Projekt 34933/01

Innovativer, an industrieller Praxis orientierter Prozess zur Auswahl von Modellen für die Simulation der Windströmung in komplexem Gelände

Projektträger

Hochschule Esslingen Institut für Angewandte Forschung (IAF)
Kanalstr. 33
73728 Esslingen
Telefon: 0049 711 397 3418

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Windenergie spielt in Deutschland eine große Rolle in der erneuerbaren Stromerzeugung und damit auch bei der Erreichung der Klimaziele. Im Jahr 2017 geht laut dem Umweltbundesamt 48,9 % der Stromerzeugung zurück auf erneuerbare Energien aus der Windenergie entsprechend einer Energieerzeugung von 106,6 Mrd. kWh. Die meisten Windturbinen stehen im Flachland oder in Küstenregionen. Aber auch in den hügeligen oder gar bergigen und vielerorts bewaldeten Gebieten wird die Windkraft zunehmend ein Thema. Die lokale Erzeugung von Strom reduziert Übertragungsverluste und den Aufwand, die Infrastruktur für die Stromerzeugung aufzubauen. Auch kann durch eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Anlagen auf alle geeigneten Standorte in Deutschland, eine Anhäufung von Windkraftanlagen vermieden und so die Akzeptanz bei den Bürgern erhalten werden. Dies gilt ebenso für den Ausbau von Stromtrassen für den Transport des Stroms von Nord nach Süd. Außerdem kann die Windenergienutzung in unterschiedlichen Regionen Deutschlands zu einem Lastausgleich durch sich regional unterscheidende Wetterlagen beitragen. Generell muss das Ziel sein, mit möglichst wenigen Windkraftanlagen und Übertragungsinfrastruktur die Stromversorgung sicherzustellen, um so den Natur- und Ressourcenverbrauch zu minimieren. Allerdings gestaltet sich die Suche nach geeigneten Standorten mit einem ausreichenden Windpotenzial und einem akzeptablen Turbulenzgrad bedingt durch die Orographie und Topographie Süddeutschlands (komplexes Gelände) sehr viel schwieriger als im Flachland. Windatlanten können hier nur einen ersten Anhaltspunkt liefern. In vielen Fällen ist jedoch ihre räumliche Auflösung viel zu gering. Meteorologische Messdaten sind sehr selten an potenziellen Windkraftstandorten verfügbar. Die Interpolation der Windsituation aus umliegenden Messstationen kann zu schlechten Korrelationen oder sogar irreführenden Informationen führen. Messungen mit meteorologischen Messmasten sind sehr teuer und in der Höhe begrenzt. Dabei ist es häufig nicht möglich, das gemessene Strömungsfeld in komplexem Gelände über der Höhe zu interpolieren, weil die atmosphärische Grenzschicht dort nicht vollständig ausgebildet ist. Ein innovativer Ansatz zur Lösung der Problematik ist die Verwendung von Simulationsmethoden zur Vorhersage des Windpotenzials. Diese Verfahren werden durch die stetig wachsenden Leistungen der Computer und die Verfügbarkeit von hochgenauen digitalen Höhen- und Landschaftsmodellen immer interessanter. Es gibt diesbezüglich ganz unterschiedliche physikalische Modellierungsansätze auf unterschiedlichen Detaillierungsgraden. Schwierigkeiten bereitet hier sehr häufig jedoch die Auswahl der geeigneten Modelle für die gegebenen Randbedingungen am zu untersuchenden Standort in Verbindung mit der dezidierten Fragestellung für die Projektierung der Windkraftanlagen. Grund ist eine fehlende Kosten-Nutzen-Analyse für die verfügbaren Modelle mit entsprechender Bewertung der Modellgenauigkeit. Ziel des Projekts ist deshalb, die Entwicklung eines für die Industrie geeigneten Prozesses mit dem allgemeingültig, schnell und objektiv Modelle zur Simulation der Windströmung an potenziellen Standorten von Windkraftanlagen ausgewählt werden können. Es soll dabei erreicht werden, ein Optimum aus Genauigkeit der Ergebnisse in Verbindung mit dem geringsten Berechnungsaufwand zu finden. Der Fokus liegt hierbei auf der Betrachtung von komplexem Gelände also auf hügeligen oder bergigen Windkraftstandorten mit heterogener Topographie durch verschiedene Landschaftsnutzung.




Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDas Entwicklungsvorhaben umfasst die folgenden Schritte:

1. Auswahl repräsentativer Standorte für die Simulation.
2. Ableitung der erforderlichen Randbedingung
3. Erstellung von Modellen auf der Basis von hochaufgelösten digitalen Höhen- und Landschaftsmodellen
4. Durchführung der Simulationen unter Verwendung von Berechnungsmethoden auf unterschiedlichen Komplexitätsstufen und Bestimmung des Ressourcenbedarfs für die Berechnung.
5. Abschätzung der Gesamt-Projektkosten in Abhängigkeit von der Anzahl der erforderlichen Modellläufe pro Modell und der Kosten für die Verwendung des Modells zur Bereitstellung aller zur Zielerreichung erforderlichen Daten
6. Vergleich des Berechnungsaufwands für ein Projekt für jedes Modell im Vergleich zu der Genauigkeit jedes Modells

Für die Bearbeitung des Projekts kommen, neben auf der Potenzialtheorie basierenden Modellen, moderne CFD Simulationsmethoden zum Einsatz. Diese ermöglichen zum einen die räumlich hochaufgelöste Berücksichtigung der Orographie und Topographie im Berechnungsgitter als auch die Modellierung der für die Strömung in der atmosphärischen Grenzschicht relevanten physikalischen Phänomene.




