Projekt 11262/01

Städtebauliche und ökologische Potentiale von autoarmen/autofreien Stadtquartieren

Projektträger

Bauhaus-Universität WeimarFakultät Architektur, Stadt- und Regionalplanung
Belvederer Allee 4
99425 Weimar
Telefon: 03643/581116

Zielsetzung und Anlass des Vorhabens

Siedlungsprojekte des autoarmen bzw. autofreien Wohnens in Deutschland, Österreich und den Niederlanden sollen aus städtebaulicher und verkehrlicher Sicht auf qualitative Aspekte analysiert und ihre spezifischen Potentiale beschrieben werden. Es sollen modellhaft anschauliche und praxisorientierte Verallgemeinerungen abgeleitet werden, die als Empfehlungen für die Praxis in die Erarbeitung eines Planungshandbuches münden können.


Darstellung der Arbeitsschritte und der angewandten Methoden· Fallstudien: eingehende Analyse ausgewählter Modellprojekte des autoarmen/autofreien Wohnens mit Hilfe einer Stadtbild-/Stadtgestalt-/Stadtraum-Analyse und Beschreibung ausgewählter Parameter, die städtebauliche und verkehrliche Qualitäten differenziert illustrieren (21 Untersuchungsaspekte);
· Veranschaulichung mit Hilfe von Strukturanalysen (Layer) und Fotografien;
· Ableitung verallgemeinerbarer Aussagen zu städtebaulichen und verkehrlichen Potentialen;
· Bildung von Hypothesen zu städtebaulichen und ökologischen Qualitäten
· Nachweis städtebaulicher und ökologischer Qualitäten anhand von 6 Qualitätsbausteinen;
· Unterstützung der Analyse durch ein Forschungskolloquium, an dem Vertreter von Projekten autoarmen/autofreien Wohnens und Fachleute aus dem Städtebau und der Verkehrswissenschaft teilnehmen;
· Präsentation und Diskussion der Forschungsergebnisse auf einer internationalen Fachkonferenz (20.9.2000 in Tübingen) und Einarbeitung der Kritik und Anregungen der Tagung in den Endbericht.


