Projekt 11611/01

Umweltsendungen im Fernsehen – Durchführung einer Projektstudie auf der Grundlage einer quantitativen und qualitativen Programmuntersuchung einschl. Dokumentation und Verbreitung der Ergebnisse

Projektträger

KOKOS AG
Markt 22/23
49074 Osnabrück

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

In den 80er Jahren und bis Anfang der 90er Jahre war es offensichtlich: Umweltsendungen fanden sich in großer Zahl im deutschen Fernsehen. Kaum eine Nachrichtensendung ohne einen Umweltbeitrag, kaum ein politisches Magazin ohne Umweltthema, kein Fernsehtag ohne Umweltsendungen auf einem der öffentlich-rechtlichen Sender. Wie sieht es heute, wo mehr und mehr die Quoten über Sendungen und Programme entscheiden? Ist Umwelt überhaupt ein Thema für die kommerziellen Sender? Hat die vorherrschende Marktgesetzlichkeit der Fernsehangebote die Umweltthematik vom Bildschirm verdrängt?
Ziel der Untersuchung ist es, auf der Basis quantitativer Erhebungen anhand von inhaltsbezogenen Beispielanalysen (Fallstudien) unterschiedlicher Programme und Programmformen Antworten darauf zu geben, auf welche Weise Umweltfragen präsentiert und mit welchen Intentionen sie auf dem Bildschirm erscheinen.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten MethodenEs sollen Programme und Programmteile erfasst und ausgewählt werden, die von Oktober bis Dezember 1997 in einem deutschen Fernsehsender ausgestrahlt werden - soweit sie in Osnabrück zu empfangen und somit aufzuzeichnen sind. Die thematische Auswahl ergibt sich dabei aus Inhalt und Intention: Sen-dungen, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema Umwelt bezwecken und/oder auf das Thema Umwelt zwar Bezug nehmen, doch andere Themen darstellen. In der qualitativen Analyse sollen auffällige Ergebnistendenzen aufgezeigt, Differenzierungen vorgenommen und einzelne distinktive Analyseschwerpunkte in Form von Fallstudien bearbeitet werden.


