Projekt 35846/01

Lebensraum Stadtbaum

Projektträger

Bayerische Landesanstalt fĂĽr Weinbau und GartenbauInstitut fĂĽr StadtgrĂĽn und Landschaftsbau
An der Steige 15
97209 Veitshöchheim
Telefon: +49 931 9801 423

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens


Allgemein gelten nicht-heimische Baumarten artenärmer als heimische Baumarten, zumindest was Herbivorengemeinschaften in Wäldern betrifft. Dies gilt umso mehr, je weiter heimische und nicht-heimische Baumarten verwandtschaftlich und/oder geografisch voneinander entfernt sind. Untersu-chungen aus dem Forst lassen sich jedoch nur bedingt auf Straßenbäume übertragen, die aufgrund vielfältiger Umweltbelastungen unter härtesten Stressbedingungen existieren. Vor allem heimische Baumarten leiden dank des Klimawandels zunehmend unter den immer intensiver auftretenden Hitze- und Dürreperioden und kommen zusehends häufiger an ihr Limit. Kontinental geprägte, nicht-heimische Baumarten zeigen dagegen auf Grund ihrer Herkunft eine wesentlich höhere Resilienz gegenüber kli-matischen Stresssituationen wie Untersuchungen aus dem Projekt „Stadtgrün 2021“ ergeben haben (Böll 2022). Dennoch wird häufig von Seiten der Umweltämtern trotz fortschreitenden Klimawandels ge-fordert, auch im städtischen Bereich nur heimische Baumarten zu pflanzen, da nicht-heimische Arten der urbanen Fauna keinen Lebensraum böten. Bis auf eine eigene Fallstudie, die 2017 im Rahmen des LWG-Forschungsprojekts „Stadtgrün 2021“ in Kooperation mit der Universität Würzburg durchgeführt wurde (Böll et al. 2019), liegen dazu keine stadtökologischen Studien vor. In dieser vergleichenden Vorstudie wurde die Arthropodenvielfalt in den Kronen dreier heimischer und dreier nah-verwandter südost-europäischer Baumarten untersucht. Es wurden, bis auf eine signifikant höhere Anzahl von Zikaden auf der südost-europäischen Hopfenbuche im Vergleich zur heimischen Winterlinde, keine Un-terschiede in der Artenvielfalt, aber in der Artenzusammensetzung der Kronenfauna gefunden (Böll et al. 2019).
In der 2021/2022 durchgeführten Studie wurde in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Universität Würzburg die Arthropodenvielfalt weiterer "Stadtklimabaumarten" des Projekts „Stadtgrün 2021“, nicht nur südosteuropäischer, sondern auch asiatischer und nord-amerikanischer Herkunft, untersucht und ihr Biodiversitätspotential im Vergleich zu heimischen Stadt-bäumen bestimmt. Die Ergebnisse sollen zu einer differenzierten Betrachtung und einer Versachlichung der häufig emotional geführten Debatte über den ökologischen Wert gebietsfremder Baumarten beitra-gen und den Kommunen, insbesondere Gartenämtern und Bauhöfen, die Möglichkeit eröffnen, bei der dringend notwendigen Erweiterung des Stadtbaumsortiments mit klimaresilienten Stadtbaumarten bei der Auswahl der Baumarten die ökologische Wertigkeit mit einzubeziehen.




Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten Methoden2021/ 2022 wurden insgesamt vier heimische und acht nicht-heimische Baumarten an zwei Straßen-standorten in Würzburg über eine gesamte Vegetationsperiode auf ihre Kronenfauna untersucht (Tab.1). Zum Fang fliegender Insekten wurden pro Baumart je fünf Bäume mit zwei Fensterfallen im in-neren Kronenraum ausgestattet. Zur Erfassung von Spinnen und Insektenlarven wurden 14-tägig Klopf-proben durchgeführt. Die individuenstärksten und funktional wichtigsten Arthropodengruppen wurden bis zur Art bestimmt (Wildbienen, phytophage Käfer, Zikaden, Wanzen, Spinnen) und auf statistische Unterschiede in ihren Abundanzen, ihrer Artenvielfalt und Biodiversität zwischen den einzelnen Baumarten untersucht.