Ergebnisse und Diskussion

In dieser Arbeit wurde ein neuartiger Prozess für die industrielle Anwendung zur Auswahl eines Simulationsmodells entwickelt, das für ein gegebenes Windenergieprojekt an einem bestimmten Standort mit geringstem Rechenaufwand und Kosten die besten Ergebnisse liefert. Der Fokus liegt dabei auf Standorten im komplexen Gelände. Der Prozess hilft den Anwendern bei der Entscheidung, welches Modell für die Windertragsprognose am besten geeignet ist. Dabei soll die Unsicherheit der Prognose auf ein Maß reduziert werden, damit der Windertrag und damit die zu erwartende Rendite des Projekts sichergestellt werden kann. Ergebnis des Projekts ist der Entwurf eines neuen kommerziellen einsetzbaren Entscheidungstools, das im Rahmen dieses Forschungsprojekts an verschiedenen Standorten erprobt wurde. Auch wurde bereits eine Optimierungsschleife durchlaufen. In Zukunft muss jedoch das Tool weiter an verschiedensten Standorten validiert werden, um die Genauigkeit und den Vertrauensraum zu erhöhen.

Darüber hinaus wurde eine Vielzahl an Simulationsergebnissen unter der Verwendung unterschiedlicher Simulationsmethoden für zwei komplexe Geländestandorte generiert, welche eine unterschiedliche Orographie und Topographie aufweisen. Auch hier sind weitere Analysen erforderlich, um die Auswirkungen aller für den Prozess erforderlichen Eingabevariablen auf die Ergebnisse besser zu verstehen.
Durch die im Rahmen des Projekts für ANSYS CFX und ANSYS Fluent erstellten automatisierten Windprognose-Prozesse konnte die Effizienz bei der Bearbeitung von Projekten gesteigert werden, was für weitere Projekte sehr nützlich sein wird.
Durch die Untersuchung von verschiedenen Einflussfaktoren, wie z.B. der Laubdichte von Wäldern und jahreszeitlichen Unterschieden an Standorten, konnte das Verständnis der Strömung an Windkraftstandorten im komplexen Gelände gesteigert werden. Neue Ansätze zur Ableitung von Randbedingungen basierend auf Daten aus Wettermodellen in Verbindung mit Großwetterlagen bieten einiges Potenzial zur Ertragsbestimmung. Die Anwendung der Methode von Hess & Brezowsky führte jedoch noch zu keiner Verbesserung der Prognosen. Eine Alternative stellt die Klassifizierungsmethode DKM dar, mit der z. B. für auf Meereshöhe reduzierte Luftdruckdaten von Wetterstationen des Deutschen Wetterdienstes als Input verwendet werden können.

Das Projekt war sehr erfolgreich, aber auch sehr herausfordernd. Die große Anzahl von Simulationen, die von den Projektpartnern durchgeführt wurden, erforderte eine erhebliche Koordination. Diese Aufgabe wurde durch die eingeschränkte Reisemöglichkeit während der Corona-Pandemie zudem erschwert. In der länderübergreifenden Zusammenarbeit zeigte sich jedoch auch das Potenzial, resultierend aus unterschiedlichen Perspektiven, Kompetenzen und Erfahrungen der beteiligten Arbeitsgruppen. Durch zahlreiche Diskussionen und kritische Reflektion konnten immer wieder unterschiedliche Lösungsansätze entstehen und die besten davon selektiert werden. Auch erwies sich diese als vorteilhaft bei der kritischen Betrachtung von Ergebnissen und förderte somit die Sicherstellung der Qualität.




Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Pressemitteilung
Esslingen, 18. April 2019
Ein Plus für die Umwelt
Die Hochschule Esslingen erhält eine finanzielle Förderung für die angewandte Forschung im Bereich Windkraft.
Gemeinsam mit den Fachhochschulen Rapperswil und Ostschweiz, Meteotest und den Stadtwerken Tübingen möchte die Hochschule Esslingen in einem Projekt die Ressourceneffizienz von Windkraftanlagen steigern. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das Projekt mit Geldern in Höhe von 125.000 Euro.
Die Suche nach geeigneten Standorten für Windkraftanlagen in Süddeutschland gestaltet sich aufgrund der Beschaffenheit der Erdoberfläche und der Topographie häufig schwierig. Für dieses Problem möchte die Projektgruppe, die dem Windforschungsverbund WindForS angehört, eine Lösung finden. Sie erarbeitet deshalb neue Modelle, um die Windströmung an potenziellen Standorten zu simulieren.
Alle bekannten Modellierungsansätze zur Simulation der Windströmung weisen gewisse Schwächen auf. Diese sind jedoch sehr unterschiedlich, zudem fehlen oftmals Kosten-Nutzen-Analysen. Projektleiter Prof. Dr.-Ing. Hermann Knaus von der Hochschule Esslingen begrüßt daher die finanzielle Zuwendung für das Projekt: "Die von uns entwickelten Methoden helfen den Versorgungsunternehmen dabei, sich für ein Modell zu entscheiden."
Die Stadtwerke Tübingen betreiben 11 Windparks mit 32 Windenergieanlagen und sind zudem an weiteren 13 Windparks mit 30 Windenergieanlagen beteiligt. "Unsere Windräder befinden sich hauptsächlich im komplexen süd-west-deutschen Gelände. Über unser gesamtes Portfolio hinweg haben wir sowohl im positiven als auch im negativen Sinne deutliche Abweichungen zu den Ertragsprognosen bzw. Simulationsmodellen festgestellt. Diese Datengrundlage und Erkenntnisse möchten wir im Sinne eines ressourceneffizienten Windenergieausbaus in das Forschungsprojekt einbringen," so Julian Klett, Projektleiter Erneuerbare Energien.

Ressourcenschonend Energie gewinnen
Die Simulation der Windströmung sorgt nicht nur für eine ressourcenschonende Energiegewinnung durch Windkraft, sondern bewahrt die Natur auch vor weiteren, ungünstig gelegenen Windparks, die das Landschaftsbild stören. Die Auswahl von rentablen Standorten kann die Gesamtzahl der benötigten Anlagen reduzieren. Das schont nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Landschaftsverbrauch und kommt den Bürgern entgegen.
Ansprechpartnerin: Christiane Rathmann, Hochschule Esslingen, Pressesprecherin,
Veröffentlichungen
Im Rahmen des Projekts wurde die folgenden Peer Review Publikationen veröffentlicht:

• S. Barber, A. Schubiger, S. Koller, A. Rumpf, H. Knaus and H. Nordborg: Actual Total Cost reduction of commercial CFD modelling tools for Wind Resource Assessment in complex terrain, Journal of Physics: Conference Series, Volume 1618, 2020.

• S. Barber; A. Schubiger; S. Koller; D. Eggli; A. Radi; A. Rumpf; H. Knaus: A New Decision Process for Choosing the Wind Resource Assessment Workflow with the Best Compromise between Accuracy and Costs for a Given Project in Complex Terrain. Energies 2022, 15, 1110.

• S. Barber, A. Schubiger, S. Koller, D. Eggli, A. Radi, A. Rumpf, H. Knaus: The wide range of factors contributing to wind resource assessment accuracy in complex terrain. Wind Energ. Sci., 7, 1503–1525, 2022, https://doi.org/10.5194/wes-7-1503-202.
Zudem wurden die Ergebnisse im Rahmen folgender Vorträge auf wissenschaftlichen Konferenzen präsentiert:

• WESC 2021 Sarah Barber: "The Pragmatic Choice of Wind Model in Complex Terrain – Decision Tool Development"

• WESC 2021 Andreas Rumpf: "The Effect of Flow Turning on Annual Energy Production Estimations in Complex Terrain"

• WESC 2021: Sarah Barber: "Reducing the Uncertainty of Wind Resource Assessments through a new Complex Flow Scoring System"





Fazit

Die Erkenntnisse aus dem Projekt bieten vielfältige Verwertungsmöglichkeiten. Die Automatisierung der Prozesse zur Ertragsermittlung eröffnet die Möglichkeit, diese in der Praxis für Standortbewertungen einzusetzen. Eine weitere Entwicklung der physikalischen Methoden ist generell anzustreben. Detailliertere, jahreszeitenabhängige Beschreibungen der Landschaftsnutzung und dessen Einfluss auf die Oberflächenrauigkeit kann zu einer weiteren Erhöhung der Genauigkeit beitragen. In diesem Zusammenhang ist auch die Erhöhung der räumlichen Auflösung zu nennen. Nicht zuletzt wurde der Einfluss der atmosphärischen Schichtung auf den Ertrag nur unzureichend in die Methodik zur Ertragsbestimmung abgebildet.

Darüber hinaus laufen bereits Diskussionen, diese Arbeiten zu Vergleichsmetriken und Entscheidungsprozessen im Rahmen der IEA Wind fortzusetzen. Mit Hilfe von weiteren Benchmarks von anderen Windkraftanlagenstrandorten, soll der Prozess weiter geschärft und die Vertrauensbasis gestärkt werden.

Übersicht

Fördersumme

125.000,00 €

Förderzeitraum

17.06.2019 - 30.04.2022

Bundesland

Baden-Württemberg

Schlagwörter

Klimaschutz
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umwelttechnik