Ergebnisse und Diskussion

Die autoreduzierten Stadtquartiere sind ein Zeichen des Wandels. Ihr Ziel ist es, gangbare Wege aus den Zwängen der im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend selbstverständlicheren Autoorientierung in der Stadtentwicklung zu beschreiten.
Im Vordergrund steht die Emanzipation aus den städtebaulichen Zwängen des Industriezeitalters: Wohnen ohne Autolärm und Unfallgefahren durch den Autoverkehr; Entfaltungschancen im Haus und im Außenraum; architektonische Selbstverwirklichung in der Stadt; intensivere soziale Beziehungen im Quartier; Rückgewinnung der Straße als sozialer Ort; Entwicklung von Verantwortung für Natur, Bauen und Stadt im Sinne der Agenda 21.
Die autoreduzierten Stadtquartiere verändern durch die (graduell unterschiedliche) Herausnahme des Autos als den Raum und dessen Nutzung präjudizierende Kraft die Wahrnehmung und Bedeutung des Wohn- und Stadtraumes. Dies schlägt sich insbesondere in der neuen Rolle der Straße, der Erdgeschosszone der Gebäude sowie der freien Flächen im Quartier nieder. Mit der Betonung auf die Wohn-, Aufenthalts- und Nutzungsqualitäten eines Stadtteils kehrt sich der eingeübte Blick auf den Zusammenhang von Stadt und Mobilität um: Lebens- und Stadtqualität stehen im Vordergrund des (persönlichen) Interesses. Daraus leitet sich die Mobilitätsnachfrage ab - und nicht umgekehrt.
Die Projekte autofreien Wohnens ziehen nach einem über ein halbes Jahrhundert andauernden Prozess des trial und error um einen autofreundlichen Konsens den (mehr oder weniger) radikalen Entschluss, eindeutig der Stadt und damit der Kultur des Ortes Priorität einzuräumen. Sie trennen Wohnen vom motorisierten Individualverkehr und definieren Mobilität als Nutzungsoption für alle verfügbaren Verkehrsmittel eines Stadtraumes. Damit stellen sie das Konzept der autofreien Stadtquartiere vom Kopf auf die Füße, denn es entstammt ursprünglich dem fortschrittseuphorischen Denken des Industriezeitalters: als letzte Zelle im Modell des organischen Städtebaus sollte das Wohnmilieu ungestört, sicher und naturnah sein.
Die zentrale Erkenntnis der vorliegenden Untersuchung lautet: Die autofreien, autoarmen und verkehrsberuhigten Stadtquartiere zeichnen sich im Vergleich zu herkömmlichen, autokonformen Wohn- und Wohnmischquartieren in der Stadt in ganz besonderem Maß durch ein Zusammenspiel von 4 Eigenschaften aus, die den Kern städtebaulicher und ökologischer Qualität ausmachen:
1. Komplexität
2. Flexibilität
3. Urbanität
4. Nachhaltigkeit.
Diese Eigenschaften führen zu folgenden städtebaulichen und ökologischen Chancen autoreduzierter Stadtquartiere: Flächengewinn; Verkehrsentlastung; flexible Raumnutzung; flexible Verkehrsmittelwahl; Kostenflexibilität und eine dialogorientierte Planungs- und Projektkultur.
Die Untersuchung stellte fest, dass sich die autofreien/autoarmen Stadtquartiere in vieler Hinsicht als Baustein für die europäische Stadt des 21. Jahrhunderts eignen: Sie belegen eindrucksvoll eine Renaissance weicher Standortfaktoren, zu denen u. a. Urbanität, damit eng verknüpft, eine Kultur des Ortes und deutlich spürbar, die Chance, vielfältige soziale Beziehungen vor Ort aufbauen zu können, zählen.
Insgesamt repräsentieren die Modellprojekte trotz ihrer Vielschichtigkeit und immer nur partiellen Vergleichbarkeit ein neues Denken im Städtebau und in der Stadtentwicklung, das anstelle von Aufgliederung, Ausdifferenzierung und letztlich raumfunktionaler Trennung, eindeutig an integrierenden Strukturen und Aktivitäten interessiert ist. Dass in diesem Zusammenhang Mobilität neu definiert werden muss, hat die Studie zu beweisen versucht: Lebensqualität in der Stadt steht in unmittelbarer Abhängigkeit vom Grad der Autoorientierung bzw. der Autoreduzierung. Beides zusammen: Wohnen in der Stadt und Mobilität mit dem Umweltverbund ergibt in der Summe die angestrebten ökologisch wirksamen Effekte für eine langfristig stabile Entwicklung.


Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation

Die Ergebnisse der Forschung wurden am 20.09.2000 in einem internationalen Kongress in Tübingen vorgestellt und diskutiert. Im Dezember 2000 werden die Ergebnisse im Rundbrief Autoarme Stadtquartiere des ILS Dortmund publiziert. Weitere Publikationen werden vorbereitet.


Fazit

Für die Zukunft der Stadt lässt sich aus der vorliegenden Forschung ableiten, dass im Gegensatz zur Vergangenheit, Stadt, Wohnen, Verkehr, Kultur und Natur nicht mehr von einander getrennt entwickelt werden müssen. Für die Stadt europäischen Typs bilden die untersuchten Projekte autofreien/autoarmen Wohnens Reformpotentiale für eine Stadt der kurzen Wege. Die Fallstudien belegen, dass städtebauliche und ökologische Qualitäten in die Fähigkeit münden, Komplexität in der Raumnutzung zu bewältigen und Kommunikation unter allen Beteiligten als Voraussetzung für Entwicklung zu kultivieren.

Übersicht

Fördersumme

102.258,38 €

Förderzeitraum

10.12.1998 - 10.12.1999

Bundesland

Thüringen

Schlagwörter

Klimaschutz
Landnutzung
Ressourcenschonung
Umweltforschung
Umwelttechnik