Ergebnisse und Diskussion

Insgesamt zeigten die Ergebnisse im Einklang mit der Vorstudie (Böll et al. 2019), wie wichtig eine dif-ferenzierte Betrachtung einzelner Insektengruppen und eine umfassende Untersuchung möglichst vieler Insektenordnungen bei der Beurteilung der Biodiversität von Arthropoden auf verschiedenen Baumarten ist. Es ergibt sich kein einheitliches Bild, dass heimische Baumarten grundsätzlich ein besseres Habi-tat als die untersuchten nicht-heimischen Baumarten darstellen. Während es 2021 keinen statistischen Unterschied zwischen der Anzahl gefangener Individuen auf den verschiedenen Baumarten gab, war 2022 die Gesamtzahl gefangener Tiere in den Kronen des heimischen Spitzahorns mit Ausnahme der Amerikanischen Linde signifikant höher als auf allen anderen Baumarten, inclusive der heimischen Breitblättrigen Mehlbeere. Das lag größtenteils an dem hohen Blattlausbefall. Hinsichtlich der Abundan-zen in einzelnen Taxa stachen 2021 die heimische Stadtulme und Esche sowie die asiatische Purpurer-le, 2022 der heimische Spitzahorn, der südosteuropäische Italienische Ahorn, die Amerikanische Linde und die asiatische Resista-Ulme hervor.
Betrachtet man die Artenvielfalt, so ergaben sich folgende Ergebnisse:
- verschiedene Taxa zeigten keine Präferenzen für eine der Baumarten, unabhängig davon, ob heimisch oder nicht-heimisch (Spinnen, phytophage Käfer, Wildbienen (bis auf Acer opalus, 2022, der signifikant weniger Wildbienen-Arten beherbergte))
- nur bei den saugenden Insekten waren signifikante Unterschiede zwischen einzelnen Baumarten zu finden. Wanzen bevorzugten die heimische Esche, die Stadt-Ulme und den Spitzahorn sowie die nicht-heimische Purpurerle, Amerikanische Linde und die asiatische Resista-Ulme. Sie mieden dage-gen die heimische Breitblättrige Mehlbeere, den amerikanischen Amberbaum, die amerikanische Rot-Esche, die südosteuropäische Ungarische Eiche und den Italienischen Ahorn sowie den asiatischen monotypischen Guttaperchabaum. Die meisten Zikadenarten fanden sich auf der heimischen und der nicht-heimischen Ulme, gefolgt von den beiden heimischen Arten Spitzahorn und Breitblättrige Mehl-beere und der asiatischen Purpurerle. Im Einklang mit der Einstufung einer geringen Attraktivität von heimischen Eschen und Linden für Zikaden (Nickel 2008) wurden signifikant am wenigsten Arten auf der heimischen Esche und der Amerikanischen Linde gefunden.
- die Attraktivität nicht-heimischer Baumarten für Herbivoren unterschied sich je nach Baumgat-tung deutlich, was auf geringe bzw. stärkere Unterschiede in den Blattinhaltsstoffen hindeutet. Während Erlen- und Ulmenspezialisten auf den asiatischen Hybriden zu finden waren, wurden auf der nordameri-kanischen Rot-Esche kaum Eschenspezialisten gefangen. Auch wenn einige Eichenspezialisten auf der südosteuropäischen Ungarischen Eiche gefunden wurden, war sie, anders als die heimische Stieleiche, ausgesprochen artenarm.
- außer Nistplatz und Nahrungsangebot scheinen noch andere Faktoren eine wichtige Rolle zu spielen: das legt die Tatsache nahe, dass sich 2021 60 und 2022 55 Wildbienenarten (und damit wie in der Vorstudie gut ein Zehntel aller Wildbienenarten Deutschlands) auch außerhalb der Blütezeit in den Kronen der untersuchten Baumarten aufhielten, ebenso wie verschiedene Wanzen- und Zikadenarten, die sonst auf Trocken- oder Sandrasen zu finden sind, darunter verschollene und extrem seltene Rote Listearten. Untersuchungen zur kritischen Maximaltemperatur (CTmax) verschiedener Arthropoden ha-ben gezeigt, dass bei allen Taxa die CTmax Werte deutlich unter 50°C liegen, während die Temperatu-ren auf besonnten Grünstreifen während Hitzeperioden deutlich über 60°C ansteigen und damit letale Temperaturen erreichen können. Frühere Untersuchungen im Projekt „Stadtgrün 2021“ haben ergeben, dass Temperaturen in den Baumkronen während der Tagestemperaturmaxima um bis zu 8°C unter den Temperaturen besonnter Blätter liegen können, so dass offensichtlich auch primär bodenlebende Insek-ten Baumkronen als Refugium nutzen, um dem Hitzetod zu entgehen.