Ergebnisse und Diskussion

Im Ergebnis kann zunächst einmal festgestellt werden: Das deutsche Fernsehen nimmt auch in der zweiten Hälfte der 90er Jahre bei der Umweltberichterstattung eine führende Rolle ein. Es ist aktuell und an-schaulich, informativ und emotional wirksam, erzeugt Betroffenheit und klärt auf. Immer noch rollt die Öko-Welle im deutschen Fernsehen: Der interessierte Bürger kann sich umfassend orientieren und sachkundig machen. Umwelt-Themen sind an vielen Stellen und zu den unterschiedlichsten Tageszeiten im Gesamtprogramm vorfindbar. Die Themenpalette ist Beleg für das Bemühen der deutschen Fernsehsender, auf Umweltprobleme aufmerksam zu machen und das Interesse der Zuschauer darauf zu lenken.
Das Spektrum von Themen zur "Umwelt/Ökologie" ist breit gefächert, und die Themen werden auf verschiedene Weise und in verschiedenen Formen und Formaten im Fernsehen behandelt, um ein hetero-genes Publikum anzusprechen und zu erreichen.
Doch dieser erste Blick trügt:
· Nur die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, und hier vor allem die Dritten Programme, machen die Ökologie zu einem Medienthema.
· Aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wie bei den privaten Sendern dominieren
- die aktuellen Katastrophen- und Skandal-Meldungen
- die Orientierungen der Informationssendungen an der Tagesaktualität
- die Negativismen, die auf Angst und Bedrohung abzielen
Auch bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wie bei den privaten Sendern finden sich Defizite bei
- Themen wie "Abfall", "Boden" oder Themenfelder wie "Ökonomie und Ökologie"
- Fiktional-narrativen Genres
- Zielgruppenorientierten Sendungen und Programmen für Jugendliche
Bei den Informationssendungen über Umweltthemen fällt auf, dass nach wie vor Meldungen und Berichte über herausragende Ereignisse vorherrschen, die kurzfristig die öffentliche Aufmerksamkeit beanspruchen, um bald darauf wieder vergessen zu werden. Damit konstituiert sich die über das Fernsehen vermittelte Thematisierung von "Umwelt" im wesentlichen in der aktuellen Berichterstattung. Dies bezieht sich in erster Linie auf die Nachrichtensendungen, prägt jedoch entscheidend auch die Behandlung von Umweltfragen in den Magazinsendungen.
Das bedeutet zum einen, dass die Berichterstattung in Informationssendungen stark ereignisbezogen erfolgt, zum anderen, dass sie sich vor allem orientiert an: Unfällen, Katastrophen und Skandalen. Damit bestätigt sich die nicht zu widerlegende These, dass sich die umweltbezogene Themenentfaltung in der Regel unter den Aspekten der Bedrohung und Belastung der Menschen vollzieht.
Alle ruhigen und differenzierten dokumentarischen Programmformen haben es unter diesem Druck schwer. Die Abwanderung der Umwelt-Dokumentationen in das Ghetto der Kulturkanäle (3sat, arte, neuerdings auch Phoenix) oder zum exklusiven Abonnementfernsehen (premiere mit "Geo-Dokumentationen") hat begonnen, auch wenn es aufgrund des Einsatzes vereinzelter engagierter Journalisten und Redaktionen im ARD-Gemeinschaftsprogramm noch späte Sendeplätze gibt, auch wenn das ZDF immer mal wieder Sendeplätze zur Verfügung stellt. Doch die öffentlich-rechtliche Hierarchie hat die Bedeutung und den Wert dokumentarischen Arbeitens - nicht nur in der Umweltthematik - nicht erkannt und es erst recht nicht verstanden, es zu einem selbstbewussten Pluspunkt des eigenen Systems zu machen. Und dass die Kommerziellen im Umgang mit dokumentarischem Material spektakuläre Signale setzen könnten, bleibt eine vergebliche Hoffnung.
Furcht und Schrecken zu erregen, um die Menschen zu Erkenntnissen und letztlich zum Handeln zu bewegen, diese alte wirkungsästhetische These von Aristoteles bis Lessing legt es nahe, fiktionalen Programmen wie dem "Öko-Thriller" ein stärkeres Lernpotential - im Sinne des Tangierens von Einstellungen und damit potentiell von Verhalten - zuzuschreiben. Doch Sujets des Krimigenres zu Themen wie "Atomunfälle", "Giftmülltransporte" oder "Genmanipulation" greift in den 90er Jahren nur noch das Hollywoodkino auf, oder sie finden sich in Serienproduktionen aus Großbritannien und Kinofilmen aus Frankreich. Das deutsche Fernsehen (wie der deutsche Kinospielfilm) hat längst andere Sujets als Erfolgsrezept entdeckt - beim Krimi wie bei den anderen fiktional-narrativen Genres. Denn dieses thematische Defizit betrifft das Fernsehspiel (oder "TV-Movie", wie es derzeit etikettiert wird) ebenso wie die täglichen und wöchentlichen Serienproduktionen. Gerade hier wird eine Chance vertan: Fernsehgeschichten, die an den persönlichen Lebensgeschichten der Zuschauer ansetzen und damit das Alltagsbewusstsein, mit anderen Worten dieses je individuelle (Umwelt)Bewusstsein prägen, sind weitgehend vom Bildschirm verschwunden. Fiktional-narrative Genres transportieren als private, individuelle Lebensgeschichten mit Unterhaltungswert Details einer sozialen Wirklichkeit. "Umwelt" kann durch sie und mit ihnen erlebbar werden, und das Interesse des Zuschauers an den Lebensgeschichten kann auf den Hintergrund, hier: den sozialen Kontext gelenkt werden.
Ebenso defizitär und um so bedauerlicher ist die Abstinenz des Themas "Umwelt" in den Talk-Shows - und hier ist nicht die Rede von den täglichen "Soap-Talks". Talk-Shows, die ihren Reiz durch den produk-tiven Dissens, durch die Kunst, Streitgespräche zu führen, gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Kontroversen spannend zu vermitteln, erhalten, haben die Umweltthematik aus ihrem Repertoire in den späten 90er Jahren gestrichen - es sei denn, spektakuläre aktuelle "Megaereignisse" wie der Kampf um die Castor-Transporte lassen auf Zuschauerquoten hoffen oder die eingeladenen prominenten Gäste lassen unterhaltsame Gesprächsstoffe erwarten (immerhin!). Doch gerade letzteres verliert sich allzu schnell im lockeren Unterhaltungsstil oder wird durch Expertenjargon zum Langweiler.
Abschließend gilt es noch, die Kindersendungen mit Umweltthemen zu bewerten. Hier bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Zunächst ordnet sich das Kinderprogramm in die allgemeine Programmtendenz ein, denn vieles bereits Gesagte trifft auch hier zu. Dann aber beweist die Untersuchung des ZDF-Kinderprogramms, wo die Chancen und Möglichkeiten von Sendungen, die Umweltfragen thematisieren oder auch nur quasi nebenbei - neben unterhaltsamen Elementen oder neben spannenden Geschichten - aufgreifen, liegen können.
Die Klassiker "Löwenzahn" und "mittendrin", aber auch "Albert sagt..." machen deutlich: Bilder und Texte können zu wichtigen Mittlern auf dem Wege zu eigenen Gedanken und Vorstellungen werden, und je größer deren Ausdrucksqualität ist, desto mehr wird die Befähigung der Kinder, soeben Wahrgenommenes mit bereits Bekanntem zu verbinden oder es als neue Botschaft zu verarbeiten, gefördert Durch ak-tuelle Programmpolitik werden - und dies ist die Kehrseite - jedoch die Gestaltungs- und Entwicklungs-möglichkeiten des Kinderprogramms der öffentlich-rechtlichen Sender eingeschränkt. Finanzieller Druck führt zunehmend zum Einkauf von Fremdproduktionen (mehr unter Quotenerwartung denn unter Quali-tätsgesichtspunkten) oder zu magazinisierten "Programmflächen" à la "Tigerenten-Club". Hoffnung ist zu setzen auf den Kinderkanal, der sich auch und gerade durch Umweltsendungen unterschiedlichster Genres und Sendeformen profilieren könnte.
Umweltsendungen oder Sendungen, die Umweltthemen auf die unterschiedlichste Art und Weise für die Zielgruppe der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren aufgreifen, gibt es so gut wie gar nicht. Öffentlich-rechtliche und kommerzielle Anbieter bemühen sich einzig darum, entsprechend der Erwartungen der Werbewirtschaft, Sendern und Sendeformaten ein jugendliches Image zu verpassen. Es gilt nur, Jugendliche, die kaufkräftigen Consumer, als Zuschauer zu gewinnen und langfristig an den Sender zu binden. Aus diesen Gründen bietet das Fernsehen - abgesehen von den im Hintergrund laufenden Musik-sendern MTV und VIVA - den Jugendlichen allein Spielfilme und Serien jeder Art an - wobei simple, realitätsferne Erzählformen wie bei den Daily Soaps überwiegen. Bleibt die Frage zu stellen: Sind es die Programmverantwortlichen der Sender, die sich nicht wirklich für Programm-Inhalte interessieren, oder die Jugendlichen?


