Projekt 33981/01

Back to the Roots – Bewertung und Vergleich der Nachhaltigkeit von Nahrungsmitteln im Lebensmitteleinzelhandel

Projektträger

Technische Universität Ilmenau Fakultät für Informatik und Automatisierung FG Softwaretechnik für sicherheitskritische Systeme
Helmholtzplatz 5 (Zusebau)
98693 Ilmenau
Telefon: +49-3677-69-4839

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Mit einer gesunden, ausgewogenen und verantwortungsvollen Ernährung können, in Abhängigkeit des Umweltindikators, Umweltentlastungspotentiale von 10–50% erreicht werden. Aus Perspektive der Konsumenten ist es jedoch gegenwärtig kaum möglich, Lebensmittel hinsichtlich ihrer vielfältigen Nachhaltigkeitsleistungen zu vergleichen, da entsprechende Informationen am point-of-sale nicht ver-fügbar sind. Aus diesem Grund haben wir im Projekt in Orientierung an den Sustainable Development Goals (SDGs) die App Ecoviant entwickelt, welche beim Einkauf produktspezifisch relevante Informati-onen anzeigt und somit einen nachhaltigeren Einkauf unterstützt.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenKern des Projekts war die Entwicklung eines Demonstrators (App, Datenbank und Serverdienste), welcher im Lebensmitteleinzelhandel von Verbrauchern eingesetzt werden kann, indem Produkte gescannt und Bewertungen über ein Smartphone abgerufen werden. Hierfür wurde je eine Kennzahl für die Kategorien Umwelt und Gesundheit mit begleitender Datenverlässlichkeit entwickelt. Für alle relevanten Daten wurde eine dynamische Datenbasis entwickelt, so dass relevante Einzelinformationen effizient abrufbar sind. In einer Nutzerstudie wurde zudem die Akzeptanz der mobilen Einkaufshilfe getestet.
Die Gesundheitsbewertung erfolgt mittels des nutriRECIPE-Index, der die Nährstoffdichte energiead-justiert eines Produkts zwischen 0 und 100% bewertet (> 100% für sehr nährstoffdichte Lebensmittel möglich). Die Umweltbewertung basiert auf der ISO-Norm 14040/44 zu O?kobilanzen sowie dem euro-pa?ischen PEF-Standard. Die Umweltbewertung bezieht hierbei die Landwirtschaft inklusive der landwirtschaftlichen Vorkette, Verarbeitungsprozesse, den Transport und Handel mit ein. Ebenso kann die Verpackung ökobilanziell bewertet werden.
Um komplexe Lebensmittel automatisiert zu bewerten, erfolgt die Datenverarbeitung weitestgehend automatisiert. Nach Einlesen der Stammdaten kommt ein speziell entwickeltes Parsingverfahren zum Einsatz, welches die Zutatenliste in die Einzelbestandteile zerlegt und diese mit entsprechenden Einträgen einer Umwelt- und Nährwertdatenbank abgleicht (Matching). Im Anschluss wird die Zutatenverteilung auf Basis der sich aus den Big7-Angaben ergebenden Constraints in einem iterativen Optimierungsverfahren berechnet – inkl. des 95%-Konfidenzintervalls. Anhand der Rezeptur und der Unsicherheit wer-den die Kennzahlen für Umwelt und Gesundheit berechnet. Um die vielschichtigen Daten übersichtlich anzuzeigen, entwickelten wir einen Prototypen fu?r die mobile App Ecoviant mit einem UX-orientierten User Interface Design. Die App ist bereits fu?r Testnutzer:innen verfu?gbar. Ein öffentliches Release ist geplant.



Ergebnisse und Diskussion

Die quantitative Auswertung eines Testdatensatzes ergab, dass von 1804 Produkten aus verschiede-nen Lebensmittelkategorien 1507 auf Basis des entwickelten Optimierungsverfahrens automatisiert be-wertet werden ko?nnen. Als problematisch stellten sich die Lebensmittelkategorien Ka?se- und verarbeitete Fleischprodukte heraus. Da sich bei der Ka?seproduktion die Makronährstoffe der Grundzutaten ändern, muss hier mittels direkter Zuordnung gearbeitet werden. Bei Fleisch unterscheidet man verschiedene Fettstufen, die in Zutatenlisten in der Regel nicht hinterlegt sind. Ein Ausbau des Algorithmus ist nötig, um in einem solchen Fall verschiedene Fettstufen in der Optimierung zu testen.
Eine qualitative Validierung unseres Ansatzes erfolgte mittels Daten von 33 Produkten von zwei Lebensmittelherstellern, die uns entsprechende Rezepturen zur Verfügung stellten. Hierbei konnten wir eine hohe Übereinstimmung (r^2 = 90% und 96%) feststellen, was die Robustheit unseres Verfahrens nahelegt.
Die einbezogenen Daten zur Umweltbewertung erlauben eine Unterscheidung der Kennzahlen zwischen bio/konventionell, regional/nicht regional, Anbau im Freiland/im Gewächshaus (unbeheizt)/ im Gewächshaus (beheizt), Verarbeitung mit erneuerbarer/nicht-erneuerbarer Energie, wie auch verschiede-ner Herkunftsländer. In der App werden diese Unterschiede mittels Szenarien eines Produkts sichtbar gemacht. Verschiedene Herkunftsländer haben wir bei frischer Ware (Obst, Gemüse) eingebunden.
Die App la?uft sowohl auf iOS- als auch auf Androidgera?ten sehr performant und ist mit der Performance nativer Anwendungen vergleichbar. Mittels Barcodescan oder über eine Produktsuche kann ein Produkt ausgewählt werden. In der Detailansicht der allgemeinen Umweltbewertung ko?nnen verschiedene Sze-narien fu?r das Produkt ausgewa?hlt und verglichen werden: bio/konventionell, regional/nicht regional, erneuerbare Energien/nicht erneuerbare Energien. In dem Bereich „Zusammensetzung” darunter kann fu?r die sieben Umweltkategorien Klimafußabdruck, Biodiversita?tsverlust, Na?hrstoffu?berschu?sse, Luftverschmutzung, Wasserfußabdruck, Pflanzenschutzmitteleinsatz und Prima?renergieverbrauch der jeweilige Anteil an der Gesamtumweltbelastung eingesehen, miteinander verglichen und nochmals hinsicht-lich der einzelnen Produktionsschritte Landwirtschaft, Verarbeitung, Verpackung, Handel und Transport bewertet werden.
Auf der Detailseite der Gesundheitsbewertung lassen sich unter der Gesamtbewertung die 19 im Nutri-RECIPE-Index einbezogenen Nährstoffe in ihren jeweiligen absoluten Gehalten (pro 100g) und ihr Anteil an der jeweiligen Tagesempfehlung einsehen. Teilnehmer der Nutzerstudie (mittels Fokusgruppen) stuften die Informationen, die unsere App bereitstellt, als sehr wertvoll und hilfreich ein. Wa?hrend die Umweltinteressierten hauptsa?chlich an den Umweltinformationen interessiert waren, haben auch die wenig umweltbewussten Teilnehmer beim Lebensmittelvergleich Interesse an der Umweltbewertung gezeigt. Hieraus wird das Potential unseres Ansatzes deutlich: durch die Bewertung der Umwelt und Gesundheit werden die verschiedenen Nutzergruppen fu?r das jeweils andere Themenfeld versta?rkt sen-sibilisiert und darüber informiert.



Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Wir haben unser Projekt über verschiedene Materialien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eine
Projektwebseite https://www.ecoviant.app gibt aktuelle Informationen und ein Video erklärt, was unser Demonstrator kann (https://youtu.be/wDvzxTj5pu0). Zur Langen Nacht der Technik der TU Ilmenau ha-ben wir unser Projekt bereits 2019 einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Als Aussteller auf der Woche der Umwelt 2020 bzw. 2021 konnten wir uns digital präsentieren. Ebenso haben wir unseren Ansatz verschiedenen Akteuren wie z.B. dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv), dem Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) sowie den Betreibern von Produktstammdatenbanken vorgestellt.



Fazit

Abschließend lässt sich feststellen, dass eine großteils automatisierte Bewertung der Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen von Lebensmitteln mo?glich ist. Um eine hohe Qualität zu erreichen, sind weitere Automatisierungsschritte sowie die Implementierung von ha?ndisch u?berpru?fbaren Kontrollpunkten no?tig. So wird es möglich, nicht erkannte Fehler beim Parsen von Zutatenlisten oder beim Mappen mit Nährstoffdatenbanken zu beheben. Die dauerhafte Finanzierung eines solchen Projekts ist jedoch noch unklar. Die Zusammenarbeit mit Unternehmen hat gezeigt, dass auch sie ein großes Interesse haben, ihre produktspezifischen Nachhaltigkeitsleistungen zu kommunizieren und auch einzelne Produkte zu optimieren.

Übersicht

Fördersumme

473.628,00 €

Förderzeitraum

01.05.2018 - 30.09.2021

Bundesland

Thüringen

Schlagwörter

Klimaschutz
Landnutzung
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umweltkommunikation