Das spiegelt sich auch in der Artenzusammensetzung der Baumkronengemeinschaften wider: ordnet man die Insekten- und Spinnenarten entsprechend ihres Auftretens den heimischen, nicht-heimischen oder beiden Baumartengruppen zu, so zeigt sich, dass in beiden Jahren fast die Hälfte der untersuchten Arthropodenarten auf beiden Baumgruppen zu finden war, während entsprechend des Verhältnisses der heimischen: nicht-heimischen Baumarten von 1:2 18% bzw.17% der Arthropodenarten nur auf heimi-schen Bäumen, sowie 38% bzw. 35% ausschließlich auf den nicht-heimischen Baumarten vorkamen (Abb.1). Dies zeigt deutlich, dass nicht-heimische Baumarten durchaus artenreich sein können und dass gemischte Baumalleen insgesamt eine deutlich höhere Artenvielfalt aufweisen als reine Mono-Alleen. Das wirkt auch der ungezügelten Ausbreitung neuer Krankheiten und Schädlinge entgegen.
Viele der untersuchten Insektenarten leben jedoch nicht ausschließlich in den Baumkronen und sind zwingend auf zusätzliche Teillebensräume angewiesen. Entsprechend spielte der Grünstreifen, in dem die Bäume stehen, eine wesentliche Rolle für die hohe Biodiversität der Insekten, wie sich aus der Öko-logie vieler Insektenarten ergab. Er dient als wichtiger Teillebensraum (Nistplatz, Nahrungsangebot) für eine große Anzahl der erfassten Wildbienen, die Hälfte aller Zikaden- und Wanzenarten, die eigentlich in der Krautschicht leben oder als Stratenwechsler in die Baumkronen wandern, sowie für viele andere Insektenarten.
Bäume sind zunehmend ein wesentlicher Bestandteil von Klimaanpassungs- und Vorsorgemaßnahmen der Städte, da sie einen positiven Einfluss auf das urbane Mikroklima haben und der thermischen Be-lastung am effektivsten entgegenwirken können. Voraussetzung für diese Ökosystemleistungen ist je-doch ihre Pflanzengesundheit und Vitalität. Grünstreifen und die standortgerechte Verwendung einer möglichst breiten Palette von heimischen und nicht-heimischen Baumarten sind die beste Vorausset-zung für eine nachhaltige Pflanzung von Straßenbäumen, die auch der urbanen Artenvielfalt dient.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Empfehlungen für die Praxis, Kommunen, Umwelt- und Naturschutzbehörden: Zusammenfassen-de Beurteilung der Versuchsbaumarten als Stadtklimabäume incl. ökologischer Bewertung: auf der LWG-Homepage, Praxistransfer durch die Lebensraumberater für kommunales Grün (LWG), als Lerni-nhalte im Unterricht an der Staatl. Meister- und Technikerschule sowie im Rahmen von Netzwerktreffen des Netzwerkes "Bayerisches Netzwerk Klimabäume" (LWG), bei den Landespflegetagen (LWG), über BR Beiträge, Veranstaltungen, Parlamentarische Abende.
Für die Fachwelt: Beiträge in nationalen und internationalen Fachzeitschriften, Vorträge auf Fachta-gungen und Kongressen, TV Wissenssendungen.


Fazit

Mit der Vorstudie von 2017 (Böll et al. 2019) und den Untersuchungsergebnissen dieser Studie von 2021/ 2022 lassen sich belastbare Aussagen zum Individuenreichtum, die Artenvielfalt und Biodiversität verschiedener Arthropodentaxa von insgesamt 17 heimischen und nicht-heimischen Baumarten treffen.
• Das Biodiversitätspotential der verschiedenen untersuchten Baumarten variiert, je nachdem wel-che Arthropodengruppe man betrachtet. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die nicht-heimischen Baumarten einen vergleichbaren Artenreichtum wie die heimischen Baumarten aufweisen. Da sich das Artenspektrum bei über der Hälfte der Arten unterschied, tragen sie deutlich zur urbanen Artenvielfalt bei, zumal sie häufig eine höhere Stadtklimaresilienz und Vitalität als heimische Stadtbäume aufweisen (Böll 2022).
• Verbindende Grünstreifen (statt einzelner Baumgruben) dienen vielen Insekten der Kronenfauna als Nistplatz und/oder Nahrungsquelle und stellen einen essenziellen Teillebensraum dar.
• Straßenbäume dienen nicht nur als Nahrungs- und Nisthabitat, sondern auch als potenzielle Rückzugräume während Hitzestressperioden (Schattenspender).
• Saugende Insekten zeigen häufig die stärksten Präferenzen hinsichtlich der Baumart bzw. -gattung. Je nach Gattung können auch nicht-heimische Baumarten von oligotrophen Pflanzensaugern angenommen werden (s. Alnus x spaethii, Ulmus spec.).
• Urbane Biodiversität profitiert somit von gemischten Alleen heimischer und nicht-heimischer Baumarten; im Übrigen eine der wichtigsten Maßnahmen, um der Ausbreitung von zunehmend häufiger auftretenden neuen Pflanzenkrankheiten und Schädlingen entgegenzuwirken.

Literatur
Böll, S. (2022): Langzeitprojekt „Stadtgrün 2021“ – Regional diffferenzierte Ergebnisse und Empfehlun-gen für „Stadtklimabaumarten“. Jahrbuch der Baumpflege 2022: 78-198.
Böll, S., Mahsberg, D., Albrecht, R., Peters, M. K. (2019): Urbane Artenvielfalt fördern – Arthropoden-vielfalt auf heimischen und gebietsfremden Stadtbäumen. Naturschutz und Landschaftsplanung 51: 576-583.
Nickel, H. (2008): Tracking the elusive: leafhoppers and planthoppers (insecta: Hemiptera) in tree canopies of European deciduous forests. In: Floren & Schmidl (eds): Canopy arthropod research in Eu-rope. Bioform, NĂĽrnberg, S.175-214.

Ăśbersicht

Fördersumme

123.720,00 €

Förderzeitraum

01.03.2021 - 31.12.2023

Internet

www.lwg.bayern.de

Bundesland

Bayern

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz