Projekt 25874/01

Entwicklung von Anpassungsstrategien seitens des Naturschutzes zum Erhalt hochgradig durch den Klimawandel gefährdeter Lebensgemeinschaften

Projektträger

Landschaftsstation im Kreis Höxter e. V.
Zur Specke 4
34434 Borgentreich
Telefon: 05643-948804

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Der Klimawandel ist in weiten Teilen der Fachwelt sowie der Öffentlichkeit als akute Bedrohung für die Lebensgrundlagen des Menschen akzeptiert. Die zu erwartenden Veränderungen betreffen auch in besonderem Maße die belebte Umwelt. Neben spektakulären Neueinwanderungen bzw. Arealerweiterungen mehren sich die Anzeichen, dass Arten ganz verschwinden werden (für Deutschland werden die Verluste auf 5-30 % aller Arten beziffert). Konsens in der Fachwelt ist, dass der Wissensstand über die Auswirkungen des Klimawandels auf gefährdete Arten bzw. Populationen verbessert und Anpassungsstrategien zu deren Schutz entwickelt werden müssen. Eine entscheidende Rolle kommt hierbei langfristigen Monitoring-Daten zu, um klimatische Effekte von anderen Einflussfaktoren trennen zu können. Entsprechende Studien fehlen in Deutschland bislang weitgehend. Eine hohe Gefährdungsdisposition gegenüber klimatischen Veränderungen kommt besonders boreo-montanen und kontinentalen Arten zu, die schon jetzt vielfach eine reliktäre oder stark verinselte Verbreitung aufgrund der Seltenheit ihrer Lebensstätten aufweisen. Zusammen mit einem meist geringen Ausbreitungsvermögen ist bei vielen Wirbellosen auszuschließen, dass sie allein in der Lage sein werden, sich an die geänderten Bedingungen anzupassen.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenDas Projekt verfolgt drei Ziele, um die Auswirkungen des Klimawandels auf konkrete Populationen hoch bedrohter Tagfalterarten darzustellen und mögliche Lösungsvorschläge für ihren Erhalt aufzuzeigen.
Für zwei größere Naturräume, Sauerland und Weserbergland, werden langjährige Tagfalter-Monitoring-Daten mit der tatsächlichen Klimaentwicklung durch statistische Analysen in Beziehung gesetzt (1.). Dies ermöglicht, das Ausmaß des Faunenwandels auf regionalem Niveau zu quantifizieren. Die Ergebnisse dienen zudem zur Validierung der Arten-Modelle (2.). Parallel werden die Zielarten des Projekts im Sinne des Modellierungs- und Management-Ansatzes (3.) herausgearbeitet.
Anhand regionalisierter Klimamodelle (PIK) wird in unterschiedlichen Szenarien die Auswirkung auf die lokalen Populationen der Zielarten modelliert; unter Berücksichtigung der Management-Maßnahmen werden die Klimanischen und Aussterbewahrscheinlichkeiten der einzelnen Vorkommen berechnet (UFZ).
Hiermit steht ein Werkzeug zur Verfügung, das die Gefährdung einzelner Vorkommen genau ermitteln kann und welches zur wichtigen Prioritätensetzung von Schutzmaßnahmen geeignet ist.
Im Umsetzungsschritt werden die Erkenntnisse der beiden anderen Teilprojekte zusammengeführt: Konkrete Managementmaßnahmen werden entwickelt und möglichst frühzeitig umgesetzt, um so, wenn möglich, ein Überleben der Zielarten auch unter sich ändernden klimatischen Gegebenheiten sicherzustellen. Eine Validierung der Auswirkungen erfolgt im Rahmen eines Monitorings, das auch über die Projektlaufzeit bis 2013 hinaus durchgeführt werden soll.


Ergebnisse und Diskussion

Im Rahmen des Projekts Entwicklung von Anpassungsstrategien seitens des Naturschutzes zum Erhalt hochgradig durch den Klimawandel gefährdeter Lebensgemeinschaften wurden wahrscheinliche Auswirkungen des Klimawandels auf konkrete Populationen hoch bedrohter Tagfalterarten (u. a. Boloria aqui-lonaris und Phengaris (Maculinea) rebeli) ermittelt. Es wurden sinnvolle Anpassungsstrategien für den Erhalt der lokalen Populationen in den Bezugsräumen (Sauerland, westliches Weserbergland) aufgezeigt sowie entsprechende Maßnahmen in den Habitaten der Arten durchgeführt.
Um die aktuelle und zukünftige Gefährdungsdisposition der Zielarten (neben B. aquilonaris und Ph. rebeli noch Polyommatus coridon und Brenthis ino) abschätzen zu können, wurden zunächst langjährige Tagfalter-Monitoring-Daten (Transektbegehungen) ausgewertet. Parallel durchgeführte Recherchen zur Nutzungsgeschichte der Gebiete, aus denen Langzeit-Daten verfügbar waren, zeigten allerdings, dass eine Nutzungskontinuität über den betrachteten Zeitraum häufig nicht gegeben war. Für die Analyse klimainduzierter Bestandstrends waren die entsprechenden Monitoringdaten somit nur eingeschränkt geeignet.
Um dennoch auf eine möglichst breite Datenbasis zurückgreifen zu können, wurde für das Weserbergland eine zunächst nicht vorgesehene Vorgehensweise gewählt. Anhand kreisweit verfügbarer Daten zu den Artvorkommen konnten zeitlich differenzierte Verbreitungskarten erstellt werden, die die Grundlage für eine Rasterfrequenzanalyse darstellten. So konnten die Veränderungen der Rasterfrequenzen fast aller vorkommenden Tagfalterarten incl. der Widderchen über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten ermittelt werden.
Die statistische Überprüfung der Ergebnisse (Transekt- und Rasterdaten) zeigte für eine Reihe von Arten signifikante Bestandsänderungen auf. Allerdings waren nicht bei allen Arten mit signifikanten Trends auch signifikante Korrelationen mit Klimavariablen feststellbar. In diesen Fällen ist der negative Trend vermutlich nicht auf klimatische Einflüsse, sondern eher auf andere Ursachen zurückzuführen. Hierbei dürften insbesondere strukturelle Habitatveränderungen infolge von Nutzungsänderungen und Sukzession eine entscheidende Rolle spielen.
Umgekehrt konnten bei einigen Arten signifikante Korrelationen mit Klimavariablen gefunden werden, obwohl keine signifikanten Zu- oder Abnahmen vorhanden waren. In diesen Fällen werden die Abundanzen zwar von Klimavariablen beeinflusst, jedoch manifestiert sich der Einfluss bis jetzt offenbar nicht in einem Trend.
Um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Zielarten in den konkret betrachteten Räumen abschätzen zu können, wurden regionalisierte Klimamodelle erstellt. Während die wahrscheinlichen Temperaturveränderungen gut fassbar sind, existieren hinsichtlich der Prognose der Niederschlagsverteilung zwei Szenarien, ein trockenes und ein feuchtes. Aktuell zeichnet sich ab, dass zumindest für das Weserbergland das trockene Szenario das Wahrscheinlichere ist. Der vorhergesagte Trend zu ausgeprägten Frühjahrstrockenheiten lässt sich bereits heute nachweisen und beeinflusst das Vorkommen für die Tagfalter relevanter Pflanzenarten. Am Beispiel des Kreuz-Enzian (Gentiana crutiata) konnte gezeigt werden, dass er auf Trockenheit empfindlich reagiert. Regelmäßig ist festzustellen, dass die für die Eiablage und Embryonalentwicklung von Ph. rebeli wichtigen Blüten- bzw. Fruchtstände in trockenen Frühjahren/-sommern auf flachgründigen, süd-/westexponierten Standorten verdorren.
