wurde zur Samengewinnung und Aussaat am Ursprungsstandort genutzt. Die Jungpflanzen von Myrrhis odorata (Süßdolde) wurden für eine Öffentlichkeitsaktion für Privatgärten verschenkt.
Ein downloadfähiges Handbuch zum Projekt wurde erarbeitet. Die Methodik kann auf andere Kreise landesweit und auch bundesweit auf andere Regionen übertragen werden. Erste Anfragen liegen vor. Das Projekt hat das Defizit eines proaktiven, landesweiten floristischen Monitorings aufgezeigt. Um dieses zu beheben, hat der Dachverband der Biologischen Stationen hierzu erste erfolgversprechende Gespräche geführt.
Veröffentlichungen in überregionalen Fachzeitschriften:
I. Naturschutz und Landschaftsplanung:
1. Botanischer Naturschutz Strategie zum Erhalt gefährdeter Pflanzenarten in den Kreisen Hochsauerland und Soest, 02/2024: S. 14-23
2. Ex-situ/In-situ-Erhaltungsmaßnahmen für gefährdete Bestände der Trollblume an ihrem nordwestlichen Verbreitungsrand, N. Kowarsch et al.; 54 (05) 2022
II. Natur in NRW: Strategie zum Erhalt gefährdeter Pflanzenarten“, 3/2024; S. 11-17
III. Natur und Landschaft: Entwicklung der Bestände und der Populationsstruktur von Trollius europaeus im nördlichen Rothaargebirge innerhalb von 20 Jahren - eine Fallstudie im Hochsauerlandkreis, N. Kowarsch & P. Poschlod, 97. Jhg. (2022), Ausg. 5: 231-241
Buch „Wälder, Wölfe und Wisente“, M. Keuthen (Hrsg.) und regionale Naturschutzzeitschriften:
„ABU info“ 2024 (Zeitschrift Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V.), „Irrgeister“ (Zeitschrift Verein für Natur und Vogelschutz im Hochsauerlandkreis e.V. gepl. 2025)
Fachexkursionen: Thematisierung bei Exkursionen der Biologischen Stationen
Fachtagung: 04.12.2024 im Kloster Bredelar, Präsentation der Ergebnisse, Gastvorträge Dr. A. Titze (Botanischer Garten Marburg), Dr. P. Borgmann (Uni Osnabrück)
Unsere botanische Artenvielfalt ist die Basis für eine Vielfalt auch bei anderen Artengruppen. Das Projekt hat die Notwendigkeit und die Möglichkeiten der Umsetzung eines proaktiven floristischen Monitorings aufgezeigt. Ein solches Monitoring kann nur auf einer guten Datengrundlage in der Zukunft fortgeführt werden. Um dieses zu gewährleisten, bedarf es einer Ausweitung auf das gesamte Bundesland NRW. Das Landesamt für Naturschutz sollte hier eine koordinierende Rolle einnehmen. Die Erarbeitung regionalisierter Artenlisten sowie die Berücksichtigung der Berichtspflichten für nationale und europaweit bedeutsame Verantwortungsarten ist eine der Aufgaben. Bei der Umsetzung sollten alle relevanten Naturschutzinstitutionen und ehrenamtlichen Botaniker einbezogen werden. Biologische Stationen können hierbei die Koordinierung „vor Ort“ leisten. Eine ausschließliche Fokussierung auf das Ehrenamt ist aufgrund der „Erosion der Artenkenner“ nicht zielführend. Der Dachverband der Biologischen Stationen wird in der oben beschriebenen Weise aktiv werden.