Projekt 33867/01

Entwicklung eines kombinierten Mess-/Modelliersystems zur Planung, Bewertung und Optimierung von Fischabstiegseinrichtungen an Wasserkraftwerken

Projektträger

Technische Universität Darmstadt Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik
Franziska-Braun-Str. 7
64287 Darmstadt
Telefon: +4961511621165

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Im Wasserhaushaltsgesetz ist die Erzielung des guten ökologischen Zustands für Fließgewässer gesetzlich
verankert. Einen entscheidenden Baustein stellt dabei die Durchgängigkeit für die Fischfauna dar (§34
WHG), die an Staubauwerken allgemein und an Wasserkraftanlagen im Speziellen behindert bzw. nicht
gegeben ist. Hauptziele sind eine bessere Vernetzung der Fließgewässer und eine Verringerung der Fischmortalität,
die besonders bei der Abwärtswanderung oftmals hoch ist. Es ist bislang noch weitgehend unklar,
welche Faktoren das Fischverhalten bei der Abwärtswanderung beeinflussen, wie diese Faktoren ggf.
gemessen und berechnet werden können und wie sie für die Leitung von Fischen zu Bypässen hin genutzt
werden können. Ein Stand der Technik ist bisher nicht definiert. Hier setzt das aktuelle Forschungsvorhaben
an: Es soll zum einen das Wissen über maßgebende Strömungssignaturen und das hydraulisch-reaktive
Verhalten abwanderungswilliger Fische erweitern. Zum anderen soll ein praxistaugliches Instrument
für die Messung verhaltensrelevanter Strömungssignaturen sowie ein numerisches Prognosemodell (als
Modul des Habitatmodells CASiMiR) zur Abgrenzung möglicher Reaktionszonen entwickelt werden.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDie wesentlichen Arbeitsschritte des Projektes setzen sich aus den Lebendtierversuchen, der hydraulischen
Analyse der Strömung und der Kombination beider Aspekte für das ethohydraulische Vorhersagemodell
zusammen. Des Weiteren wurde in einem Arbeitspaket für die hydraulische Analyse eine fischförmige
Messsonde (Fischsinnessonde – FSS) an der Technischen Universität Tallinn (TalTech) entwickelt,
welche verschiedene Sinnesorgane eines Fisches imitieren soll. Aufgrund der Fokussierung des Projektes
auf den Fischschutz und -abstieg, wurden für die Versuche zwei Schrägrechensetups (30° und 55° zur
Anströmung) gewählt. Die Tierversuche fanden mit verschiedenen Fischarten statt und wurden anschließend
unter anderem mittels einer Videoanalyse ausgewertet. Für die Aufnahme der vorliegenden Strömungssignaturen
und die Verifizierung der durchgeführten 2D- und 3D-hydrodynamisch-numerischen Simulationen
wurden Geschwindigkeitsmessungen mit einem Acoustic Doppler Velocimeter (ADV) sowie
umfangreiche Tests mit der FSS durchgeführt. Im Anschluss wurden die ethologischen und hydraulischen
Befunde verknüpft und in das Prognosemodell implementiert. Zusätzlich fand eine erste Erprobung der
FSS im Feld statt.