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Eva-Maria Marzok: Umweltthemen in TV-Sendungen, in: medien + erziehung, 43. Jg. / Nr. 3 /Juni 1999, S. 177-181


Fazit

Trotz aller Umfragen und anderer demoskopisch festmachbarer Trends und bei allen Einschränkungen und Themenverschiebungen im gesellschaftlichen Diskurs und in der gesellschaftlichen agenda: Die Sensibilisierung der Bevölkerung, auch des jugendlichen Teils, in Umweltfragen ist nach wie vor hoch. Doch es bedarf der Verschiebung der Thematik in weitere und andere Bereiche der Öffentlichkeit. Vielleicht ist vom Massenmedium Fernsehen allein gar nicht mehr zu verlangen. Es gilt Visionen zu entwickeln, in Utopien zu denken und Werthaltungen zu fördern, um den Schritt zum Handeln zu erleichtern. Dies betrifft insbesondere den Negativismus in der Berichterstattung, von dem kein qualitativer Sprung vom Informiertsein zum Denken und zum Handeln zu erwarten ist. Es ist allerhöchste Zeit zu fragen, wie mit der gewachsenen Sensibilität in Umweltfragen und mit dem gesteigerten Umweltbewusstsein umzu-gehen ist.

Übersicht

Fördersumme

8.743,09 €

Förderzeitraum

20.05.1997 - 01.09.2000

Bundesland

Nordrhein-Westfalen

Schlagwörter

Umweltkommunikation