Projekt 15491/01

Entwicklung und Optimierung einer innovativen umweltfreundlichen Großdachkonstruktion am zentralen Standort Hermessee der EXPO Hannover

Projektträger

Thomas Herzog Architekten
80805 München

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Das aus selbständigen Modulen bestehende Dach bietet einen großflächigen Witterungsschutz, wie er vielerorts gebraucht wird, jedoch als Holzbausystem kaum verfügbar ist. Stahl- u. Stahlbetonkonstruktion sind die Regel. Eine Anwendung von moderner Holzkonstruktion für neue Nutzungen ergibt sich hier als Chance. Das hier einzusetzende Prinzip der doppelt gekrümmten Gitterschalen als Brettstapelkonstruktion ist erstmals vor wenigen Jahren in kleinerer Dimension an Prototypen erprobt worden. Es ist äußerst effizient und soll hier in Form von Sattelflächen in großer Dimension zur Anwendung kommen. Die Erfassung der Kräfte, die Schnittgrößen und die statischen Spannungs- u. Verformungsnachweise sind extrem anspruchsvoll. Verarbeitung und Herstellung sind aber einfach und gerade für kleinere Betriebe gut realisierbar. Das Großdach im Zentrum der EXPO 2000 erzielt einen hohen Multiplikationseffekt.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenNach Vorliegen der Grundkonzeption der Architekten entsteht die Formfindung des Tragwerks als inte-graler Entwicklungs- u. Planungsvorgang mit dem Ingenieur - ein iterativer Prozess, bei dem Modellbau, Berechnung, Simulation, Designstudien immer wieder durchlaufen werden. Es sollen Massivholzstämme zum Einsatz kommen. Der Qualitätskontrolle ist im Hinblick auf die Möglichkeit zur maximalen Aufnahme der auftretenden Spannungen durch Ultraschallmessungen vorzunehmen. Die Dachdeckung mit einer umweltfreundlichen Membran muss in allen Details entwickelt und auf die Holzkonstruktion bauphysikalisch und bautechnisch abgestimmt werden.


Ergebnisse und Diskussion

Vom Institut für Holzkonstruktion der ETH Lausanne wurden Ultraschallmessungen vorgenommen, um nach Möglichkeit bei sehr großen Baumstämmen vorkommende sogenannte Kernfäule auszuschließen und nur gesunde Stämme zu fällen. Dieses Verfahren hat bei der hier erfolgten konkreten Anwendung bei Bäumen großer Dimension eine enorme Treffsicherheit. Dies erlaubt es künftig, bei großer Menge Fehleinschläge zu vermeiden. Die Vorstellung, für die tragenden Masten Vollholz-Stämme zu verwenden, fand auf Seiten der Holz verarbeitenden Industrie Skeptiker: das Material hat eine viel zu hohe Eigenfeuchtigkeit (mit negativer Auswirkung auf die Tragfähigkeit und dem Risiko der Fäulnis).

Es bestätigte sich jedoch die Möglichkeit, den für die Trocknung der Holzquerschnitte zum Zweck der Verarbeitung zu Brettschichtholz hohe Energiemenge eben gerade durch die Verwendung von Vollholz erheblich reduzieren zu können: Die Stämme wurden durch eine Kettensäge präzise in zwei Hälften auf-getrennt und zum Lufttrocknen gelagert. Die an den Stämmen durchgeführten Kontrollen ergaben, dass es tatsächlich möglich ist, auch Vollholzstämme dieser Querschnittsdimension durch geeignetes Auftrennen in einem vertretbaren Zeitaufwand im Freien zu trocknen, die Holzfeuchte auf das nötige Maß zu reduzieren und gleichzeitig die prognostizierten Risse durch die Ausbildung des Details, das die weitere Austrocknung des Holzes im eingebauten Zustand sicherstellt.

Von grundlegender Bedeutung ist die gemachte Erfahrung, dass die im Einklang mit dem Tragwerksprinzip entwickelte Großform im Falle von Windanströmungen sich grundsätzlich anders verhält, als dies die Lastannahmen nach DIN vorgeben. Die aufgetretenen negativen Druckbeiwerte (Sogwirkung) auf der Unterseite der Dächer - anstatt der von den Fachleuten erwarteten nach oben wirkenden Sogwirkung - führten zu einer Erhöhung der Belastung der gesamten Konstruktion, anstelle der vermuteten Entlastung und damit nicht zu der erwarteten Reduzierung der Materialmengen. Hier ist also der direkte Zusammenhang zwischen offenen, großräumigen Tragwerken und Gebäudeaerodynamik, sowie dem vorhandenen technischen Regelwerk zutage getreten. Künftige Normgebung kann hierauf aufbauen. Die im nachhinein durch Prof. Dr.-Ing. Kreuzinger vorgenommenen In-situ-Schwingungsmessungen an den EXPO-Schirmen zeigen, dass die aufgrund der Windkanalversuche erlangten Vorgaben für die Dimensionierung sehr gut mit den Messwerten übereinstimmten. Es zeigt sich also, dass man durch die Arbeit im Windkanal zu die Realität wesentlich genauer abbildenden Resultaten kommen kann, als dies durch die derzeit vorhandene Normung geschieht.

Für die Verankerung wurden gemäß der Planung sogenannte Bertsche-Dübel eingesetzt. Die an der TU München durchgeführten Ausziehversuche zeigten, dass bei geeigneter Anordnung dieser Verankerungen die Resistenz im Holz bei mehreren Dübeln nicht linear sondern überproportional anwächst. Hier wird also der Stand der Technik im positiven Sinn erweitert. Dies kommt bei derartigen Konstruktionen demnach einer solchen Form der Krafteinleitung zugute. Auch dies kann bei geeigneter Übernahme die-ser Erkenntnisse Einfluss auf künftige technische Regelwerke zur Bemessung von Querschnitten und Verbindung Eingang finden.

Ein Problem war die Frage, wie die Dachhaut als Membrankonstruktion so auf dem Holztragwerk würde befestigt werden können, dass deren Material nicht unmittelbar auf den tragenden Teilen des Daches aufliegen würde. Dies war eine strikte Forderung, um zu vermeiden, dass zwischen Membrane und Holz durch Kondensat entstehende Feuchtigkeit das Holztragwerk einschließlich der Verbindungsmittel zum Korrodieren bringen würde. Es wurde eine neuartige Haltekonstruktion entwickelt: Sie erfolgte linienförmig in Korrespondenz mit dem Krümmungsverlauf der Oberflächen in Form von Seilen, die zwischen Membrane und Dachkonstruktion in Schlaufen geführt werden. Diese sind an Ihrer Unterseite mittels sog. Schaukelschrauben befestigt, die das nachträgliche Einführen der Seile, ihre Befestigung und den Abstand zu Holzkonstruktion sicherstellen. Hiermit ist ein neuartiges Konstruktionsprinzip einer mechani-schen, durchdringungsfreien Befestigung verfügbar geworden.Die Realisierung des Projektes verlangte angesichts der Komplexität der Aufgabe, dass das beauftragte Holzbauunternehmen, Firma Merk, über 30 weitere Zimmerei- und Zulieferbetriebe einschaltete, bzw. die Bauteile an vielen Stellen zeitlich parallel gefertigt wurden. Für alle Beteiligten entstand hier erstmals im Bereich der Holz verarbeitenden Gewerke ein Kooperationsmodell, das in Folge des Einsatzes von EDV und Telekommunikationsmitteln ermöglicht wurde.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Buchpublikation (EXPODACH - Symbolbauwerk zur Weltausstellung Hannover 2000, Prestel Verlag München/London/New Yorck, deutsch/englisch, ISBN 3-7913-2382-2): 5000 Exemplare weltweit, 2. Auf-lage: 03/2001; Film (Das Dach der Weltausstellung - ein Pionierbauwerk aus Holz), Vertrieb: triplex FISCHER Werbemittel GmbH, Im Maarweg 42, 53619 Rheinbreitbach, Fax 02224/934141, Art.-Nr. 20530: weltweit ausgestrahlt, filmbüro München, Dauer: 30 Minuten. Zahlreiche Vorträge bei Konferenzen im In- und Ausland. Veröffentlichungen in Printmedien (Soweit bekannt): 68.


Fazit

Die besonderen Herausforderungen, die sowohl den Planern und Institutionen als auch den ca. 30 mittelständischen Betrieben, die unter einem enormen Zeitdruck und mit enormem Aufwand an professioneller Koordination das Bauwerk zur Eröffnung der Weltausstellung fertiggestellt haben, führten zu einem Holzbauwerk, das in dieser komplexen Form bisher noch nicht möglich war. Das EXPO-Dach stellt ein herausragendes Symbol für innovative und umweltfreundliche Bauweisen dar. Die im Bereich des Baustoffes Holz neu erarbeiteten Berechnungsmethoden und Konstruktionsweisen sind für die Zukunft des Holz-baus richtungsweisend. Durch die Lage des EXPO-Daches im zentralen Bereich des größten europäischen Messegeländes wird ein hoher Bekanntheitsgrad und Multiplikatoreffekt auf nationaler und internationaler Ebene bewirkt.

Übersicht

Fördersumme

489.971,01 €

Förderzeitraum

09.11.1998 - 23.07.2001

Bundesland

Niedersachsen

Schlagwörter

Klimaschutz
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umwelttechnik