Ergebnisse und Diskussion

Zur Weiterentwicklung eines Mess- und Modelliersystems, mit dem sich mögliche Faktoren für die Fischbewegung
und Verhaltenszonen an Abstiegsbarrieren erfassen bzw. Reaktionsräume prognostizieren lassen,
wurden umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. In beiden Systemen sind Gradienten die Hauptparameter.
Bei der Fischsinnessonde (FSS) stellte sich der Druckgradient quer zum Fischkörper (Differenz
zwischen linkem und rechtem Drucksensor) bzw. die daraus definierte Asymmetrie des Strömungsangriffs
als vielversprechender Parameter heraus. Im Prognosemodell fanden der räumliche Geschwindigkeitsgradient
im Kopfbereich (Spatial velocity gradient, SVG) und dessen Winkel zur Fließrichtung Beachtung.
Es zeigte sich, dass Bereiche mit stark asymmetrischer Belastung auf den Körper eher gemieden werden.
Die genannte Asymmetrie kann dabei sowohl durch den mit der FSS gemessenen Druckgradienten als
auch durch den Winkel zwischen Fließrichtung und SVG im Modell beschrieben werden.
Aufbauend auf den Erkenntnissen wurde für das Prognosemodell ein Passage Hamper Index (PHI; Passage-
Behinderungs Index) entwickelt, der sich aus den beiden genannten Parametern (SVG und dessen
Winkel zur Fließrichtung) ermitteln lässt. Er stellt ein Maß für die Bevorzugung bzw. Meidung bestimmter
Strömungsbereiche dar (0 = Bevorzugung bis 1 = Meidung).
Die entwickelte Fischsinnessonde ermöglicht weiterhin eine neuartige Erfassung verhaltensrelevanter
Größen unter Berücksichtigung der Interaktion von Fischkörper und Strömung, die bei konventionellen
Strömungsmessungen nicht möglich ist. Die Ergebnisse zeigen, dass der Einfluss hydraulisch wirksamer
Strukturen (z.B. vertikale Stützen des Rechens) auf die Strömungssignaturen bzw. die genannten Parameter
messbar ist.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Einzelne Aspekte des Projektes wurden bereits veröffentlicht und sind hier frei zugänglich:
Bensing, K.; Tuhtan, J. A.; Toming, G.; Khan, A. H.; Lehmann, B. (2022): Fish body geometry reduces the
upstream velocity profile in subcritical flowing waters. In: Aquatic Sciences 84(32):1-14.
https://doi.org/10.1007/s00027-022-00863-6
Bensing, K.; Tuhtan, J.A.; Lehmann, B. (2022): Fischverhalten besser verstehen mithilfe von Multiparameterdaten;
45. Dresdner Wasserbaukolloquium am 14. und 15. Juni 2022; online verfügbar:
https://henry.baw.de/bitstream/handle/20.500.11970/108930/10_Fischverhalten_Multiparameterdaten_
Bensing_.pdf?sequence=1&isAllowed=y
Des Weiteren werden beim 14. International Symposium on Ecohydraulics (ISE, 10.-14. Oktober in Nanjing,
China) zwei Vorträge zu Teilaspekten des Projekts gehalten:
Bensing et al.: Application of a Fish-Shaped Probe at an Angled Rack: Introducing the Fish Sensory Sonde
(FSS) (inkl. Tagungsbeitrag);
Kopecki et al.: Towards Understanding Fish Behavior Near an Angled Rack: An Approach for Fish Tracing
Using Open-Source Software;
Weitere Vorträge sowie Beiträge in deutschen und internationalen Fachjournalen, die sich z.B. mit den
Möglichkeiten beim Einsatz der neuen Messtechnik oder auch dem Modellierungsansatz in CASiMiR beschäftigen,
sind in Planung. Durch verschiedene Social Media Posts (v.a. in LinkedIn und ResearchGate)
wurde zusätzlich versucht öffentliches Interesse für das Projekt zu wecken. Außerdem sind Informationen
zum Projekt auf den Internetseiten des Fachgebiets Wasserbau und Hydraulik (www.wasserbau.tu-darmstadt.
de) sowie des Ingenieurbüros SJE (www.sjeweb.de) zu finden.


Fazit

Das Mess- und Modelliersystem liefert in den neuen Ansätzen bezüglich der Betrachtung von Strömungsgradienten
gute Ansätze. Diese sollten zukünftig durch weitere Grundlagenuntersuchungen mit stärker
ausgeprägten hydraulischen Variationen, welche wiederum deutlichere Verhaltensunterschiede bei den
Fischen hervorrufen, weiterverfolgt werden. Dies hat zum Ziel genaue Toleranzwerte extrahieren und für
die Planung und Optimierung von Anlagen nutzen zu können.
Die FSS zeigte außerdem in ihrem Einsatz als „bewegte“ Sonde großes Potential, um kleinste Strömungsschwankungen
räumlich hochaufgelöst erfassen zu können. Hier bedarf es zukünftig noch weiterer Optimierungen
sowie Tests im Freiland.
Das vorgestellte Projekt geht im Bereich der Ethohydraulik innovative Wege. Der Wissensstand bezüglich
des Verhaltens sowie der Wahrnehmung von Fischen bei der Abwärtswanderung wurde erweitert. Die
Korrelation der Fischbewegungsmuster mit den gefundenen Strömungsfaktoren sind in weiteren Untersuchungen
zu bestätigen und lassen eine zukünftige Bewertung und Optimierung von Fischabstiegsanlagen
mit dem Mess- und Modelliersystem realistisch erscheinen.

Übersicht

Fördersumme

376.429,00 €

Förderzeitraum

01.02.2019 - 30.04.2022

Internet

http://www.wasserbau.tu-darmstadt.de

Bundesland

Hessen

Schlagwörter

Klimaschutz
Landnutzung
Naturschutz
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umwelttechnik