Ergänzend wurden in den Gebieten, in denen Managementmaßnahmen zur Umsetzung der entwickelten Anpassungsstrategien durchgeführt wurden, in den Jahren 2010 und 2011 Temperaturmessungen zur Charakterisierung des Mikroklimas durchgeführt. So wurde ermittelt, inwieweit die Maßnahmen geeignet sind, den prognostizierten Temperaturanstieg zu kompensieren.
Bei den Modellierungen der heutigen und zukünftigen Klimanischen für die Zielarten wurden die Mikro-klimamessungen berücksichtigt. Als wichtigste Ergebnisse sind festzuhalten:
In einem Großteil der heute im Weserbergland von Phengaris rebeli und Polyommatus coridon besiedelten Lebensräume werden die zukünftigen Temperaturverhältnisse bei jedem der aktuell diskutierten Klima-Szenarien außerhalb der europäischen Temperaturnischen der beiden Arten liegen. An den anderen Standorten werden die genannten Arten zumindest unter einigen Szenarienbedingungen zukünftig Temperaturverhältnisse vorfinden, die ein weiteres Vorkommen wahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Situation des einzig verbliebenen Vorkommens von Boloria aquilonaris im Untersuchungsgebiet stellt sich bereits heute wenig günstig dar. Mit Ausnahme eines vergleichsweise kühlen Standortes weisen alle anderen untersuchten Standorte schon derzeit ein Mikroklima auf, das den eher warmen Lagen der europäischen Klimanische der Art entspricht. Unter den Szenarienbedingungen für das Jahr 2080 sieht es so aus, dass Boloria aquilonaris allenfalls unter den moderaten Szenarienannahmen SEDG innerhalb der bisherigen Temperaturnische noch Vorkommen haben kann.
Die durchgeführten Modellierungen haben gezeigt, dass insbesondere die Art und Höhe der Vegetation sowie die Exposition einen signifikanten Einfluss auf die Temperatur der betrachteten Standorte haben. Geeignete Managementmaßnahmen liegen also insbesondere in der Bereitstellung geeigneter Habitate in West- oder Nordexposition und solchen mit einer größeren Vegetationshöhe. Durch derartige Maßnahmen können einige 100 km Nord-Süd-Gradienten der Temperatur zumindest teilweise ausgeglichen werden. Ebenso kann durch kleinräumige Veränderungen des Reliefs - und damit der Exposition und Inklination - eine hohe mikroklimatische Variabilität geschaffen werden. Dies kann ein Überleben von Arten wie P. rebeli oder P. coridon unter ungünstigen makroklimatischen Gegebenheiten des Klimawandels weiterhin ermöglichen oder zumindest zeitlich abpuffern.
Die durchgeführten Modellierungen zeigen aber auch, dass der Hochmoor-Perlmutterfalter B. aquilonaris im Märkischen Sauerland auch bei Durchführung der eingeleiteten Managementmaßnahmen im Zuge der klimatischen Veränderungen mit größter Wahrscheinlichkeit aussterben wird.
Die Frage, inwieweit die Managementmaßnahmen geeignet sind, die zunehmenden Trockenphasen im Frühjahr/Frühsommer abzumildern, kann nicht beantwortet werden. Es spricht aber einiges dafür, dass sich die Bereitstellung von Ausweichlebensräumen an Ost- und Nordhängen, aber auch auf tiefgründigeren Standorten positiv auf den Wasserverfügbarkeit für die Raupenfutterpflanzen während ausgeprägter Trockenphasen auswirken wird.

Die Ergebnisse des Projektes zeigen deutlich, dass auch und gerade unter den Verhältnissen des Klimawandels der Habitatbeschaffenheit eine besondere Rolle für das Überleben der Arten zukommt. Solange sich die kleinklimatischen Verhältnisse der jeweiligen Standorte innerhalb der Klimanische der betrachteten Art befinden, ist die Verfügbarkeit an geeigneten Habitaten bestimmend für das Vorkommen der Art. Ändert sich das Klima, sodass die kleinklimatischen Verhältnisse nicht mehr der Klimanische der Art entsprechen, ist trotz geeigneter Lebensräume ein Überleben unwahrscheinlich. Geeignete Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen können die Auswirkungen des Klimawandels jedoch kompensieren oder zumindest abmildern. Der Entwicklung von geeigneten Lebensräumen durch Habitatmanagement-Maßnahmen kommt somit im Naturschutz eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es darum geht, den Auswirkungen der Klimaveränderungen vor Ort zu begegnen.
Das vorrangige Projektziel, die Entwicklung von lokal/regional umsetzbaren Anpassungsstrategien, wur-de in Hinblick auf die Zielarten (Ausnahme: B. aquilonaris) erreicht.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

In das Projekt wurde neben den ehrenamtlich agierenden Naturschutzvereinen auch der amtliche Naturschutz mit eingebunden. Erst die intensive Mitarbeit von zahlreichen ehrenamtlich Tätigen machte z. B. den Aufbau der umfangreichen Datenbank im Kreis Höxter möglich. Neben dem Naturschutz wurden aber auch Studenten der Landschaftsarchitektur an der Hochschule OWL und vom Fachgebiet Naturschutz am Fachbereich Biologie der Philipps-Universität Marburg zur Mitarbeit an dem Projekt motiviert. Mehrere Diplom bzw. Bachelorarbeiten sowie Projektarbeiten dokumentieren die fruchtbare Zusammenarbeit.
Ein reger Austausch fand mit dem Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz des Landes NRW (LANUV) sowie dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes NRW (MKUL) statt, welche zeitgleich eine Studie zu den Auswirkungen von Klimaverände-rungen auf die Biologische Vielfalt in Auftrag gegeben hatten.
Auf das Projekt selbst wird seit Mitte 2008 auf der Homepage der Landschaftsstation im Kreis Höxter aufmerksam gemacht (www.landschaftsstation.de). Eine eigene Homepage zu dem Projekt wurde im März 2009 freigeschaltet (www.klimawandel-projekte.de). Neben einer Einführung in die Problematik werden dort wesentliche Teile der Ergebnisse für die breite Öffentlichkeit verfügbar gemacht und aktualisiert. Weiterhin wurden mehrere Publikationen zu den Zielen und den Ergebnissen des Projektes erstellt bzw. werden aktuell vorbereitet (z. B. HILL et al. 2008, BRUNZEL et al. 2011).
Dem Fachpublikum wurden erste Ergebnisse aus dem Märkischen Kreis im Rahmen des 11. UFZ-Workshop zur Populationsbiologie von Tagfaltern und Widderchen von 26.-28.2.2009 zur fachlichen Diskussion vorgestellt. Weitere Vorträge, in denen das Projekt, seine Ziele und Zwischenergebnisse dargestellt und diskutiert wurden, fanden u. a. im Naturschutzseminar des Fachbereichs Biologie der Philipps-Universität Marburg und mehrfach im Tierökologischen Seminar des Fachbereichs Landschaftsarchitek-tur der Hochschule Ostwestfalen-Lippe statt.
Ende Februar 2010 fand der 12. UFZ-Workshop zur Populationsbiologie von Tagfaltern und Widderchen statt, der von den Projektteilnehmern mit ausgerichtet wurde. Ein Nachmittag wurde dem Themenkreis Klimawandel und tagfliegende Schmetterlinge gewidmet und vom UFZ und der Landschaftsstation im Kreis Höxter gemeinsam vorbereitet und gestaltet. Der Workshop bot die Möglichkeit, das Projekt und die bisherigen Ergebnisse intensiv mit einem breiten Fachpublikum (mehr als 100 Teilnehmer) zu diskutieren. Das DBU-Projekt war mit drei eigenen Vorträgen vertreten.

Publikationen:
BRUNZEL, S., A. APARICIO, M. LOHR & B. BEINLICH (2011): Veränderungen von Tagfaltergemeinschaften - Einfluss klimatischer Faktoren auf Artenhäufigkeiten im westlichen Weserbergland und im Märkischen Sauerland. - Naturschutz und Landschaftsplanung 48(8): 244-252
HILL, B.T., S. BRUNZEL, B. BEINLICH & F. GRAWE (2008): Auswirkungen des Klimawandels auf Tagfalter-zönosen des Weserberglandes und Märkischen Kreis (Sauerland). - Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser, Bd. 20:86-92

Eine weitere Veröffentlichung der Endergebnisse des Gesamtprojektes ist für das Jahr 2013 vorgesehen. Die Aktualisierung der Projekt-Homepage wird zurzeit vorgenommen, so dass dort die Endergebnisse noch im Jahr 2012 verfügbar sind.


Fazit

Die gewählte Vorgehensweise hat sich trotz Schwierigkeiten bei der statistischen Absicherung der vorliegenden Langzeit-Monitoring-Daten und der fehlenden Prognosen bezüglich der lokalen Veränderungen bei den Niederschlägen (insbesondere deren Verteilung über das Jahr) bewährt, sodass Änderungen bei den Zielsetzungen nicht notwendig wurden. Die zunächst nicht vorgesehene Auswertung aller verfügbaren Daten in Form von Änderungen der Rasterfrequenzen hat zwar zu einem erheblichen Mehraufwand geführt (der aber weitgehend ehrenamtlich bzw. im Rahmen von studentischen Arbeiten abgeleistet wurde), war aber für die Analyse der Bestandsveränderungen im Kreis Höxter unentbehrlich. Diese Änderung hat sich insgesamt äußerst positiv für das Projekt ausgewirkt, zumal die erhobenen Daten mittel- bis langfristig dazu dienen werden, Reaktionen der Falterzönosen und der Zielarten auf klimatische Veränderungen und auf die durchgeführten Optimierungsmaßnahmen in den Gebieten zu dokumentieren und die Effizienz der Anpassungsstrategien zu überprüfen.
Obwohl eine statistische Absicherung der vorliegenden Langzeit-Monitoring-Daten hinsichtlich klimainduzierter Veränderungen schwierig ist, liegt es auf der Hand, dass ohne die Umsetzung geeigneter Maßnahmen das langfristige Überleben einiger der Zielarten nicht oder nur unter beträchtlichen Bestandseinbußen möglich ist.
Änderungen an den Zielsetzungen wurden während der Projektlaufzeit nicht notwendig, dass Vorhaben wurde insofern antragsgemäß durchgeführt.

Übersicht

Fördersumme

125.000,00 €

Förderzeitraum

03.03.2008 - 03.02.2012

Bundesland

Nordrhein-Westfalen

Schlagwörter

Landnutzung
Naturschutz